Ein Auto fährt an einem Solarpark vorbei. © picture alliance/David Ebener Foto: David Ebener

Essen oder Energie: Photovoltaikanlagen auf gutem Ackerboden?

Stand: 01.05.2022 06:00 Uhr

Hohe Renditen locken immer mehr Solarunternehmen in die Landwirtschaft. Sie wollen auf Ackerflächen Solarparks errichten. Die Bauernschaft ist gespalten: Verfechter argumentieren mit Energie-Souveränität, Kritiker sehen die Ernährungssicherheit in Gefahr.

von Simon Hoyme

Mario Elwers steht vor einer großen Kartoffelsortiermaschine. Heute wird seine Lieblingssorte - Goldmarie - verarbeitet, er kommt ins Schwärmen: "Sie eignet sich ausgezeichnet für Großküchen. Sie ist festkochend für die Verbraucher. Geschmacklich hat sie einen milden Geschmack und für uns Landwirte ist sie im Anbau auch vorzüglich."

Mario Elwers steht auf seinem Kartoffelacker © NDR Foto: NDR
Der Kartoffelbauer Mario Elwers wird von Großinvestoren vor eine schwierige Entscheidung gestellt.

Elwers ist Kartoffelbauer in der vierten Generation. Damit seine Kartoffeln schön groß und schmackhaft werden, braucht es optimale Böden. Er muss also strikt auf die Fruchtfolge achten, kann nur alle fünf Jahre Kartoffeln auf seinen Feldern in Negernbötel (Kreis Segeberg) anbauen. Entsprechend großes Land wird benötigt, momentan ungefähr 100 Hektar nur für den Kartoffelanbau. Deswegen ist Elwers auch auf Flächen von Nachbarn angewiesen. Und genau um dieses Land macht sich Elwers Sorgen, weil immer mehr Bauern lukrative Angebote von Solarunternehmen bekommen.

"Goldgräberstimmung" in der Landwirtschaft

Kollegen von Elwers sprechen hinter vorgehaltener Hand von "Goldgräberstimmung", die in den letzten zwei Jahren eingesetzt habe. Sie berichten von Drohnen, die über ihr Land fliegen, um geeignete Flächen ausfindig zu machen und von Vertretern, die bei ihnen auf dem Hof stehen, lukrative Angebote in der Aktentasche. Selbst Unternehmen aus Bayern seien im hohen Norden unterwegs - auf der Suche nach geeigneten Flächen. Bloß namentlich genannt werden, wollen wenige Bauern, die in Erwägung ziehen, ihre Flächen an die Industrie zu verpachten: Zu groß sei die Sorge vor Missgunst und Neid in den Dorfgemeinschaften. 

Anlagen für 20 bis 30 Jahre

Vogelperspektive: Ein Traktor fährt auf einem Kartoffelacker © NDR Foto: NDR
Gefragtes Land: Auf diesen Flächen wollen Solarunternehmen Solarparks errichten.

Elwers selbst habe schon drei Anfragen von Solarunternehmen bekommen, die auf seinem Acker bauen wollen, andere Landwirte berichten von ähnlich vielen Angeboten. Das Problem für Elwers: Landwirte wie er zahlen zwischen 400 und 1.000 Euro Pacht pro Hektar im Jahr - Solarunternehmen zahlen mehr als das Doppelte. Das Angebot aus der Industrie: Der Landwirt stellt seine Fläche für 20 bis 30 Jahre zur Verfügung, Photovoltaik-Anlagen werden aufgestellt und liefern Strom aus Sonnenenergie.

Die Folge: Das Ackerland werde knapp. Die Frage stelle sich, ob das Ackerland für die Lebensmittelproduktion oder für Solaranlagen genutzt werden soll, sagt Elwers. "Wir Landwirte haben größte Befürchtung, ob langfristig unser Ackerland ausreicht, um die Bevölkerung auch ausreichend zu ernähren", so der Kartoffelbauer weiter.

Forscher bestätigt den Boom

Jonas Böhm ist Spezialist für Photovoltaikanlagen am Thünen-Institut in Braunschweig (Niedersachsen) und bestätigt den Boom. Deutschlandweit sei die mit PV-Anlagen bebaute Fläche zwar mit 0,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche noch sehr gering. Aber er rechne damit, dass die Bebauung in den nächsten Jahrzehnten massiv zunehmen wird.

Die verstärkten Anfragen seien vor allem durch zwei Faktoren zu erklären. Zum einen die Ausbauziele der neuen Bundesregierung. Diese schaffen verstärkt Anreize, um die Klimaziele zu erreichen. Teil der Strategie sei es, Freiflächen-Photovoltaikanlagen gezielt im Rahmen des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes zu fördern. Ein weiterer Grund ist laut Böhme, Anlagen außerhalb der Einspeisevergütung des EEG zu bauen, weil der Preis für die Module drastisch gesunken sei. In diesem Bereich würden vor allem besonders große Anlagen wirtschaftlich interessant. 

Großprojekt in Pronsdorf - doch nicht ganz vor dem Aus?

Eine von diesen besonders großen Anlagen soll in der Gemeinde Pronstorf (Kreis Segeberg) entstehen. Gutsbesitzer Hans-Caspar zu Rantzau steht auf einem Feld inmitten der leicht hügeligen Landschaft Südholsteins. Hier will er auf 90 Hektar einen Solarpark bauen. Die Vorteile sind laut Rantzau für seinen Betrieb offensichtlich. Zum einen würde das betriebliche Risiko auf ein weiteres Standbein verteilt. Zum anderen sind die Pachtpreise so hoch, dass sich die Unternehmung lohnt.

In der Gemeinde Pronstorf ist das Thema strittig. Bei einem ersten Bürgerentscheid im Dezember setzten sich die Kritiker durch. Ihr Kritikpunkt: Andere Flächen in der Gemeinde, die schon mit Windrädern bebaut sind, seien besser geeignet. Ein Dialogformat soll Frieden in die Gemeinde bringen. 

Auch Kartoffelbauer ist schon lange Energieproduzent 

Aber auch Mario Elwers, der die Solaranlagen in der Freifläche kritisch sieht, nutzt einen großen Teil seines Acker längst, um Energie zu produzieren. Er betreibt gemeinsam mit Kollegen eine Biogasanlage. Der Anbau der benötigten Rohstoffe sei hier aber flexibel, argumentiert er. "Da kann ich natürlich heute Mais bauen, morgen Kartoffel bauen, übermorgen Obst, Gemüse und Getreide." Sollten Getreide oder Gemüse dringend benötigt werden, hätte er die Möglichkeit, entsprechend für die Lebensmittelindustrie zu produzieren. Das sei bei Solarflächen zum Beispiel nicht möglich. Diese Fläche sei dann 30 Jahre aus der Produktion genommen.  

Biogas liefert weniger Energie

Für den Energieexperten Böhm ist dieses Argument zwar theoretisch nachvollziehbar, aber praktisch zeige sich, dass die Nutzung der Flächen für Biogas bis heute kaum flexibel ist. Die Biogasanlagen-Einspeisung sei seit Jahren konstant hoch. Außerdem weist er darauf hin, dass auf die gleiche Fläche gerechnet zwischen 20 und 70 Mal mehr Strom (je nach Standort und Leistung der Anlage) mit Photovoltaik erzeugt werden kann als mit Biogas. Die Solaranlagen seien deshalb aus seiner Sicht deutlich effektiver als Biogas-Anlagen.

Sicher ist in jedem Fall: Der Kampf um die Fläche hat längst begonnen und die Landwirtschaft wird immer öfter zwischen Essen und Energie entscheiden müssen.

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NDR Info | 26.04.2022 | 14:00 Uhr

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