Stand: 03.06.2014 15:47 Uhr

Der "Tank Man" und seine Geschichte

von Susanne Birkner

Vor 25 Jahren protestieren mehrere Tausend Studenten und Bürger auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking gegen Unterdrückung und Korruption. Die chinesische Regierung schlägt die Proteste in der Nacht zum 4. Juni 1989 blutig nieder. Ein Foto vom nächsten Tag - gemacht vom amerikanischen Fotojournalisten Jeff Widener, der heute in Hamburg lebt - geht damals um die Welt. Es wird zu einem Symbol für den Freiheitswunsch in China: Ein einzelner Mann stellt sich vier heranrollenden Panzern entgegen. "Tank Man" nennt Widener den unbekannten Mann liebevoll.

"Der versaut mir mein Bild"

Schüsse, Schreie, heranrollende Panzer. Es ist ein Tag der Angst, an dem Jeff Widener sich mithilfe eines amerikanischen Studenten für die Nachrichtenagentur Associated Press in das Beijing Hotel schleicht. Der Fotograf positioniert sich mit seiner Kamera auf dem Balkon. Er sieht den ganzen riesigen Tiananmen-Platz vor sich liegen. Panzer für Panzer rollt heran. Jeff Widener fängt sie aus 800 Metern Entfernung mit seinem Teleobjektiv ein. Ein drastisches, bedrückendes Bild. Doch plötzlich sieht er, dass sich jemand vor den Konvoi gestellt hat. Ein Mann mit einem weißen Hemd und Einkaufstüten in der Hand: "Mein erster Gedanke war: Der versaut mir mein Bild. Denn ich hatte diese tolle Komposition mit den Panzern. Ich hatte an dem Tag eine schwere Gehirnerschütterung von einem Stein, der mich am Kopf getroffen hat, und konnte nicht klar denken. Dann fing Kurt an zu schreien: Die werden ihn umbringen!"

Aber es fallen keine Schüsse. Nachdem Jeff Widener kurz im Zimmer sein Objektiv gewechselt hat, ist der Mann einfach verschwunden. Vier Menschen haben ihn zur Seite gezogen. Passanten? Sicherheitskräfte? Das ist bis heute nicht geklärt. Keiner weiß, was mit ihm passiert ist. Kein Familienmitglied hat sich je gemeldet - 25 Jahre nicht. Und außerdem weiß niemand, wer die Soldaten in den Panzern waren - als ob alle einfach von diesem Planeten verschwunden sind. Und sein Foto sei in China immer noch verboten, sagt Widener. In mehr als 100 Ländern hat der Fotojournalist Unruhen, Krieg und Gewalt dokumentiert.

Gerade beobachtet er, wie Hongkong den 25. Jahrestag des Massakers begeht. "Eine sentimentale Reise", sagt der Fotograf. Denn die Ereignisse damals haben sein Leben verändert. Sein Foto wurde zur Ikone. Das Ausmaß seiner Arbeit hat er erst begriffen, als es vor einigen Jahren auf einer Liste der wichtigsten zehn Fotos der Geschichte auftauchte. Und auch privat hat der Tiananmen-Platz sein Leben verändert. Denn bei dem 20. Jahrestag war Jeff Widener für eine BBC-Dokumentation in China. Und hat in den Straßen Pekings seine Frau kennengelernt. Eine Deutsche, mit der er heute in Hamburg lebt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 04.06.2014 | 07:20 Uhr

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