"Die letzten Groschen sind gefallen": Tschüs, Telefonzelle!
Mehr als 140 Jahre gab es sie: Die sogenannten Münzfernsprecher - jetzt ist ihr Ende endgültig besiegelt: Die gelben Telefonzellen gibt es schon lange nicht mehr, aber auch die modernen Telefonstelen der Telekom sollen bald der Vergangenheit angehören.
Sie wirkt fast etwas deplatziert: eine Telefonsäule an einer großen, viel befahrenen Straße in Hamburg-Altona. An der grauen Säule sind noch deutlich die Spuren von entfernten Graffitis zu sehen. Der Telefonhörer strahlt noch immer in Magenta, ist kaum von der Sonne verblichen. Dafür verschmiert: "Tell them how you feel" (Sag ihnen, wie du dich fühlst) - dazu ist ein Herz mit weißem Edding auf den Hörer gekritzelt. Abnutzungsspuren neben dem Münzschlitz beweisen, dass diese Telefonsäule überhaupt schon mal benutzt wurde.
Die Münzzahlung wird bereits deaktiviert
Noch funktioniert an diesem Apparat die Münzzahlung. Bei einem Passanten werden Erinnerungen wach: An das Telefonbuch, zehn Pfennig, die man an der Telefonzelle reiben musste, damit sie nicht durchfallen. Aus dem Urlaub die Familie anzurufen, schnell die Münzen nachzuschmeißen, um nur "Hallo, mir geht es gut" zu sagen und wieder aufzulegen. Damit ist nun endgültig Schluss: Wie die Telekom in Bonn unter anderem in dem Blog "Die letzten Groschen sind gefallen" mitgeteilt hat, wird an den bundesweit noch rund 12.000 verbliebenen Fernsprechern die Münzzahlung deaktiviert.
Ende Januar 2023 wird der Service eingestellt
Ab Ende Januar 2023 soll dann die gesamte Zahlungsfunktion mittels Telefonkarten und somit der gesamte Telekommunikationsdienst eingestellt werden. Heutzutage wirkt der Service in Zeiten von Smartphones überflüssig - früher war er unverzichtbar. Menschen über 30 erinnern sich. "Wir haben erst sehr spät ein Telefon gekriegt und die Telefonzelle war 300 Meter von unserem Zuhause weg. Es standen immer Leute davor, die dann fürchterlich an die Tür geballert haben: Mädel, nun hör mal endlich auf - wenn man ein bisschen länger gequatscht hat", erzählt eine Frau. Sie habe es immer kalt und zugig in den Telefonzellen gefunden.
"Fasse Dich kurz!"
Andere erinnern sich noch zu gut an den speziellen Geruch. Oftmals habe es nach Urin gerochen, auch das Telefonbuch habe einen ganz speziellen Muff verbreitet. Dafür bot die Telefonzelle auch gerne mal Schutz bei Regen. Trotzdem mussten Emaille-Schilder die Menschen ermahnen, damit sie beim Telefonat mit den Liebsten nicht unnötig trödelten. Jahrzehntelang stand "Fasse Dich kurz!" als Aufforderung an den Häuschen - ergänzt oft durch den Hinweis "Nimm Rücksicht auf Wartende". In der DDR war dies noch länger der Fall, weil dort das private Festnetztelefon weniger schnell zum Massenphänomen wurde.
Emotionaler Abschied von der "letzten" gelben Telefonzelle
Telefonzellen sind heute besonders rar gesät. Die gelben Telefonzellen wurden seit den 1990er-Jahren sukzessive durch Telefonhäuschen in den Unternehmensfarben grau-magenta abgelöst. Den Abbau der vermeintlich letzten seiner Art 2018 am Königssee in Bayern hat die Telekom in einem zehnminütigen emotionalen Video dokumentiert. Ein Radiosender im Saarland startete ein Jahr später eine Aktion, bei der Hörerinnen und Hörer Bilder von Telefonzellen einschicken konnten, die man scheinbar vergessen hatte. Die gelbe Telefonzelle hat Kultstatus.
Die Telefonzelle als Star im Film
In etlichen Filmen und Fernsehproduktionen erhielten Telefonzellen - manchmal auch nur Telefonsäulen - eine Rolle. So zum Beispiel 1998 in Tom Tykwers Film "Lola rennt". In dem Actionthriller ruft der kriminelle Kurier Manni (Moritz Bleibtreu) sorgenvoll aus einer Berliner Telefonzelle seine Freundin an, weil er 100.000 Mark verloren hat. Die Liste mit Filmen, in denen Telefonzellen eine tragende Rolle spielen, lässt sich beliebig fortsetzen: "Fahrstuhl zum Schafott" (1958) mit Jeanne Moreau, "Dirty Harry" (1971) mit Clint Eastwood oder "Matrix" (1999) mit Carrie-Anne Moss. In "Harry Potter und der Orden des Phönix" (2007) avancierte ein typisches rotes Londoner Telefonhäuschen als Eingang zum Zaubereiministerium.
Betrieb rentiert sich nicht mehr
Vielleicht auch deswegen haben viele ausgediente Telefonzellen ein spannendes Zweitleben erhalten. Besonders gern genommen: Das Telefonhäuschen als Bücherschrank im Freien, als Dekorationselement im Garten oder Mini-Tonstudio. Jetzt rentiert sich der Betrieb nicht mehr. Laut Telekom gibt es rund 3.800 Standorte, an denen im vergangenen Jahr kein einziges Gespräch geführt wurde. Fast jeder vierte Fernsprecher wurde also gar nicht mehr benutzt. Bis die letzten Telefonzellen und Telefonsäulen komplett aus dem Landschaftsbild verschwinden, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Der Rückbau startet im Februar und soll zwei Jahre dauern.