Russlands Krieg: Harte Prüfung für Städte-Partnerschaften im Norden
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert nun schon vier Monate. Wie ist es um die russisch-deutschen Beziehungen bestellt? Der NDR hat sich umgehört, wie es die norddeutschen Städte mit ihren Städte-Partnerschaften in Russland halten. Und NDR Reporter Tobias Lickes hat die Deutsch-Russische Gesellschaft in Hamburg besucht.
Elisaveta Ilina ist Russin und kommt aus St. Petersburg. Sie kann sich noch sehr gut an den Moment erinnern, als sie am 24. Februar von dem Angriff Russlands auf die Ukraine erfuhr. Sie spürte eine Atemnot. "Es war einfach ein Kloß im Hals. Man hat nicht daran geglaubt, dass das passieren konnte und passiert ist." Ilina ist Pianistin und Klavierlehrerin. Sie lebt seit mehr als 15 Jahren in Hamburg. Als der russische Krieg gegen die Ukraine begann, fiel es ihr schwer, weiter zu unterrichten. "Ich weiß ganz genau, dass ich an dem Tag des Kriegsbeginns unterrichten musste. Ich konnte meinen Schülern nicht in die Augen schauen, weil ich aus St. Petersburg komme, was sie wissen und auch sehr schätzen. Wir standen alle einfach nur da und haben gebetet, dass das ein Traum ist und nicht die Realität."
Lieber nicht mit russischem Buch in der U-Bahn
Ilina ist Mitglied in der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Hamburg. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat sie bemerkt, dass sie sich im Alltag unbewusst anders verhält. "Ich wollte mal ein russisches Buch in der U-Bahn aus der Tasche holen und habe das dann nicht gemacht. Weil ich dann dachte: Oha, wie wird das wohl bei den anderen Fahrgästen ankommen?" Dabei will die Russin ihre Herkunft keineswegs verheimlichen. "Ich sage inzwischen immer mutiger, dass ich aus St. Petersburg komme. Gerade, wenn ich mit Kindern spreche. Damit sie sehen: Es gibt auch andere Russen." Also Russen, die gegen den Krieg sind.
"Wir müssen unbedingt Kontakt halten"
Auch für Regine Eickhoff-Jung, die Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft, hat sich seit dem 24. Februar viel verändert. Für sie kam es nicht infrage, alle Beziehungen nach Russland abzubrechen. "Ich war schockiert, dass das möglich war. Ich habe aber auch sofort gedacht, wir müssen unbedingt Kontakt halten und uns für die Völkerverständigung einsetzen. Gerade jetzt müssen wir im Kontakt bleiben und im Austausch bleiben", sagt Eickhoff-Jung. Doch die Arbeit des Vereins sei seit dem Krieg eine komplett andere geworden. Und das ausgerechnet zum Jubiläum: 65 Jahre gibt es die Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg. Da hatte man besonders viel vor. Das geplante Programm ist nun abgesagt. Stattdessen versucht der Verein, zumindest den Kontakt nach Russland mit E-Mails und Telefonaten aufrechtzuerhalten.
"Verständigung zwischen Deutschen und Russen fortsetzen"
Frieder Bachteler ist der zweite Vorsitzende des deutsch-russischen Vereins in Hamburg. Er fährt seit über 50 Jahren nach Russland. Über so einen langen Zeitraum sind natürlich viele Freundschaften entstanden. Eine "Freundschaft auf Eis" gibt es für ihn nicht. "Wir sind entschlossen, die Arbeit zur Verständigung zwischen Deutschen und Russen fortzusetzen. Es wäre ja absurd, jetzt zu sagen: Wir kappen alles und irgendwann in Jahrzehnten fangen wir wieder bei Null an. Das wäre verrückt!" Aber selbst wenn es gelingen sollte, die Kontakte - auch ohne offizielle Anlässe, ohne persönliche Treffen - weiter zu pflegen, bleibt ein Gefühl des Verlustes. "Das schmerzt total! Zumal mir ein Freund aus Russland, der in meinem Alter ist, geschrieben hat: 'Jetzt werden wir uns vielleicht nicht wiedersehen.' So schätzt er das ein", erzählt Bachteler.
Was hilft in dieser Situation?
Die russische Pianistin Ilina hofft, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland bald wieder verbessern. Vielleicht gerade auf einer niedrigschwelligen, informellen Ebene wie in der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Hamburg. "Ich würde mir auch wünschen, dass viele weitere junge Menschen in den Verein kommen. Ich finde diese Arbeit großartig!" Sie hält es für wichtig, dass beide Seiten gerade in diesen schwierigen Zeiten zusammenkommen. "Dafür stehen auch die beiden Städte Hamburg und St. Petersburg: dass man sich hilft und gegenseitig die Hand reicht!"
