Stand: 04.05.2015 15:16 Uhr

Das Lager im Dorf lassen

Gesa Trojan © Gesa Trojan Foto: Miguel Ferraz
Kulturwissenschaftlerin Gesa Trojan hat ein Buch über den belasteten Ort ihrer Jugend geschrieben: Neuengamme.

Die Befreiung des KZ Neuengamme jährt sich zum 70. Mal. Heute ist Neuengamme ein Ort des Gedenkens - aber es ist auch die Heimat für viele Bürger. Die Kulturwissenschaftlerin Gesa Trojan ist 30 Jahre alt und selbst in Neuengamme aufgewachsen. Für ihre Magisterarbeit sprach sie mit den Dorfbewohnern über ihre Erinnerungen an Neuengamme zur NS-Zeit. Sie interviewte Zeitzeugen, Nachgeborene aus den 1950er-Jahren und Bewohner, die in den 1960er- und 1970er-Jahren geboren wurden. Daraus ist nun ein Buch entstanden: "Das Lager im Dorf lassen". Mit NDR Kultur hat sie über ihre Arbeit über Neuengamme gesprochen.

Neuengamme hat eine dunkle Vergangenheit, wie präsent war das während Ihrer eigenen Kindheit und Jugend?

Gesa Trojan: Das war bei uns eigentlich kein Thema. In meiner Familie wurde nicht darüber gesprochen - und auch sonst kam das Konzentrationslager als Thema nicht vor. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich diese Arbeit geschrieben habe. Ich habe mich gefragt, weshalb das eigentlich so ist. Als ich schon an der Uni war und mich auf einer akademischen Ebene mit dem Thema auseinandergesetzt habe, dachte ich irgendwann: bei mir zu Hause gab's ja auch ein Konzentrationslager, was hat es damit eigentlich auf sich und wieso fällt mir das erst jetzt ein? Und so formierten sich die Fragen, die dann zu meiner Arbeit führten.

Wie sind Sie dann konkret vorgegangen?

Trojan: Ich habe Zeitzeugen interviewt, die die NS-Zeit in Neuengamme als Kinder und Jugendliche erlebt haben. Und habe dann aber - weil es mir um die Wahrnehmung des Konzentrationslagers im Ort geht - auch noch nachfolgende Generationen befragt, um herauszufinden, ob und wie Erinnerungen an das Konzentrationslager an folgende Neuengammer und Neuengammerinnen weitergegeben werden. Ich habe mir familiäre Konstellationen angeschaut und mich gefragt: Erzählen eigentlich Eltern ihren Kindern davon?

Wie haben Sie die Gespräche mit den Menschen in Ihrem Ort erlebt? Gab es besondere Momente?

Buchcover: Das Lager im Dorf lassen © Dölling und Galitz Verlag
Die Magisterarbeit von Gesa Trojan ist als Buch erschienen. Es liegt auch bei Edeka in Neuengamme zum Verkauf.

Trojan: Ich habe bei den Gesprächen mit meinen eigenen Omas angefangen. Wir haben da eine ganz neue Gesprächssituation erlebt, die sehr interessant und letztendlich auch sehr fruchtbar war. Aber dadurch, dass wir nie vorher darüber gesprochen hatten, mussten wir erst mal gucken, wie reden wir jetzt darüber? Auch interessant - und vielleicht auch etwas lustig - war, dass ich anfangs versucht habe, möglichst professionell aufzutreten und eine Ansprache vorbereitet hatte, um mich als Wissenschaftlerin mit meinem wissenschaftlichen Projekt vorzustellen. Dann wurde aber sehr schnell klar, dass ich auf dieser Eben gar nicht an die Menschen rankomme. Die haben dann eher gesagt: 'Och ja, das habe ich schon von Deiner Oma gehört. Klar mache ich mit'. Es war also vielmehr diese persönliche Ebene, die das Projekt überhaupt möglich gemacht hat.

Ist Ihre Arbeit in Neuengamme positiv aufgenommen worden oder gab es Menschen, die gesagt haben, dass sie davon nichts wissen wollen oder es gar geleugnet haben?

Trojan: Die gibt es bestimmt, ich habe bloß selber keine getroffen. Sowohl in der Vorbereitungsphase als auch bei der Suche nach Interviewpartnern waren alle sehr offen und hilfsbereit. Das ist sicher nicht selbstverständlich. Wir haben ja nicht nur über Geschichte gesprochen, sondern die Menschen haben mir ihre Lebensgeschichte anvertraut. Ich habe niemanden getroffen, der die Geschichte des Konzentrationslagers geleugnet hätte. Das liegt bestimmt auch daran, dass diejenigen, die die Zeit selber miterlebt haben, noch Kinder und Jugendliche waren und sich selber nicht so stark von Schuld belastet sehen. Die Rückmeldungen, die ich zum Buch bekomme, erhalte ich über meine Oma und ich weiß, dass der örtliche Edeka das Buch schon zweimal nachbestellen musste.

Welche Erkenntnisse haben Sie als Kulturhistorikerin aus dem Projekt gewonnen? Was sagt das Projekt darüber aus, wie ein ganzer Ort mit Erinnerungen umgeht?

Trojan: Für den ganzen Ort kann ich natürlich nicht sprechen. Ich habe 17 Interviews geführt, das ist nicht repräsentativ. Aber für diese Fallstudie kann ich sagen, dass keine konkreten Geschichten aus dieser Zeit erzählt werden. Die Älteren haben die schmerzvollen Erinnerungen, die oft an das Leid der Häftlinge geknüpft waren, beiseitegelegt und verdrängt. Das heißt aber nicht, dass es diese Erinnerungen nicht mehr gibt, sie werden bloß eher als Verhaltensmuster weitergegeben. Zum Beispiel in der Form, dass die Leute zwar wissen, dass es da dieses Konzentrationslager gab, sie diesen Ort aber meiden, weil er mit einem Unbehagen verbunden ist. Es gibt ein ganz klares Innen und Außen und es wurde sehr klar, dass dieses Konzentrationslager für die meisten Dorfbewohner einfach nicht zum Ort dazugehört.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 04.05.2015 | 15:40 Uhr

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