Kita-Studie: In Schleswig-Holstein fehlen 18.000 Plätze

Stand: 20.10.2022 16:20 Uhr

Im kommenden Jahr werden nach einer Berechnung der Bertelsmann Stiftung in Schleswig-Holstein Tausende Kitaplätze fehlen. Um den Bedarf zu decken, müsste das Land viel Geld ausgeben und deutlich mehr Personal finden.

Rund 18.000 Kitaplätze werden bereits 2023 in Schleswig-Holstein fehlen - auf diese Zahl kommt die Bertelsmann Stiftung in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme. Demnach werden allein zusätzlich 11.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren benötigt, außerdem weitere 7.100 für Kinder ab drei Jahren.

Mangel führt zu langen Wartelisten

Dafür haben die Forschenden die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage berechnet: 2021 gaben in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 51 Prozent der Eltern an, dass sie für ihr Kind unter drei Jahren eine Betreuung wünschen. Ein entsprechendes Angebot fanden aber nur 35 Prozent. Es klafft also eine Lücke von 16 Prozent. Für Kinder ab drei Jahren beträgt die Differenz acht Prozent. "Das aktuelle Ländermonitoring zeigt, dass auch 2023 in Schleswig-Holstein viele Familien Schwierigkeiten bei der Betreuung ihrer Kinder haben werden", heißt es im Bericht der Bertelsmann Stiftung für Schleswig-Holstein.

Der Mangel an Plätzen führt zu langen Wartelisten in vielen Einrichtungen. Das bestätigt auch die Vorsitzende der Landeselternvertretung, Kerstin Hinsch. Grund für das Problem sind nach ihrer Einschätzung die fehlenden Fachkräfte. "Der Kita-Ausbau in Schleswig-Holstein ist in den letzten Jahren gut vorangetrieben worden. Das Problem, was sich aktuell massiv darstellt, ist, dass die Gruppen teilweise gar nicht geöffnet werden können, weil gar keine Fachkräfte da sind." Oberste Priorität müsse aus ihrer Sicht qualifiziert ausgebildetes Fachpersonal sein.

Bis zu 9.000 Fachkräfte für kindgerechte Betreuung

Nach dem aktuellen Personalschlüssel laut Bertelsmann Stiftung 4.600 zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden, um den Betreuungsbedarf zu decken. Das würde zusätzliche Personalkosten von 210 Millionen Euro jährlich bedeuten. Allerdings werden laut Bertelsmann Stiftung schon jetzt viele Kinder in Schleswig-Holstein nicht nach einem kindgerechten Personalschlüssel betreut. Zwar stehe das Bundesland im Ländervergleich gut da, dennoch stehe für 56 Prozent der betreuten Kinder nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung.

"Damit 2023 alle Plätze mit Personalschlüsseln nach wissenschaftlichen Empfehlungen ausgestattet sind - auch jene, die noch zur Erfüllung des weiterhin ungedeckten Elternbedarfs geschaffen werden müssen -, fehlen rund 9.000 Fachkräfte", resümieren die Autorinnen und Autoren der Studie. Dadurch entstünden zusätzliche Personalkosten von 407,2 Millionen Euro jährlich. Betriebs- und mögliche Baukosten für die neuen Kitaplätze kämen noch hinzu.

Forderung: Kitapersonal muss entlastet werden

Dass die fehlenden Betreuungsangebote bis 2023 geschaffen werden können, ist laut Bertelsmann Stiftung unrealistisch: "Allein schon das fehlende Personal für den notwendigen Platzausbau ist bis dahin nicht zu gewinnen bzw. zu qualifizieren." Auch Christina Künne, Vorsitzende der Vereinigung der Kitaleitungen, sieht den Fachkräftemangel als größtes Problem: "Es ist ja nicht so, dass nicht Träger auch bereit wären nochmal Räumlichkeiten zu stellen, anzubauen. Auch die Gelder wären ja ein stückweit da. Aber wir könnten es im Moment ja gar nicht besetzen mit Fachpersonal."

Die Bertelsmann-Stiftung spricht von einer "fatalen Wechselwirkung": Zu wenig Personal verschlechtere nicht nur die Qualität der frühkindlichen Bildung für die Kinder, sondern auch die Arbeitsbedingungen für die pädagogischen Fachkräfte. "Dadurch sinken die Chancen, vorhandene Mitarbeiter:innen im Beruf zu halten, was den bestehenden Personalmangel wiederum weiter verschärft." Die Stiftung fordert, das Personal in den Kitas kurzfristig zu entlasten - etwa auch mit zusätzlichen Mitarbeitern in Hauswirtschaft und Verwaltung. In diese Richtung gehen auch Pläne von Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne), die sie kürzlich vorgestellt hatte.

Touré: Ohne Personal geht es nicht

Zur aktuellen Studie sagt Touré: "Wir haben aber die Zahl bei uns von 2.000 und nicht von 18.000. Das werden wir natürlich uns im Detail jetzt angucken, wie die Studie zu dieser Zahl gekommen ist. Aber nichtsdestotrotz, egal bei welcher Zahl wir sind, wir haben ein Defizit was Plätze angeht", sagte die Sozialministerin und fügte an: Der Dreh- und Angelpunkt für eine eine vernünftige frühkindliche Bildung sei das Personal. "Ohne kriegt man das nicht hin. Weil es eine Wechselwirkung hat: Wenn ich zu wenig Personal habe, gehen auch diejenigen, die schon in den Strukturen drin sind. Und deswegen müssen wir diejenigen entlasten, um langfristig eine Situation hinzubekommen, dass man unter vernünftigen Bedingungen in einer Kita arbeitet", sagte Touré.

Opposition fordert eine Fachkräfteoffensive

"Die Landesregierung muss alle Kraftanstrengungen unternehmen, um dem Fachkräftemangel in den Kitas zu begegnen", meinte Ex-Minister Heiner Garg (FDP) und betonte: "Der von Aminata Touré angekündigte Schritt, Quereinsteiger und sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten in Leitungsfunktionen zu bringen, ist aber falsch und bewirkt letztlich genau das Gegenteil." Die Landesregierung müsse alles dafür tun, dass der Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung umgesetzt werden kann, forderte die SPD-Landtagsabgeordnete Sophia Schiebe. Zudem müssten außer neuen Kita-Gebäuden auch dringend notwendige Fachkräfte gefunden werden. Auch der Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen - er vertritt 600 Kitas im Land mit zusammen 39.000 Plätzen - verlangt eine entschlossene Fachkräfteoffensive.

In Niedersachsen und Hamburg fehlen Plätze, in MV Personal

Auch in anderen Bundesländern fehlen Tausende Betreuungsplätze: In Niedersachsen müssten bis 2023 45.500 Plätze geschaffen und 12.000 Fachkräfte eingestellt werden, um den Bedarf zu decken. In Bremen fehlen der Studie zufolge im kommenden Jahr voraussichtlich bis zu 5.400 Kitaplätze und 1.500 Fachkräfte. In Hamburg werden 3.700 Plätze benötigt, davon der überwiegende Teil für Unter-Dreijährige. Beim Personalschlüssel liegt Hamburg laut der Studie im Mittelfeld, dennoch werden 69 Prozent der Kinder in Gruppen ohne genügend Fachpersonal betreut. Um alle Plätze, auch die noch fehlenden, mit entsprechendem Personal auszustatten, müssten 6.200 Fachkräfte eingestellt werden. In Mecklenburg-Vorpommern kann den Berechnungen zu Folge der Rechtsanspruch für alle Kinder mit Betreuungsbedarf erfüllt werden - dort liegt das Hauptproblem im fehlenden Personal. Die Betreuungsqualität sei nicht kindgerecht, so die Autorinnen und Autoren. Es müssten zusätzlich 9.200 Fachkräfte eingestellt werden, damit in 2023 Personalschlüssel erreicht werden, die wissenschaftlichen Empfehlungen entsprechen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.10.2022 | 13:00 Uhr

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