Sondervermögen Bundeswehr: Bislang keine Aufträge für SH

Stand: 11.02.2023 10:00 Uhr

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Diese Ankündigung der Bundesregierung ist nun etwa ein Jahr her. Die Erwartungen bei Rüstungsindustrie und Marine in Schleswig-Holstein waren groß - sie wurden bisher enttäuscht.

von Sophia Stritzel

Von dem Sondervermögen Bundeswehr ist laut Bundeswehrverband bislang nichts in Schleswig-Holstein angekommen. Das sorgt für Enttäuschung bei Rüstungsindustrie und Marine. Die Marine sollte unter anderem Korvetten, Fregatten, Mehrzweckkampfboote und ein Jagd-U-Boot erhalten, davon hätten auch die Standorte in Schleswig-Holstein profitiert. Doch die Liste wurde zusammengestrichen - übrig bleibt eine Korvette.

Bundeswehrverband: "Fassungslose" Kritik am System

Das Sondervermögen Bundeswehr sei ein Hütchenspieler-Trick, kritisiert Marco Thiele vom Bundeswehrverband: "Die Erbse ist nicht unter irgendeinem Hütchen, mit dem sie nicht rechnen, sondern da ist überhaupt keine Erbse. Und das macht uns mittlerweile echt fassungslos." Dabei sei Geld allein nicht die Lösung, so Thiele.

"Die Erbse ist nicht unter irgendeinem Hütchen, mit dem sie nicht rechnen, sondern da ist überhaupt keine Erbse. Und das macht uns mittlerweile echt fassungslos." Marco Thiele, Bundeswehrverband

Um die Mittel aus dem Sondervermögen richtig einsetzen zu können, brauche es bei der Marine zunächst neuere, schnellere Abläufe, fordert Thiele: "Das ist so absurd, was da passiert. Jedes Mal, wenn etwas schief geht, wird eine weitere Zwischenebene eingezogen, und es dauert noch länger und wird noch komplizierter. Wenn die 100 Milliarden in dieses System eingehen, können wir das Geld auch gleich irgendwo hin kippen."

Hard- und Software sind bei Auslieferung bereits veraltet

Zwei Beispiele: Bis ein neu gebautes Schiff fertig ist, dauert es teilweise mehrere Jahre. Die Folge: Bei der Auslieferung sind Hard- und Software bereits so alt, dass sie nach kurzer Zeit wieder erneuert werden müssen und das Schiff wieder über längere Zeit nicht einsatzbereit ist. Auch seien die Abläufe rund um die Schiffsinspektionen ein Problem, so Thiele.

Er zieht einen Vergleich heran: Es sei so, als brauche es ein Jahr, bis man sein Auto zum TÜV angemeldet habe, und ein weiteres, bis die Überprüfung durchgeführt worden sei. In dieser Zeit dürfe mit dem Auto nicht gefahren werden. Ein Problem, das den Mangel an Schiffen verstärkt. Wenn es so weitergehe, werde die Marine in sehr naher Zukunft nur noch eingeschränkt einsatzbereit sein, prognostiziert der Fregattenkapitän.

Arbeitskreis Wehrtechnik: "Bisher kein Vertrag unterschrieben"

Die etwa 30 Rüstungsunternehmen in Schleswig-Holstein stehen grundsätzlich gut da. Doch auch hier waren die Erwartungen an das Sondervermögen groß - und nun macht sich Enttäuschung breit, denn von den 100 Milliarden Euro sei bisher nichts angekommen. "Bisher ist noch kein einziger Vertrag unterschrieben worden", sagt Dieter Hanel vom Arbeitskreis Wehrtechnik.

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Schiffe der Marine an einem Hafen. © Screenshot
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Bisher kommt in Schleswig-Holstein nichts an vom Sondervermögen. Problematisch: Einige Unternehmen haben bereits Personal aufgestockt. 2 Min

Rüstungsindustrie hat Personal nach Ankündigung aufgestockt

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat sich vor einigen Wochen per Brief an den neuen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gewandt und gemahnt, dass die heimische Industrie eine Perspektive brauche. Denn nach der großen Ankündigung haben sich die Rüstungsunternehmen darauf eingestellt: "Die Firma Rheinmetall hat zum Beispiel nach der Ankündigung der 'Zeitenwende' Personal aufgestockt und viele Mitarbeitende eingestellt - sie haben von 1.000 gesprochen -, um vorbereitet zu sein", sagte Günther damals. Auch von ThyssenKrupp heißt es: "Wir warten sehr auf Auftragsvergaben vom Bund." Die langfristige Personalplanung hänge direkt damit zusammen.

Große Bau- und Wartungsaufträge könnten ins Ausland gehen

Und auch wenn bald Aufträge nach Schleswig-Holstein kommen sollten, der Größte Teil der 100 Milliarden wird wohl woanders hingehen: "Wir müssen davon ausgehen, dass die großen Aufträge ins Ausland gehen", sagt Dieter Hanel vom Arbeitskreis Wehrtechnik. So wird zum Beispiel der Nachfolger des alternden Tornado-Flugzeuges F35 in den USA gebaut. Damit sind oft auch Folgeaufträge ans Ausland gebunden. Denn dort wo gebaut wurde, findet meist auch die Wartung statt.

Rüstungsindustrie benötigt Zeit für Materialbeschaffung und Bau

Hanel mahnt, die Industrie brauche verbindliche Zusagen, um planen zu können. Kurzfristige Aufträge seien kaum umsetzbar. Das Bundesverteidigungsministerium müsse sich im Klaren darüber sein, wie lange es dauere, neue Panzer zu produzieren. Werde Gerät zum Beispiel an die Ukraine abgegeben, brauche es 36 Monate oder länger, um es zu ersetzen, warnt Hanel: "Wenn jetzt kurzfristig neu beschafft werden muss, dann wird das sicherlich sehr schwer, innerhalb kürzester Zeit zu liefern." Denn auch Material sei teilweise schwer zu bekommen.

Oberster Soldat der Bundeswehr zuversichtlich

Der oberste Soldat der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, gab sich bei einem Besuch Anfang Februar in Kiel zuversichtlich. Es habe allein bis in den Sommer gedauert, bis eine gesetzliche Grundlage von der Politik geschaffen wurde. "Wenn dann ständig im Fernsehen und auf Twitter und überall uns vorgeworfen wird, wir wären zu langsam, da kann ich ihnen nach 45 Jahren Bundeswehr nur sagen: So schnell waren wir noch nie", sagte Zorn. Von 50 Projekten habe er für zwei Drittel Finanzierungszusagen. Nun könnten Aufträge vergeben werden. Vielleicht werden davon auch die Rüstungsunternehmen in Schleswig-Holstein profitieren.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.02.2023 | 19:30 Uhr

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