Jodtabletten: In Apotheken knapp, aber Land hat große Vorräte
Der russische Angriff auf die Ukraine wirkt sich auch in Deutschland und in Niedersachsen immer mehr aus. Offenbar werden in Apotheken nun schon Jodtabletten knapp - aus Angst vor Nuklearwaffen?
"Es ist richtig, dass die Nachfrage in den niedersächsischen Apotheken nach Jodtabletten in den letzten Tagen sehr angestiegen ist, wenngleich diese regional unterschiedlich hoch ist", sagte eine Sprecherin der Apothekerkammer Niedersachsen. In Hannover und Wolfenbüttel habe es beispielsweise viele Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern gegeben. Mathias Grau, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen und selbst Apotheker in Horneburg (Landkreis Stade), bestätigt erhöhte Nachfrage und erhöhten Gesprächsbedarf seiner Kunden: Beides habe sprunghaft zugenommen - dasselbe höre er von Kollegen. Für die Beschaffung der Kaliumiodid-Tabletten ist der Pharmagroßhandel (Phagro) zuständig, zu dessen Aufgaben die Versorgung der Apotheken mit den Produkten der Pharmaunternehmen gehört. Bei der Anfrage, ob es schon zu Lieferengpässen bei den Jodtabletten kommt, verwies Phagro an die "zuständigen Behörden".
25,2 Millionen Jodtabletten für Niedersachsen - plus X
Nachfrage beim Innenministerium in Hannover. "Derzeit lagert die Gesamtmenge (25,2 Millionen Tabletten) der zuletzt 2020 durch den Bund beschafften Jodtabletten an einem zentralen Ort im Land. Diese Menge orientiert sich an einer Berechnung des Bundes und wird als ausreichend angesehen", so die Antwort auf eine Anfrage des NDR. Darüber hinaus würden die bisher dezentral vorgehaltenen Jodtabletten weiterhin "in verwendungsfähigem Zustand" an den jeweiligen Lagerorten eingelagert - will heißen, es gibt offenbar noch deutlich mehr als die zuvor genannten 25,2 Millionen Tabletten. Allerdings sind diese nicht für den Handel oder die private Bevorratung vorgesehen. "Die Ausgabe von Jodtabletten an die Bevölkerung würde durch die zuständigen Stellen des Bundes in Zeitpunkt und Umfang empfohlen und dann vom Land aufgerufen werden. Im Bedarfsfall würde eine Ausgabe der Tabletten über die örtlich zuständigen Katastrophenschutzbehörden in jeder Gemeinde und jeder größeren Ortschaft erfolgen. Eine Abgabe an Apotheken oder ein direkter Zugriff auf die eingelagerten Bestände ist indes nicht vorgesehen, da die vom Land vorgehaltenen Jodtabletten ausschließlich für die Ausgabe im konkreten Anlassfall vorgesehen sind."
Ukraine-Krieg und Jodblockade
Doch was haben Jodtabletten überhaupt genau mit dem Krieg in der Ukraine zu tun? Vor wenigen Tagen hat der russische Präsident Wladimir Putin offenbar auch Teile seiner Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzen lassen. Auch ein Kernkraftwerk wurde schon zum Ziel russischer Angriffe. Damit ist das Undenkbare auf einmal wieder denkbar: Ein Nuklearangriff in Europa oder ein durch den Krieg ausgelöster Atomunfall scheinen nicht mehr ausgeschlossen. Hochdosierte Jodtabletten, korrekte Bezeichnung Kaliumiodid-Tabletten, sollen verhindern, dass sich durch die Strahlung radioaktives Jod in der Schilddrüse sammelt. Sie sättigen das wichtige Organ mit nicht-radioaktivem Jod - der Effekt nennt sich Jodblockade. Nicht zu verwechseln sind die Kaliumiodid-Tabletten allerdings mit Jodtabletten, die zur Behandlung von Schilddrüsenkrankheiten verschrieben werden. Denn die Jod-Menge in diesen Tabletten reicht nicht aus, um die gewünschte Jodblockade zu erreichen. "Man müsste 100 dieser Tabletten nehmen, um annähernd den erforderlichen Wert zu erreichen", rechnet Grau vom Landesapothekerverband vor.
Umweltministerium: "Selbstmedikation hat keinerlei Nutzen"
Die Behörden warnen vor der eigenmächtigen Einnahme von Jodtabletten. Das Bundesumweltministerium, auch für die nukleare Sicherheit zuständig, schreibt auf seiner Internetseite: "Aufgrund der Entfernung zur Ukraine ist nicht damit zu rechnen, dass eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich werden könnte. Von einer selbstständigen Einnahme der Tabletten wird dringend abgeraten. Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen." Außerdem schütze die Einnahme von Jodtabletten auch nicht vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe. Vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) heißt es, es gebe keinen Grund zur Bevorratung oder Einnahme. "In Deutschland sind 189,5 Millionen Jodtabletten in den Bundesländern bevorratet, die bei einem Ereignis, bei dem ein Eintrag von radioaktivem Jod in die Luft zu erwarten ist, in den möglicherweise betroffenen Gebieten durch die Katastrophenschutzbehörden verteilt werden", so das BfS auf seiner Internetseite. Das BfS verfolge die Lage in der Ukraine aufmerksam - derzeit lägen keine Hinweise vor, wonach dort in erhöhtem Maße radioaktive Stoffe ausgetreten seien.
