Überwachungskamera an einem Pfahl in Hannover. © NDR Foto: Julius Matuschik

Smart Cities: Verheißungsvolle Zukunft oder perfekte Überwachung?

Stand: 06.11.2021 06:00 Uhr

von Jochen Rack

Safe City?

Überwachungskamera an einem Pfahl in Hannover. © NDR Foto: Julius Matuschik
Drohen neue Gefahren der Überwachung des öffentlichen Lebens?

Und wenn es nach der Polizei ginge, gewänne man auch mehr Sicherheit in der Stadt, indem man zum Beispiel den öffentlichen Raum immer und überall scannt, wie es in China bereits praktiziert wird. Mittels Gesichtserkennung lässt sich von jedem Bürger ein Bewegungsprofil erstellen und seine Kommunikation überwachen. Es nutzt nicht-demokratischen Regimen, wenn man Teilnehmer an Demonstrationen identifizieren kann, um sie schneller verhaften zu können. Deshalb tragen Aktivisten Masken oder versuchen die Überwachungskameras mit Laserpointern zu blenden.

Aber die neue Sicherheitstechnik in der Smart City hat auch noch andere Möglichkeiten, ihre Bürger zu kontrollieren, etwa indem sie deren Smartphones ausliest und sich einen Überblick über die Kommunikation in den sozialen Netzwerken verschafft. Neue Möglichkeiten der Prävention tun sich auf. Die Smart City ist die Safe City.

Die Smart City wird nicht billig werden

Es gibt den sanften Zwang der technischen Vernunft, die zu konformem Verhalten erzieht, aber auch die Gefahr der Überwachung des Lebens im Sinn von George Orwell. Die Stadt als Ort freier Bürger ist bedroht, wenn man der smarten Technik keine Zügel anlegt. Die Daten, die in der Stadt erhoben werden, müssen anonymisiert werden. Die Technik braucht juristische Grenzen. Die Bürger der Städte müssen aufpassen, dass sie nicht die Kontrolle über ihre Daten verlieren. Die Städte brauchen Know-how, um überhaupt zu verstehen, was geschieht, wenn man IT-Konzerne einlädt, Daten in der Stadt zu erheben und zu verarbeiten. Die Verträge mit den Unternehmen müssen so verhandelt werden, dass die Bürger die Regie über ihre Daten behalten. Sonst droht nicht nur der Datenklau, sondern auch die ökonomische Abhängigkeit der Städte. Oder die Städte müssen die Sensoren selbst betreiben und die Verarbeitung der gewonnenen Daten mit eigenen Mitteln und Systemen bewältigen.

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Eine Reihe von Uhren steht in einem leeren Fabrikgebäude. Eine zeigerlose Uhr ist frontal zu sehen. © Roberto Agagliate / photocase.de Foto: Roberto Agagliate

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Das alles ist aufwändig und teuer. Die Smart City wird nicht billig werden. Vielleicht spart man einige Müllmänner. Dafür muss man Programmierer einstellen, um zu verhindern, dass Hacker in die intelligenten Netze eindringen und sie lahmlegen oder die Stadt erpressen. Die Smart City braucht Firewalls gegen mögliche Trojaner, so wie sie früher Stadtmauern gegen Eindringliche errichtete. Kleinere Städte werden die Investitionen, die nötig sind, um solche smarten Systeme zu installieren, aus Geldmangel gar nicht allein stemmen können und sind auf die Kooperation mit anderen Städten angewiesen.

Analoge Intelligenz tut es oft auch

Viele Smart City Solutions sind noch in der Erprobung und meist wenig spektakulär. Das Versprechen ist im Moment größer als der praktische Nutzen. Die Städte sollten, bevor sie viel Geld ausgeben, genau definieren, für welche Probleme sie teure IT-Lösungen eigentlich brauchen. Denn analoge Intelligenz tut es oft auch. Um festzustellen, dass der Verkehr in einer Straße oder einem Viertel nicht gut läuft, und dass die Luftqualität zu schlecht ist, muss man nicht die ganze Stadt mit Messstationen verkabeln: Es reichen die fünf Sinne, eine Nase und zwei Ohren, am besten gepaart mit gesundem Menschenverstand. Um zu erkennen, dass es in den Metropolen zu viele Autos gibt und zu wenige Wohnungen, braucht man keine Künstliche Intelligenz. Und zur Lösung solcher Probleme tragen die Smart City Solutions nicht viel bei. Dass wir mehr Sozialwohnungen brauchen und mehr ÖPNV, mehr Elektromobilität und weniger Diesel, lässt sich leicht verstehen, aber es muss politisch umgesetzt werden.

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Datenschutz hat oberste Priorität

Eine Smart City ist nur dann eine gute Stadt, wenn die Menschen ihre bürgerlichen Freiheiten darin ausleben und ihre Bedürfnisse besser artikulieren können. Dazu mag auch eine App helfen, die Bürgerbefragungen ermöglicht. Dazu mag eine bessere, schnellere Kommunikation mit der Stadtverwaltung beitragen. Vor allem aber gehört dazu, dass die Bürgergesellschaft die demokratische Kontrolle behält: die Kontrolle über ihre Daten und deren Verwendung. Datenschutz hat oberste Priorität. Die Smart City muss eine Stadt sein, in der mehr Partizipation möglich ist und die Freiheit der Bürger garantiert wird. Das ist eine Anknüpfung an das Ideal der griechischen Polis. Zu einer freien bürgerlichen Stadt passen nicht Kameras überall im öffentlichen Raum - Big Brother is watching you - oder das An-den-Pranger-Stellen von Leuten, die sich nicht konform verhalten.

Eine Smart City, die alles über ihre Bürger weiß, in deren Wohnungen und Köpfe schaut und das soziale Verhalten überwacht, steuert und kontrolliert, wäre das Ende der Stadt als Ort bürgerlicher Freiheit und Kreativität. Niemand hat etwas gegen eine intelligente Mülltonne, gegen die Totalkontrolle des öffentlichen Raums, den Ausverkauf und die Weitergabe privater Daten aber schon. Eine bloß ingenieurstechnische Optimierung des urbanen Lebens kann die Smart City nicht legitimieren. Wir brauchen vor allem Smart Citizens, die am politischen Leben ihrer Kommune teilnehmen und sich in der Stadtgesellschaft engagieren.

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