Stand: 03.04.2020 15:12 Uhr

"Alle, die operiert werden müssen, werden operiert"

Porträt von Helge Riepenhof. © NDR
Helge Riepenhof leitet die Rehabilitationsmedizin am BG Klinikum Hamburg.

Die Coronavirus-Krise verändert das Leben der Menschen in fast allen Bereichen. Auch in medizinischer Sicht: Krankenhäuser sind aufgerufen, nicht notwendige Operationen zu verschieben, um Kapazitäten für schwer an Covid-19 erkrankte Menschen zu schaffen. Doch wer wird derzeit überhaupt noch operiert? Und gibt es für Patienten weiterhin Maßnahmen zur Rehabilitation? NDR Visite hat darüber mit Dr. Helge Riepenhof gesprochen, dem Chefarzt für Rehabilitationsmedizin am BG Klinikum Hamburg.

Welche Operationen sind derzeit ausgesetzt und welche Reha-Therapien fallen demzufolge aktuell ebenfalls weg?

Dr. Helge Riepenhof: Das Ziel ist es, dass wir möglichst wenige Menschen in der Klinik haben: Alles, was man verschieben kann, soll verschoben werden. Ein Beispiel ist ein Hüftgelenkverschleiß, also eine Arthrose im Hüftgelenk, bei der der Patient ein neues künstliches Hüftgelenk braucht. Das würde man jetzt nicht machen, sondern erst verzögert, wenn das Ganze vorbei ist.

Und wer wird noch operiert und wer bekommt danach auch noch Reha?

Riepenhof: Auch weiterhin werden alle operiert, die operiert werden müssen. Also ganz einfach gesagt: Ein Patient, der einen Unfall hatte, wird selbstverständlich operiert und anschließend therapiert. Wir kümmern uns selbstverständlich um jeden Unfall wie vorher auch. Wenn ein Patient sofort eine Reha braucht, weil sonst das Ergebnis schlechter wird, dann bekommt er diese Reha auch. Ein Beispiel: Jemand hat eine Verletzung des Ellengelenks und wir wissen, wenn wir ihn jetzt nicht behandeln, dann endet das in einer Bewegungseinschränkung. Dieser Patient würde genauso zur Reha aufgenommen werden wie vorher auch. Ist es aber nur ein zeitliches Problem, das heißt der Heilungsprozess würde vielleicht zwei, drei Wochen länger dann, dann würden wir das in diesem Fall in Kauf nehmen. Es geht darum, das Risiko zu minimieren, dass sich der Patient im Zweifel auch im Krankenhaus noch mit dem Coronavirus ansteckt.

Warum ist es so wichtig, dass zum Beispiel Patienten nach einem Schlaganfall oder nach Unfällen auch weiterhin so schnell wie möglich nach der OP in die Reha gehen?

Riepenhof: Weil es Dinge gibt, die nach einem Unfall oder Schlaganfall ganz früh wieder erlernt werden müssen. Denn der Körper baut ja weiter ab und verliert Muskulatur. Das Ziel ist, diese Muskulatur zu erhalten, denn ein Wiederaufbauen ist manchmal sehr schwer bis unmöglich. Deswegen ist es so entscheidend, dass genau diese Patienten auch weiter ihre Reha bekommen.

Was hat sich im Klinikablauf geändert? Wie sind die Unfallklinik und auch der Reha-Bereich auf Corona-Patienten vorbereitet?

Riepenhof: Aktuell ist es so, dass wir ganz viele Betten frei halten für Menschen, die unmittelbar nach einer Operation in einem anderen Krankenhaus zu uns verlegt werden sollen. Normalerweise werden Schwerstverletzte erst nach ein paar Tagen oder wenigen Wochen zu uns verlegt. Das hat sich jetzt geändert. Jetzt ist es so, dass diese Patienten viel früher zu uns kommen, schon wenige Tage nach dem letzten operativen Eingriff. Wir haben dazu extra Kapazitäten geschaffen und können die Menschen sehr viel früher aufnehmen, als wir das bisher konnten.

Auch Corona-Infizierte können Unfälle haben. Können auch diese Patienten bei Ihnen versorgt werden?

Riepenhof: Der Corona-Patient wird genauso behandelt wie jeder andere. Er kommt zwar durch einen speziellen Eingang hier herein und die Mitarbeiter sind natürlich geschützt. Aber es läuft das komplette Diagnostik-Programm ab und wenn es nötig ist, geht es auch direkt in den OP, wo es einen eigenen Corona-Bereich gibt. Im Anschluss an eine OP kommen Corona-Patienten auf eine Isolierstation.

Und wie ist die Klinik auf den Fall vorbereitet, dass ein Corona-Patient auch intensivmedizinisch versorgt werden muss?

Riepenhof: Wir haben den Vorteil, dass wir zwei Intensivstationen haben. Wir könnten da trennen, also eine Intensivstation könnte die Intensivstation speziell für Corona-Patienten sein.

Welche Schutzmaßnahmen gelten aktuell im Klinikum, im Ansteckungen zu verhindern?

Riepenhof: Erst einmal gilt natürlich ein Abstandsgebot. Darüber hinaus sind alle Mitarbeiter, die nah am Patienten arbeiten, mit Mundschutz, Kittel und Handschuhen ausgestattet. Alle Gruppentherapien wurden eingestellt, nur Einzeltherapien finden noch statt. Wenn Patienten ihre Therapie bei uns abgeschlossen haben, erhalten sie Handouts: Wir filmen die Patienten, wie sie Übungen machen, zusammen mit Korrekturen von Therapeuten. Wir erstellen ihnen also schon während der Zeit des stationären Aufenthaltes ein Programm, das sie dann zu Hause fortführen können. Außerdem rufen die Therapeuten die Patienten an. Wir machen Telefonchecks und stellen so sicher, dass zu Hause weiter trainiert werden kann.

Was raten Sie Patienten, die aktuell noch eine ambulante Therapie brauchen, aber die Reha-Zentren nicht mehr betreten dürfen, weil diese nur noch für stationäre Patienten geöffnet sind?

Riepenhof: Die Einzel-Physiotherapie-Praxen funktionieren ja immer noch. Daher würde ich jedem empfehlen, zu den niedergelassenen Physiotherapeuten zu gehen, dort zu trainieren und ein Heimübungsprogramm mit nach Hause zu nehmen.

Das Interview führte Madlen Zeller, NDR Visite

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Visite | 07.04.2020 | 20:15 Uhr

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