Stand: 10.05.2019 11:08 Uhr

Wenn ein Kind einen Schlaganfall erleidet

von Lea Eichhorn, NDR Info

Er kommt plötzlich und ist meist lebensgefährlich: In Deutschland haben jährlich rund 270.000 Erwachsene einen Schlaganfall. Bei Kindern ist die Erkrankung deutlich seltener, nur etwa 300 bis 500 Kinder sind davon pro Jahr betroffen. Manchmal kommt es besonders schlimm, dann erleidet das Kind den Schlaganfall noch im Mutterleib. Ein Besuch bei Familie Laudi in Börnsen in Schleswig-Holstein.

Die kleine Nela sitzt bei ihrer Mutter auf dem Schoß und versucht eine Wasserflasche aufzuschrauben. Die Fünfjährige hat dabei Schwierigkeiten mit ihrer linken Hand. Die ist spastisch gelähmt, eine Folge ihres Schlaganfalls. Den hatte sie, als sie noch im Bauch ihrer Mutter war. Bis die Familie das nach der Geburt bemerkte, dauerte es Monate, erzählt Nelas Mutter Nadine Laudi. "Nela war ungefähr fünf Monate alt. Es ist eigentlich eher meinem Mann aufgefallen, dass sie die linke Hand zum Fäustchen gehalten hat, mit einem eingeschlagenen Daumen. Das war so der erste Hinweis, aber wir konnten das natürlich noch nicht zuordnen."

Der lange Weg zur Diagnose

Das Fäustchen ist ungewöhnlich, daher verschreibt der Kinderarzt zunächst Physiotherapie. An einen Schlaganfall denkt zu dem Zeitpunkt noch niemand. Später bemerken die Eltern, dass Nelas Beine unterschiedlich lang sind. Sie fragen bei zahlreichen Ärzten um Rat.

Erst ein Jahr nach Nelas Geburt haben sie endlich Gewissheit. Die Diagnose sei erst einmal ein Schock gewesen, sagt Nadine Laudi. "Natürlich ist das ein Hammer, vor allem weil man Angst hat, dass es noch mal passieren kann. Weil man ja gar nicht weiß, wo das herkommt. Aber auf der anderen Seite waren wir froh, dass wir endlich wussten, was es ist."

Andere Symptome als bei Erwachsenen

Porträtbild von Dr. Wiebke Maroske, Chefärztin des neurologischen Reha-Zentrums Friedehorst. © NDR Foto: Lea Eichhorn
Die Neurologin Wiebke Maroske bietet in ihrem Zentrum spezielle Therapien für Kinder an, die einen Schlaganfall erlitten haben.

Schlaganfälle werden bei Kindern und Jugendlichen oft erst spät erkannt. Sie können aber genauso viel Schaden im Gehirn anrichten, wie bei älteren Menschen. Wiebke Maroske ist Chefärztin im neurologischen Rehabilitationszentrum Friedehorst bei Bremen. Eines der wenigen Zentren, das speziell Therapien für betroffene Kinder anbietet. Die Folgen werden, anders als bei Erwachsenen, häufig erst später sichtbar, erklärt die Neurologin. "Weil das tatsächlich schwierig ist, die Symptome immer richtig einzuschätzen. Die können sehr minimal sein. Und eine Lesestörung, die aufgrund eines Schlaganfalls zum Beispiel existiert, oder eine Lernstörung, nicht sofort an einen Schlaganfall denken lassen. Sondern zunächst einmal denkt man, dass Kind ist faul, es ist in seiner Aufmerksamkeit gestört."

Auch die Gründe für den Schlaganfall seien bei Kindern andere als bei Erwachsenen, so die Ärztin. Bei den kleinen Patienten seien eher Blutgerinnungsstörungen oder Fehlbildungen der Gefäße schuld, bei Erwachsenen spielten Faktoren wie der Cholesterinspiegel oder der Blutdruck eine größere Rolle.

Die Folgen: Lebenslange Beeinträchtigungen

Zwei Drittel der betroffenen Kinder haben Schäden, die bleiben. In den speziellen Reha-Zentren können sie aber lernen, mit ihren Behinderungen umzugehen. Es sei wichtig, dass die Kinder langfristig medizinisch begleitet würden, sagt Maroske: "Ganz wichtig sind regelmäßige Untersuchungen der körperlichen Funktionen, aber auch der kognitiven Fähigkeiten. Also Untersuchungen auf neuropsychologischer Ebene, gerade an Punkten wie der Einschulung, dem Schulwechsel oder auch der beruflichen Weiterbildung."

Betroffene entwickeln sich oft langsamer als Gleichaltrige

Eine Fuß-Orthese und Hand-Orthese für ein Kind, das einen Schlaganfall erlitten hat, liegen auf einem Holzfußboden. © NDR Foto: Lea Eichhorn
Eine Fuß-Orthese und Hand-Orthese als Stützen helfen Nela im Alltag.

Bei der kleinen Nela ist die ganze linke Körperhälfte spastisch gelähmt. Aus diesem Grund dauern bei ihr viele Entwicklungsschritte länger. Sie hat spät angefangen zu robben und zu krabbeln, mit zweieinhalb Jahren konnte sie erst laufen. Für ihre Mutter war das nicht immer einfach zu beobachten. "Als sie das erste Mal gerobbt ist, waren wir natürlich ganz froh. Aber da musste ich auch das Zimmer verlassen, weil sie über den linken Arm nicht rübergekommen ist. Das hat sich dann nachher gegeben, weil sie sich zu Recht gefummelt hat. Aber das sind dann so Situationen, wo man an seine Grenzen kommt, als Mama."

Heute flitzt Nela unbeschwert durch die Wohnung. Normalerweise muss sie tagsüber und auch nachts orthopädische Stützen am linken Arm und am linken Bein tragen. Die sogenannten Orthesen sollen verkrampfte Körperteile stabilisieren und Fehlstellungen verhindern.

Eltern tauschen sich in der Selbsthilfegruppe aus

Über die Jahre musste Nadine Laudi sich viel Rat und Unterstützung suchen. Inzwischen kennt sie sich aus mit Hilfsmitteln, Therapiemöglichkeiten und notwendigen Untersuchungen. Dieses Wissen möchte sie gerne an andere betroffene Familien weitergeben. Darum organisiert sie regelmäßige Treffen einer Selbsthilfegruppe. Die Familien der "stroke kids" tauschen sich aus, geben sich Halt.

Wochentags ist Nadine Laudi viel mit Nela unterwegs: Ergotherapie, Krankengymnastik, Logopädie. Manchmal soll Nela aber auch einfach mal sie selbst sein dürfen. Ohne Hilfsmittel und orthopädische Schuhe, wie jedes andere Kind auch.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 10.05.2019 | 06:50 Uhr

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Herz-Kreislauferkrankungen

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