Der Pensionär, der alte Grenzsteine aufspürt
Unter dem Titel "Nicht meckern, machen!" berichtet NDR Info gemeinsam mit der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", den "Kieler Nachrichten", der "Ostsee-Zeitung" und dem "Hamburger Abendblatt" über Menschen, die etwas bewegen. Die es mit beispielhaftem Engagement, einer klugen Idee, großem Mut oder einem langen Atem geschafft haben, Dinge zum Besseren zu verändern. Wolf-Rüdiger Wendt sucht ehrenamtlich in Hamburg die versunkenen Überreste der Geschichte.
von Katharina Jetter, NDR Info
Hinter hohem Gebüsch, in einem Vorgarten im Hamburger Stadtteil Hummelsbüttel, entziffert Wolf-Rüdiger Wendt die Inschrift eines ein Meter hohen historischen Grenzsteins, den einst der dänische König hier aufstellen ließ. "Das ist richtig etwas Altes - aus der Zeit Christian VII", sagt der 78-Jährige.
An Hamburgs alter Grenze zu Dänemark
Hamburg grenzte an dieser Stelle 1783 an Dänemark, später an Preußen. Von den alten Grenzen, deren Verlauf sich immer wieder änderte, zeugen noch immer 240 Grenzsteine. Viele markieren auf verschlungenen Pfaden heute noch die Grenzen der Hamburger Bezirke. Genau wie das plötzlich wechselnde Muster des Kopfsteinpflasters einer Straße. Viele der alten Grenzsteine hat Wolf-Rüdiger Wendt anhand historischer Stadtpläne aufgespürt. Oft liegen sie versteckt, eingewachsen auf privatem Grund. "Ich habe auch mehrere Kumpels dabei", erzählt Wendt. "Das gehört einfach dazu, dass man den Grenzstein mal richtig anfasst und freigräbt. Wir arbeiten zusammen und dann ist das ein Erlebnis."
Es gibt auch Pflaster-Inschriften
Der pensionierte Vermessungsingenieur erzählt, dass früher auch die Reeper, die Seilmacher, ihren Bezirk mit Grenzsteinen markierten, und auch die Zimmerleute und die Waldbesitzer. Nicht immer sind es Steine, die eine alte Grenze zeigen - auch Markierungen an Hauswänden oder Pflaster-Inschriften deuten auf alte Grenzen hin. Solche Relikte stehen unter Denkmalschutz. Aber das Denkmalschutzamt hat nicht genügend Personal für die Spurensuche. Deshalb hat Wendt für das Amt ein Kataster vorhandener Steine erstellt, das online einsehbar ist und ständig durch neue Fundstücke erweitert wird.
Viele Steine verschwinden bei Bauarbeiten
Außerdem besucht er Baustellen, auf denen er alte Grenzsteine vermutet. Viele der ehemals wohl tausend Grenzsteine sind bei Bauarbeiten verschwunden, deshalb nordet er die Bauarbeiter und Grundstücks-Besitzer freundlich ein, wie er sagt. "'Also hört mal her, ihr müsst den Stein sichern und bergen und da wieder aufstellen, wo er hingehört.' Und im Grunde genommen klappt das auch. Und das ist auch mein Anliegen, dass die Hamburger Geschichte nicht verloren geht", sagt Wendt.
Wenn ein Hund gegen den Grenzstein pinkelt
Weiter oben grenzt die ruhige Wohnstraße in Hummelsbüttel an eine vielbefahrene Kreuzung, hier steht der nächste Grenzstein, eingelassen in den Bürgersteig - unbeachtet von den allermeisten. Aber da hat Wendt seine ganz eigene Taktik der "Sensibilisierung". "Also, ich mache das so: Wenn Hundeführer ankommen und der Hund pinkelt gegen den Grenzstein, dann sage ich: 'Wissen Sie eigentlich wogegen ihr Hund pinkelt?' Der Hundebesitzer antwortet: 'Nee, das ist wohl so ein Finder für eine Rohrleitung oder so etwas.' Und dann kläre ich die auf: 'Schauen Sie mal, dänischer Grenzstein, Christian VII.' Dann stehen die Leute stramm. Weil das eben unsere Geschichte pur ist."
Geschichte zum Anfassen. Die möchte der Pensionär erhalten und hat deshalb auch einen Kreis historisch Interessierter Hamburger gegründet. Hier gibt der "Grenzgänger" sein Wissen über die alten Steine weiter, die - heute mitten in der Stadt - früher Länder trennten.
