Diversity Day: "Der NDR sollte im Programm mehr Vielfalt abbilden!"

Am 10. Diversity Day berichtet der NDR über viele Projekte und Aktionen in Norddeutschland. Auch der Norddeutsche Rundfunk ist Unterzeichner der "Charta der Vielfalt". Doch wie steht es genau um die Vielfalt im eigenen Haus? Zuständig für Diversität im NDR ist unter anderem René Schaar. Der 30-Jährige ist ausgebildeter Mediengestalter und arbeitet seit elf Jahren im Sender. Seit knapp zwei Monaten ist er stellvertretender Gleichstellungsbeauftragter. Schaar ist seit seiner Geburt behindert.
Ist der NDR divers genug?
Schaar: Er tut schon viel dafür. Im Moment repräsentieren wir meiner Meinung nach jedoch die in der Gesellschaft vorhandene Vielfalt noch nicht gut genug im Personal und im Programm. Wenn wir in die Gesellschaft gucken, ist die Hälfte weiblich, ein Fünftel mit Migrationshintergrund, jeder Zehnte ist ein Mensch mit Behinderung, elf Prozent sagen von sich selbst, sie sind nicht heterosexuell, also irgendwo im queeren Spektrum. In unserer Belegschaft repräsentieren wir das noch nicht vollständig.
Wie geht der NDR das Thema an?
Schaar: Wir sind auf einem guten Weg, zum Beispiel was Frauen in Führungspositionen angeht, da sind wir mit 47 Prozent sehr weit. Bei der Auswahl von Auszubildenden und Programmvolontär*innen achtet der NDR bereits seit vielen Jahren auf Chancengleichheit, und das mit Erfolg. Unser Nachwuchs spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft in großen Teilen wider - das betrifft nicht nur den kulturellen Hintergrund oder das Geschlecht, sondern auch den Bildungsgrad und die soziale Herkunft. Darüber hinaus bieten wir all unseren Mitarbeitenden zum Beispiel Antisexismus-Workshops an, in denen es um die Prävention sexueller Belästigung geht. Für unseren Nachwuchs und unsere Führungskräfte sind diese Workshops verpflichtend. So sensibilisieren wir Stück für Stück.
In welchen Bereichen muss der NDR vielfältiger werden?
Schaar: Ein Thema, in dem wir besser werden müssen, ist, Menschen mit Behinderung in unserer Berichterstattung gerecht zu werden. Die gesetzliche Quote von fünf Prozent in der Belegschaft schaffen wir, aber wir sind weit davon entfernt, auch im Programm Menschen mit Behinderung angemessen zu zeigen. Das gilt auch für Menschen mit Fluchtgeschichte. Auch queeren Menschen müssen wir auf Augenhöhe begegnen und sie nicht stereotyp und klischeebehaftet darstellen.
Welche Berichterstattung wünschen Sie sich?
Schaar: Das Nonplusultra wäre, wenn behinderte Menschen nicht nur zur Inklusion befragt würden und Menschen mit Fluchtgeschichte zu Krieg und Vertreibung, sondern, wenn Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder Behinderung in Beiträgen über den besten Kartoffelsalat oder darüber, wie ich mein Geld richtig anlege, ganz selbstverständlich und gleichberechtigt auftauchten. Ohne, dass ihr Diversitätsmerkmal in den Vordergrund gerückt würde.
Wie ermittelt der NDR die Vielfalt im Sender?
Schaar: Es ist ja so, dass wir gewisse Daten haben, die sowieso erhoben werden. Das Geburtsdatum zum Beispiel erfahren wir auch über die Bewerbungsunterlagen. Bei Menschen mit Behinderung wissen wir es nicht unbedingt personenbezogen. Wir haben aber über unsere Schwerbehindertenvertretung eine anonymisierte Zahl, das heißt, die Verhältnisse kennen wir. Bei Menschen mit Migrationshintergrund wissen wir es nicht. Die ARD hat aber das Thema Diversität innerhalb des Personals im Blick.
Nur selten hören und sehen wir Journalist*innen im NDR, die einen ausländischen Akzent haben. Sollte akzentfreies Deutsch aus Ihrer Sicht eine Voraussetzung sein?
Schaar: Ich glaube, wir können den Zuschauer*innen mehr zutrauen. Natürlich muss Sprache verständlich sein, aber gleichzeitig gehören Dialekt und Sprache zur Identität und die darf man, meiner Meinung nach, auch gerne hören. Vor allen Dingen müssen wir die Kolleg*innen, die einen Akzent haben oder noch kein ganz sauberes Deutsch sprechen, generell begleiten und schulen. Es gibt dafür schöne Lösungen wie die Serie "Neu in Hamburg" von Mayss Shehawi im Hamburg Journal. Dafür hat sich ein Autorinnenduo zusammengefunden, das gemeinsam und abwechselnd die Beiträge spricht. Das ist ein guter Kompromiss aus Authentizität und Sprachverständlichkeit.
Den Diversity-Tag gibt es bereits seit zehn Jahren. Finden Sie, es dauert zu lange, den NDR vielfältiger zu machen?
Schaar: Ich bin ungeduldig. Es braucht aber auch Zeit, denn es dauert, bis sich unsere Anstrengungen in der gesamten Belegschaft niederschlagen. Insgesamt wünsche ich mir mehr Leichtigkeit bei dem Thema. Ich stoße immer wieder auf viele Ängste, ins Fettnäpfchen zu treten, auch bei unseren Schulungen. Letztlich geht es doch einfach um einen wertschätzenden Umgang miteinander.
