Brachvogel-Studie auf dem Bildschirm eines Laptops. © NDR Foto: Jörn Zahlmann

Offshore-Windkraft: Brachvögel fliegen tiefer als angenommen

Stand: 06.10.2022 07:53 Uhr

Einige Zugvögel überqueren die Ostsee überraschend häufig auf Turbinenhöhe von Offshore-Windparks. Das belegt eine Studie aus Büsum. Ob die Anlagen deshalb gefährlicher für die Tiere sind, ist unklar.

von Jörn Zahlmann

Mit der Anzahl von Offshore-Windparks steigen auch in Schleswig-Holstein die Sorgen vor massivem Vogelschlag über dem Meer. Was der Offshore-Boom in den kommenden Jahren für Zugvögel bedeutet, versucht das Team von Philipp Schwemmer in Büsum herauszufinden. Seine Forschungserkenntnisse zur Flughöhe von Brachvögeln sind zwar beunruhigend, aber auf zentrale Fragen gibt es noch keine Antwort.

Studiendaten von 51 Tieren

Beispielvogel auf dem Schreibtisch. © NDR Foto: Jörn Zahlmann
Für die Studie wurden die Vögel mit Peilsendern ausgestattet.

Schwemmer arbeitet am Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ). Das Zentrum ist eine Außenstelle der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Die Forschenden gehen davon aus, dass sich die Größe der Windpark-Flächen in der Ostsee - derzeit etwa 418 Quadratkilometer - in den kommenden Jahren vervielfacht. Pläne gebe es laut FTZ für Anlagen auf einer Fläche von rund 27.000 Quadratkilometern. Für die vom Bundesumweltministerium finanzierte Studie haben die Forscherinnen und Forscher zwischen 2018 und 2021 die Daten von 51 Großen Brachvögeln ausgewertet. Die Vogelart gilt in Deutschland als gefährdet. Im Frühjahr ziehen die Vögel unter anderem über Deutschland, Dänemark und Schweden zum Brüten nach Russland. Im Herbst fliegen die Zugvögel zurück.

Flughöhen waren im Herbst besonders niedrig

Die Daten der schleswig-holsteinischen Forschungsgruppe belegen, dass die Brachvögel auf ihrem Rückflug im Herbst von West nach Ost im Mittel auf einer Flughöhe von nur 60 Metern über der Ostsee unterwegs sind. Über Land sind es 335 Meter. "Das ist deutlich tiefer als wir bisher angenommen haben. Woran das liegt, wissen wir derzeit noch nicht. Brachvögel können grundsätzlich eine Flughöhe von mehreren Kilometern erreichen", sagt Studienleiter Philipp Schwemmer. Die Daten würden nahelegen, dass neben dem Brachvogel auch andere Watvogelarten niedriger fliegen als angenommen. Während des Zuges der Tiere im Frühjahr in Richtung Russland oder Finnland liegt der Mittelwert aller gemessenen Flughöhen bei 150 Metern über dem Meer und 576 Metern über dem Land - also deutlich höher als im Herbst.

Offshore-Windkraftanlagen sind in der Regel mehr als 150 Meter hoch, moderne Anlagen sogar über 300 Meter. 74,8 Prozent der sogenannten Migrationzeit verbringen die Vögel während ihres Fluges über die Ostsee laut Studie unterhalb von 300 Metern, also auf potenziellem Kollisionskurs. Auf den Flugrouten der Brachvögel haben die FTZ-Forschenden mehrere Hundert Windturbinen registriert - die meisten davon in Deutschland und Dänemark. Insgesamt hat Schwemmers Team in der Ostsee 717 Windturbinen gezählt.

Kollisionen nahezu unmöglich nachweisbar

Dr. Phiipp Schwemmer vor dem Laptop sitzend am Tisch. © NDR Foto: Jörn Zahlmann
Leitete die Studie: Philipp Schwemmer vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste - einer Außenstelle der Uni Kiel.

Ob die niedrige Flughöhe tatsächlich zu mehr Kollisionen zwischen Watvögeln und Windturbinen führt, ist aus mehreren Gründen derzeit kaum ermittelbar. "Einen Vogelschlag durch Windkraftanlagen nachzuweisen ist schon über Land schwierig und über dem Meer noch viel schwieriger", sagt Schwemmer. Die Installation von Netzen oder Kamerasystemen an den Turbinen sei sehr teuer. Außerdem gebe es noch nicht genug Daten über das Ausweichverhalten der Tiere und mögliche Meidungsreaktionen.

Offshore-Unternehmen untersuchen Ausweichverhalten

Der bundesweite Offshore-Unternehmerverband WAB verweist auf von Windparkbetreibern beauftragte Studien, die ein Ausweichverhalten von Vögeln nahelegen würden: "Wenn sich die Rotoren drehen, umfliegen sie deutlich häufiger den Windpark, als wenn die Rotoren stillstehen", sagt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler. Vorläufige FTZ-Forschungsergebnisse machen ebenfalls Hoffnung: "Wir können anhand erster Daten sehen, dass einige Vögel offenbar nach oben oder auch zur Seite hin ausweichen. Wie viele das genau sind, wissen wir noch nicht. Aber es bahnt sich an, dass einige Vögel Ausweichbewegungen zeigen. Das ist eine gute Nachricht, um das Kollisionsrisiko zu verringern", heißt es von Philipp Schwemmer.

Betriebseinschränkungen während der Zugzeiten?

Die mögliche Abschaltung einzelner Windparks zum Vogelschutz in den Hauptmigrationszeiten ist für die Stiftung Offshore Windenergie vor allem dann realisierbar, wenn über entsprechende Einschränkungen schon vor dem Bau der Anlagen entschieden würde. "In diesem Fall hätten Bieter bereits vorab die Möglichkeit, dies in ihren Wirtschaftlichkeitsberechungen zu berücksichtigen und zu entscheiden, ob sie bieten möchten", teilt die Stiftung mit. Bei Bestandsparks müssten Kompensationszahlungen für die Ausfälle fließen. Die flächendeckende Abschaltung von Offshore-Windparks "in großem Stil" hält die Stiftung angesichts der Situation auf dem Energiemarkt für kontraproduktiv.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 06.10.2022 | 08:30 Uhr

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