Kunst aus dunklen Kanälen: Diebesgut in Kieler Kunsthalle

Stand: 15.11.2022 17:56 Uhr

Diebesgut im Kunstmuseum: Was dem Louvre in Paris und dem Metropolitan Museum in New York passiert ist, passiert jetzt auch in Kiel: Die Antikensammlung muss Kunstwerke an Italien zurückgeben - es handelt sich um Hehlerware.

von Julia Schumacher

Der Raub des Jünglings Kephalos durch die Göttin der Morgenröte: Vor mehr als 2.300 Jahren hat der sogenannte "Unterweltsmaler" im italienischen Apulien diese Szene der griechischen Mythologie auf eine fast einen Meter große Vase gemalt. Der Künstler gilt als einer der bedeutendsten seiner Zeit. Die Bestimmung der Vase war es, eine Grabbeigabe zu sein. Sie ist weit über 150.000 Euro wert und stand bis vor Kurzen nicht nur in der Kieler Kunsthalle - sondern auch im Mittelpunkt einer weltweiten Geschichte um gestohlene Kunst, Hehlerei und viel Geld.

Annette Haug steht für ein Interview in der Kieler Kunsthalle vor der Kamera © NDR Screenshot
Mit der Rückgabe der gestohlenen Vasen an Italien will Annette Haug, die Leiterin der Kieler Antikensammlung, auch ein Zeichen setzen.

Das Gefäß ist eine von vier antiken Vasen, die in den 80er-Jahren auf dunklen Pfaden nach Kiel kam und jetzt von Schleswig-Holstein an die Republik Italien zurückgeben werden musste. "Im Februar 2018 haben wir zum ersten Mal von der italienischen Polizei Nachricht bekommen, dass es eine Rückgabeforderung für unsere Objekte gibt", erzählt Annette Haug, Professorin für Archäologie der Kieler Universität und Leiterin der Kieler Antikensammlung.

Kunst mit problematischer Herkunft

Richtig überrascht hat diese Rückforderung Haug nicht: Die Vasen, die Italien zurückhaben will, hat Haugs Vorvorvorgänger Konrad Schauenburg in den 80er- und 90er-Jahren für die Kieler Antikensammlung erworben: "Wenn man damals auf dem Kunstmarkt Objekte eingekauft hat, dann musste man schon damit rechnen, dass ihre Provenienz nicht ganz gesichert war". Provenienz meint die Herkunft und vorherigen Besitzverhältnisse von Kunst- und Kulturgütern. "Die Objekte stammen sehr wahrscheinlich aus Raubgrabungen, die in den 80er- und 90er-Jahren und bis heute intensiv in Süditalien stattfinden", so Haug. Sie würden dann von zweifelhaften Kunsthändlern aufgekauft und weitervertrieben.

Vasen stehen in der Kieler Kunsthalle © NDR Screenshot
AUDIO: Antike Vasen kehren aus SH zurück nach Italien (1 Min)

Schauenburgs Traum

Trotz dieses Wissens spielten antike Kunstwerke, wie die vier Vasen aus Italien, für Museen und Sammler auf der ganzen Welt eine enorme Rolle. Besonders für diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf die mythologische Forschung legen wollten. Solch ein Schwerpunkt war seinerzeit Konrad Schauenburgs Traum: Bis dahin war für ihn die Kieler Antikensammlung mit ihren vielen Kopien eine "Schreckenskammer des 19. Jahrhunderts". Er wollte sie zu einem Zentrum unteritalienischer Vasen machen - was ihm auch gelang. "Heute würden wir sagen: zu einem hohen Preis," sagt Haug.

Die italienische Polizei jagt die Kunst-Mafia

Gianfranco Becchina © chasingaphrodite.com
Kunsthändler und Galerist Gianfranco Becchina soll laut Ermittlungen der italienischen Polizei Grabdiebe bezahlt haben, um an Kunstwerke zu gelangen.

Das, was Annette Haug gerade in Kiel erlebt, kennen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im New Yorker Metropolitan Museum of Art, im kalifornischen Getty-Museum und im Pariser Louvre: Die italienische Polizei fordert antike Kunstwerke zurück, die von einer Art Kunst-Mafia in den weltweiten Markt gespeist wurden. Eine zentrale Figur war dabei der sizilianische Kunsthändler und Galerist Gianfranco Becchina. 14 Jahre lang ermittelte eine 270-köpfige Einheit der italienischen Polizei, die "Tutela Patrimonio Culturale", um am Ende Hehlerware im Wert von 50 Millionen Euro aufzuspüren.

Bezahlte Grabdiebe plündern antike Stätten

Becchina, so ermittelte es die italienische Polizei, bezahlte Grabdiebe, die an antiken Stätten in Süditalien die Erde nach Objekten wie den Vasen in der Kieler Antikensammlung umgruben. Sein Fall schlug schon im Jahr 2015 Wellen in internationalen Medien. Über Becchinas Baseler Galerie Paladion gelangten die Stücke auf den internationalen Kunstmarkt - an private Sammler, aber eben auch an Museen in den USA, Frankreich und durch Käufe von Konrad Schauenburg auch nach Kiel.

Schauenburg wusste von Raubgrabungen

Konrad Johannes Schauenburg © gemeinfrei
Wollte aus Kiel ein Zentrum für unteritalienische Vasen machen: Konrad Johannes Schauenburg.

Dass Schauenburg wusste, was er tat, da ist sich Archäologin und Sammlungsleiterin Haug ziemlich sicher: "Dass solche Objekte aus Raubgrabungen stammten, das war nicht nur Herrn Schauenburg bekannt. Das war der wissenschaftlichen Community der 80er und 90er durchaus bekannt." Und auch Schauenburg selbst sagte 2001 in den Kieler Nachrichten: "Natürlich stammt vieles, was in den Kunsthandel kommt, aus dunklen Kanälen." Wie den Kanälen von Gianfranco Becchina, der trotz der Summen und schieren Mengen an geraubter Kunst nichts befürchten musste: Seine Taten waren verjährt.

Ankaufsunterlagen vernichtet

Das Geld für den Ankauf der Kunstwerke, die Italien nun wiederbekommt, bekam Schauenburg von der Stiftung "Freunde der Antike" aus Schleswig-Holstein, die 1984 gegründet wurde - und von der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein. Dokumente zu Kauf und Ausfuhr der Kunstwerke gibt es so gut wie keine mehr: "Dass wir keine Ankaufsunterlagen haben, ist nach der Administrationswut deutscher Universitäten ungewöhnlich, sodass wir davon ausgehen, dass sie gezielt vernichtet wurden" - um genau diese Fragen nach der Herkunft nicht mehr nachvollziehbar zu machen, sagt Annette Haug.

Nach juristischer Einschätzung ist die Kieler Antikensammlung nicht verpflichtet, die Kunstwerke an Italien zurückzugeben. Doch in den letzten Jahren habe sich das Denken über diese Dinge verändert, sagt Annette Haug, man wolle einen anderen Umgang mit Kulturgütern: "Deshalb wollen wir mit der Rückgabe, über die wir uns jetzt verständigt haben, ein Zeichen setzen."

Ob es bei den vier Vasen bleibt, die nach Italien zurückgehen, das ist nicht endgültig klar. Denn der Kieler Professor hat insgesamt 150 Kunstwerke für die Antikensammlung erworben - und sie zum Blühen gebracht. Verloren ist Kiels Expertise für unteritalienische Vasen durch diesen Krimi nicht: Teil des Abkommens mit Italien ist, dass sich Kiel regelmäßig Vasen für die Ausstellung ausleihen darf. Ganz legal.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 15.11.2022 | 18:00 Uhr

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