Yaroslavna und Dmytro Asieiev.  Foto: Hannah Bird

Sport verbindet: Wie eine ukrainische Familie schnell Anschluss findet

Stand: 20.03.2022 17:01 Uhr

von Hannah Bird

Ein Mann spielt Tischtennis gegen einen Jugendlichen.  Foto: Hannah Bird
Tischtennis gehörte schon immer zum Leben der ukrainischen Familie.

Die Halle ist voll. Es ist Freitagabend. An vierzehn Tischtennisplatten werden die Kinder und Jugendlichen des Vereins trainiert. Unter ihnen Dmytro Asieiev und seine Mutter. Seit gut einer Woche sind die Beiden als Trainer dabei. Er ist einer der Topspieler der Oberliga-Mannschaft des SSC Hagen Ahrensburg. Seine Heimat: Charkiw in der Ukraine. Der 25-jährige Tischtennis-Profi pendelt normalerweise zwischen seinem Zuhause und Schleswig-Holstein. Er war gerade für ein Punktspiel hier als der Krieg begann.

Bangen um die Eltern 

Dmytro Asieiev, von allen Dima genannt, spricht etwas deutsch und hilft sich sonst mit englisch. Lange bangte er um seine Eltern in Charkiw. "Meine Eltern waren zehn Tage lang im Epizentrum des Kriegs", erzählt er. "Bei jedem Anruf haben sie von einschlagenden Bomben in der Nähe erzählt. Ich habe gesagt, sie sollen auf sich aufpassen." Jede Minute sei er im Internet gewesen, vier oder fünf Tage lang habe er gar nicht geschlafen, so Asieiev. Dann entschieden sich seine Eltern zu fliehen. Sechs Tage lang waren sie mit dem Auto unterwegs, vom Osten der Ukraine nach Ahrensburg.

Raketen direkt vor dem Haus

Yaroslavna und Dmytro Asieiev geben Jugendlichen Tipps für Tischtennis.  Foto: Hannah Bird
Yaroslavna und Dmytro Asieiev geben Jugendlichen Tischtennisspielern Tipps.

"Wir haben uns dazu entschlossen zu fliehen, als es keinen Strom und Wasser mehr gab und wir nichts zu essen und zu trinken mehr hatten", erzählt Yaroslavna Asieieva. "Genau vor unserem Haus hatten mehrere Raketen eingeschlagen, die aber zum Glück nicht explodiert sind", sagt sie und zeigt Fotos auf ihrem Handy. Darauf zu sehen: drei Raketen, die zur Hälfte im Boden stecken, mitten in einem Wohngebiet. "Das dort ist unser Haus", erzählt die Ukrainerin und zeigt auf die Häuser im Hintergrund.

Direkt in die Tischtennis-Abteilung

Yaroslavna Asieieva spricht kein deutsch und auch kaum englisch. Ihr Sohn übersetzt für sie und die anderen und auch eine Mitspielerin des Vereins mit ukrainischen Wurzeln hilft ihr bei der Kommunikation. Sie ist auch beim Interview dabei. Mannschaftskollegen von Dima haben der Familie eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Und Mutter und Sohn trainieren seit gut einer Woche beim SSC Hagen Ahrensburg die Kinder und Jugendliche. Wie an diesem Abend.

"Mussten schnell handeln"

"Wir mussten schnell handeln als der Krieg losging", erzählt Jugendtrainer Erhard Mindermann. Schnell sei klar gewesen, dass Dima länger bleiben werde. "Wir haben gesagt, wir integrieren ihn und er trainiert die Jugend." Am Anfang sei die Situation für den ukrainischen Spieler sehr schwer gewesen, so Mindermann. "Dauernd hat er auf sein Handy geguckt, ob seine Leute noch leben, ob seine Familie noch lebt." Als er dann erzählt habe, dass seine Familie in Ahrensburg angekommen sei, habe der Jugendtrainer spontan gesagt: "Dann kann deine Familie doch heute Abend auch mitkommen zum Training, dann können die auch ein bisschen Tischtennis spielen."

Schnell war klar: Bei "ein bisschen Tischtennis spielen" würde es nicht bleiben. Dmytro Asieievs Mutter ist schließlich selbst professionelle Trainerin und hatte auch ihren Sohn entdeckt und gefördert. Und so ging es gleich los. "Mir war klar, die braucht jetzt etwas, was sie ablenkt und was ihr Selbstvertrauen und Halt gibt", so Erhard Mindermann.

Mutter und Sohn spielen gerne gegeneinander

Schon mit sieben Jahren hatte Yaroslavna Asieieva angefangen mit Tischtennis, spielte in der Ersten Liga Italiens. In der Ukraine arbeitet sie als Sport-Professorin, gibt dort Tischtennistraining. Auch heute noch spielen Mutter und Sohn immer wieder gegeneinander. Auch an diesem Abend. "Das ist meine Mutter, das ist my first coach", ruft Dima zwischen den schnellen Ballwechseln. "Ich bin unendlich glücklich, dass meine Eltern jetzt hier sind", strahlt der 25-Jährige. "Jetzt sind sie sicher."

Als Coachs beim Punktespiel dabei

Nach dem Training findet in der großen Halle in Ahrensburg noch ein Punktspiel gegen Krummesse statt. Dima und seine Mutter sind als Coach dabei. "Time out", rufen die Beiden immer wieder zwischendurch. Dann kommen die jungen Spieler zu ihnen und es gibt Tipps. Danach wird eingeklatscht und das Spiel geht weiter. "Ich habe mich sehr gefreut herzukommen. Ich mag den Verein und finde es toll, dass die Kinder und auch die Trainer mich so warmherzig aufgenommen haben. Und ich freue mich sehr hier Training geben zu dürfen", sagt Yaroslavna Asieieva.

"Wenn ich spiele, vergesse ich alles"

Drei Mal die Woche trainieren die Beiden hier in Ahrensburg. Im April kann Dima sogar als Trainer beim Bundesliga Topverein Borussia Düsseldorf arbeiten. "Wenn ich Tischtennis spiele, vergesse ich alles um mich rum", sagt Dmytro Asieiev. "Vergangenes Wochenende zum Beispiel hatte ich ein Punktspiel und habe mich voll darauf konzentriert, das war gut. Ich habe nicht an die Ukraine gedacht. Sonst sind meine Gedanken immer dort", so Asieiev weiter. Mithilfe des Tischtennis-Sports will sich die ukrainische Familie ihren Lebensunterhalt finanzieren und hier richtig ankommen.

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