Stand: 09.09.2020 00:01 Uhr

Nach Rauswurf: Grote trifft Günther vor Ausschuss

von Anna Grusnick

Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) blickt in die Kamera. © picture alliance/dpa Foto: Frank Molter
Kontakte zu einem Polizeigewerkschaftler und einem Journalisten wurden ihm Ende April zum Verhängnis: der damalige Innenminister Hans-Joachim Grote.

Mehr als vier Monate ist es her, dass der schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote auf Drängen von Ministerpräsident Daniel Günther seinen Rücktritt erklären musste. Mehr als vier Monate sind vergangen, seit sich die einstigen CDU-Parteifreunde zum letzten Mal begegnet sind. Heute nun treffen die Beiden im Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages aufeinander - geladen von der SPD, die, angeführt von Fraktionschef Ralf Stegner, immer noch zahlreiche ungeklärte Fragen sieht.

Hintergrund: Kontakt zu Nommensen und Journalist

Der Rückzug Grotes hatte mitten in der Corona-Pandemie für Irritationen gesorgt. Ministerpräsident Günther hatte das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Innenminister für zerrüttet erklärt und öffentlich betont, die Aussagen Grotes ihm gegenüber hätten nicht der Faktenlage entsprochen - sprich: er fühlte sich von seinem Innenminister belogen. Hintergrund waren Kontakte Grotes zu dem ehemaligen Landes-Vize-Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Thomas Nommensen, und einem Journalisten.

Bestra-Berichte bestätigten schriftlichen Kontakt

Nach Angaben von Günther hatte Grote in einem Gespräch Mitte April zwar eingeräumt, Kontakt zu beiden gehabt zu haben, einen schriftlichen Kontakt aber bestritten. Dass es einen schriftlichen Kontakt gab, wurde später offenkundig - in den sogenannten Bestra-Berichten der Kieler Staatsanwaltschaft, die an das Justizministerium und die Staatskanzlei übermittelt worden waren.

Ermittlungsverfahren macht Nachrichten öffentlich

Denn die Bestra-Berichte basieren auf Whatsapp-Nachrichten, unter anderem ausgetauscht zwischen Nommensen und dem Journalisten. An die Öffentlichkeit geraten sind diese Nachrichten im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Kieler Staatsanwaltschaft. Die Ermittler hatten im Sommer 2019 das Mobiltelefon Nommensens beschlagnahmt, da sie ihm unter anderem vorwerfen, Polizeiinterna und möglicherweise Dienstgeheimnisse an den Journalisten weitergegeben zu haben. Ende August hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Nommensen erhoben.

Auch Nachrichten des ehemaligen Innenministers Grote tauchten in diesem Zusammenhang auf, und so bekam der Whatsapp-Kontakt besondere politische Brisanz. Regierungschef Günther hatte schon einmal in einer Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses Rede und Antwort gestanden und am 29. April 2020 Auskunft über die Gründe für den Rücktritt Grotes gegeben.

Grote weist Günthers Aussagen zurück

Grote selbst hatte schriftlich beteuert: "Ich kann verbindlich aber bereits jetzt aussagen, dass ich weder mit Herrn M. (Name des Journalisten, Anm. d. Red.) noch mit Herrn Nommensen in SMS, Whatsapp und Mails irgendwelche vertraulichen oder persönlichen Informationen ausgetauscht habe." Der 65-Jährige wies die Aussagen Günthers ausdrücklich zurück.

Oppositionsführer Stegner hat viele Fragen

Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. © imago images/penofoto
Ministerpräsident Daniel Günther: Laut Oppositionsführer Stegner hat er Öffentlichkeit und Parlament falsch informiert. Günther sieht der Befragung gelassen entgegen.

Für Oppositionsführer Ralf Stegner von der SPD ergeben sich viele offene Fragen. Er kann nach eigenem Bekunden nicht nachvollziehen, warum ein "integrer" Innenminister gehen musste und vermutet andere Gründe dahinter. Seines Erachtens erfolgte die "ruppige Kabinettsumbildung" aus anderen Gründen. Bereits Ende Juni hatte SPD-Fraktionschef Stegner einen umfangreichen Fragenkatalog an Ministerpräsident Günther geschickt, um die seiner Meinung nach bestehenden Widersprüche, Ungereimtheiten und Unklarheiten aufzuklären. Die Antworten der Landesregierung allerdings brachten laut Stegner nicht die gewünschte Klarheit, vielmehr habe Daniel Günther die Öffentlichkeit und das Parlament über die Gründe für den Rücktritt Grotes falsch informiert.

Welche Rolle spielten Staatsanwaltschaft und Staatskanzlei?

Die Akteneinsicht habe gezeigt, dass es massive Kritik an den Entscheidungen des ehemaligen Innenministers gegeben habe, so Stegner, die bis an die Spitze der Staatskanzlei geteilt worden sei. Stegner vermutet ein unangemessenes Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Staatskanzlei, da die Staatsanwaltschaft Kiel den sogenannten Bestra-Bericht erstellte, über den Grote letztlich stolperte.

Fraglich sei auch, warum die Leitende Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß im Vorfeld des Grote-Rücktritts an zwei Treffen in der Staatskanzlei mit Günther teilnahm. Günther selbst hatte dieses damit begründet, er habe sich über die Inhalte des Bestra-Berichtes austauschen und darüber informieren wollen.

Generalstaatsanwalt: "Staatsanwaltschaften machen keine Politik"

Der Generalstaatsanwalt des Landes, Wolfgang Zepter, hatte sich Ende Juni gegen öffentlich gemachte Vorwürfe zur Wehr gesetzt, wonach sich die Staatsanwaltschaft Kiel im Zuge des Rücktritts von Ex-Innenminister Grote in ein politisches Verfahren eingemischt haben soll. Die Staatsanwaltschaft Kiel sei ihrer Berichtspflicht nachgekommen. "Die Staatsanwaltschaften machen keine Politik", sagte Zepter und machte deutlich, dass solche Berichte verfasst werden müssten: "Sobald im Strafverfahren Beteiligte des öffentlichen Lebens - nicht Beschuldigte des öffentlichen Lebens - aus dem parlamentarischen Raum oder insbesondere Minister betroffen sind."

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Der Generalstaatsanwalt sah weder an der Weitergabe des Berichts an den Ministerpräsidenten noch an dessen direkte Nachfragen an die Leitende Oberstaatsanwältin Heß ein Problem: "Wenn der Ministerpräsident Aufklärungsbedarf hat bei einer seiner Behörden, dann kann er doch diese Behörden fragen."

Stegner moniert frühen Entwurf für Rücktrittserklärung

Stegner moniert weiterhin, dass es bereits am Vorabend des Rücktritts von Grote einen Entwurf für eine Rücktrittserklärung gab, formuliert in der Staatskanzlei. Darin aufgelistet mehrere Gründe und Vorwürfe - unter anderem jener, Grote habe Zwist in der Polizei ausgelöst. In der Rücktrittserklärung vom 28. April 2020 war davon nicht die Rede. Und auch Ministerpräsident Günther stützte seine Erklärung ausschließlich auf das nicht mehr vorhandene Vertrauen.

Grote: "Nicht alltäglich, dass ein Innenminister so ausscheidet"

Der ehemalige Innenminister Grote teilte NDR Schleswig-Holstein auf Nachfrage im Vorfeld mit, es sei "nicht alltäglich, dass ein Innenminister so aus dem Amt ausscheidet". Das zeige auch der lange Zeitraum der breiten öffentlichen Diskussion. Das Ausscheiden an sich sei bei einem solchen politischen Amt keine Frage - all die hohen Ämter seien übertragende Verantwortung auf Zeit.

Loyalität und Offenheit sind für Grote nach eigener Aussage hohe Werte, die sich ergänzen und nicht ausschließen. Hierzu gebe es möglicherweise unterschiedliche Gedanken, so Grote. Der 65-Jährige wird persönlich an der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses teilnehmen. "Wenn der Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages Erläuterungs- und Aufklärungsbedarf sieht und mich zu einem Gespräch einlädt, so werde ich mich diesem Wunsch selbstverständlich nicht verwehren."

Stegner: Günthers Gründe entsprechen nicht der Wahrheit

Ralf Stegner hält eine Rede und hält mahnend den Zeigefinger in die Luft. © imago images / Rüdiger Wölk Foto: Rüdiger Wölk
SPD-Fraktionschef Ralf Stegner: "Wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Staatsanwaltschaft Kiel missbraucht worden ist für innerparteiliche Auseinandersetzungen in der CDU."

Oppositionsführer Stegner sieht weiterhin viele Fragen, die er im Innen- und Rechtsausschuss unter anderem an Ministerpräsident Günther stellen will. Er verwies darauf, dass ein Ministerpräsident jederzeit seinen Minister ohne Angabe von Gründen entlassen darf, wenn er aber Gründe nennt, diese der Wahrheit entsprechen müssten. Stegner sagte NDR Schleswig-Holstein: "Diese Gründe entsprechen nach unseren Erkenntnissen aus der Akteneinsicht nicht der Wahrheit. Dem werden wir nachgehen."

Es gehe darum, in Erfahrung zu bringen, welches die wirklichen Gründe waren und die Widersprüche aufzudecken, so Stegner: "Und wir werden uns auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Staatsanwaltschaft Kiel, die Justiz, missbraucht worden ist für innerparteiliche Auseinandersetzungen in der CDU, in der Landesregierung. Dafür ist die Staatsanwaltschaft nämlich nicht da."

Alles gesagt: Günther sieht Befragung gelassen entgegen

Ministerpräsident Günther sieht der Befragung im Ausschuss gelassen entgegen. Er gehe davon aus, dass die Opposition die aus ihrer Sicht offenen Fragen stellen wird. Er habe der Öffentlichkeit mit seiner Erklärung zum Rücktritt von Herrn Grote am 28. April sowie dem Innen- und Rechtsausschuss am 29. April die Gründe für die "Demission" Grotes ausführlich erläutert. "Dem gibt es nichts hinzuzufügen", sagte Günther NDR Schleswig-Holstein.

Weitere Fragen werden laut Staatskanzlei selbstverständlich umfassend beantwortet. Es sei das Recht und die Aufgabe des Parlamentes und vor allem der Opposition, die Arbeit der Landesregierung zu kontrollieren.

Gut vier Monate nach dem Rücktritt treffen Ex-Minister Grote und Ministerpräsident Günther erstmals wieder aufeinander. Vor den Augen der Opposition, die zahlreiche Fragen vorbereitet hat - begleitet von zahlreichen Journalisten. Einst vertrauten sie einander, heute stehen sie sich als Kontrahenten gegenüber.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 09.09.2020 | 08:00 Uhr

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