Rauchsäulen stehen über dem Stahlwerk der Salzgitter AG in Salzgitter. © picture-alliance/dpa/Norbert Neetz Foto: Norbert Neetz

So hoch ist der Ausstoß der deutschen CO2-Verursacher

Stand: 22.04.2022 15:00 Uhr

Nach einem starken Rückgang im ersten Corona-Jahr ist der industrielle CO2-Ausstoß in Deutschland im Jahr 2021 so sehr gestiegen wie noch in keinem anderen Jahr, seitdem es vergleichbare Daten gibt.

von Ciara Cesaro-Tadic und Marvin Milatz

Kraftwerke, Raffinerien, Stahlwerke und Co. pusteten deutschlandweit im vergangenen Jahr 359 Millionen Tonnen CO2 in die Luft - ein Anstieg um 10,8 Prozent im Vergleich zu 2020. In Norddeutschland stiegen die Emissionen immerhin um 7,8 Prozent. Das hat eine von NDR Data durchgeführte Analyse der Anfang April erschienenen Emissionsdaten der deutschen Industrie-, Energie- und Luftfahrt-Branche aus dem europäischen Emissionshandelssystem ergeben.

Dieses Ergebnis muss man allerdings einordnen: Da 2020 viele Betriebe Corona-bedingt wesentlich weniger produzierten und deshalb auch generell weniger Strom aus fossilen Energieträgern gebraucht wurde, sanken die Emissionen auf ein vergleichsweise niedriges Niveau. Daher ist der Anstieg im Jahr 2021 besonders stark.

Emissionen fast so hoch wie im Vor-Corona-Jahr 2019

Rechnet man diese Corona-Delle heraus, zeigt sich allerdings, dass es auch in den vergangenen zwei Jahren bei Energie- und Industrie-Unternehmen keine nennenswerte Reduktion der CO2-Emissionen gab. So sank der Ausstoß des Klimagases in diesen Branchen von 2019 auf 2021 nur um 3,5 Prozent.

CO2-Ausstoß nach Sektoren

Damit setzt sich ein langanhaltender Trend weiter fort: Das Umweltbundesamt beobachtet bereits seit 2010 eine Stagnation beim CO2-Ausstoß vieler Emittenten, auch wenn - zumindest bei Industrie-Unternehmen und der Energiebranche - derzeit noch alles im gesetzlichen Rahmen ist.

Erreichen der Klimaschutz-Ziele 2030 noch längst nicht in Sicht

So lag der CO2-Ausstoß der Industrie mit 181 Millionen Tonnen CO2 nur knapp unter der im Klimaschutzgesetz für das Jahr 2021 vorgeschriebenen Höchstmenge von 182 Millionen Tonnen. Mit Beginn des neuen Jahrzehnts sollen es nur noch 118 Millionen Tonnen sein.

Für Kraftwerke stehen keine jährlich festgesetzten Reduktionsziele im Gesetz. Allerdings ist ein Endwert definiert: Im Jahr 2030 sollen sie nur noch 108 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Da sich ihre Emissionen im Jahr 2021 noch auf 247 Millionen Tonnen beliefen, müssen sie ihren Ausstoß in neun Jahren mehr als halbieren.

Kraftwerke und Industrie sind größte Verschmutzer

Ob das gelingt, ist fraglich. Denn es ist weiterhin zu attraktiv für Industrie-Unternehmen, auf Kohlestrom zu setzen. "Das liegt vor allem an den stark gestiegenen Gaspreisen", sagt Michael Pahle vom Potsdam Institute for Climate Impact Research. Seit Mitte des letzten Jahres steigt der Gaspreis stark an. "Es ist für Unternehmen derzeit schlichtweg nicht rentabel, von der klimaschädlichen Kohle auf Gas umzusteigen", sagt Pahle. Die Folge: Die CO2-Emissionen nehmen nicht ab.

Dabei dürfte die größte Hebelwirkung gerade im Industrie- und Energiesektor liegen: Laut Umweltbundesamt machten sie im vergangenen Jahr fast 60 Prozent der deutschen Emissionen aus. Gefolgt vom Straßenverkehr (21,8 Prozent) und Haushalten sowie Kleinverbrauchern (17,8 Prozent).

Deutschland: Zwei Drittel der Unternehmen haben mehr CO2 produziert

Die Daten aus dem europäischen Emissionshandelssystem lassen sich auf den Ausstoß einzelner Industrie-Anlagen herunterbrechen. Die Analyse von NDR Data zeigt: Von 896 Unternehmen mit Anlagen in Deutschland - ohne Luftverkehrsunternehmen - haben 611 im Jahr 2021 wieder mehr oder zumindest gleichviel CO2 ausgestoßen wie im Vorjahr.

Einer der Punkte auf der Karte ist das Hamburger Tesa-Werk, dessen Dampfkessel-Anlage im vergangenen Jahr 15 Prozent mehr CO2 ausstieß. Auf NDR-Anfrage erklärt ein Unternehmenssprecher die erhöhten Emissionen mit einer gesteigerten Nachfrage. Die Produktionsmenge von Tesa sei weltweit im vergangenen Jahr insgesamt um 10 Prozent, im Hamburger Werk sogar um 30 Prozent gestiegen. Dadurch steigt der Energieverbrauch entsprechend.

Auch wenn der CO2-Ausstoß insgesamt gestiegen ist, macht Tesa dennoch Fortschritte beim Energiesparen: "So konnten wir weltweit die spezifischen CO2-Emissionen von 0,82 auf 0,80 pro Tonne Endprodukt im gleichen Zeitraum weiter verringern", teilt der Tesa-Sprecher mit. Auch setze man verstärkt auf Biogas - sofern dieses auch ausreichend am Markt erhältlich ist.

Umweltschutz nicht immer Argument für CO2-Einsparung

Bei den Anlagen, die im vergangenen Jahr CO2 eingespart haben, sind längst nicht nur Klimaschutz-Maßnahmen für den Rückgang verantwortlich. Auch das Abschalten einer Industrie-Anlage, weil sie zum Beispiel nicht mehr wirtschaftlich ist, kann dafür sorgen, dass die Emissionen sinken.

Ein Beispiel dafür ist das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg. Es ging 2021 vom Netz – nach nur etwa sechs Jahren Betriebszeit. Das zeigt sich in den Emissions-Daten: Im Jahr 2021 verzeichnete die Vattenfall Heizkraftwerk Moorburg GmbH nur noch 90,5 Kilotonnen CO2-Emissionen für die Anlage. Seit dem Höchststand von 6.200 Kilotonnen nur vier Jahre zuvor sanken die CO2-Emissionen kontinuierlich.

Künftig will Vattenfall auf dem Hamburger Werksgelände mit der Produktion von grünem Wasserstoff experimentieren. Ein mögliches Zukunftsgeschäft, vorausgesetzt der Energieträger lässt sich tatsächlich emissionsarm produzieren.

IPCC sieht Einsparpotenzial vor allem bei erneuerbaren Energien

Auch der Weltklimarat, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), sieht in seinem jüngst erschienenen Bericht die mit Abstand größte Chance für industrielle Emissionsreduktionen in der Verwendung erneuerbarer Energieträger wie grünem Strom, Bio-Gas und Wasserstoff - statt Kohle und Erdgas. Schafft die Industrie diesen Wandel schnell, wäre das Einsparpotenzial deutlich größer als bei anderen Methoden wie größerer Energieeffizienz oder mehr Recycling.

Laut Wissenschaftler Pahle bereiten sich die Unternehmen schon darauf vor, ab einem gewissen Punkt auf grüne Energie umstellen zu müssen. "Allerdings steigt der Handlungsdruck auf die Firmen, diese millionenschweren Investitionen zu tätigen, erst perspektivisch an."

Preis für CO2-Zertifikate steigt allmählich an

Seit 2005 versucht die Europäische Union das CO2-Sparen mit dem Handel von CO2-Zertifikaten zu belohnen. In der Theorie sollen Unternehmen dabei Emissions-Zertifikate kaufen, um ihren Ausstoß damit zu kompensieren. Da sich die Zertifikate stetig verknappen, steigt der Preis und damit der wirtschaftliche Druck auf die Unternehmen, ihre Emissionen zu senken.

Das Problem: In den vergangenen Jahren waren zu viele Zertifikate auf dem Markt - dadurch stieg der Preis nicht an. Die EU versuchte mit einer Reform im Jahr 2018 gegenzusteuern - und in Verbindung mit einem Beschluss von Ende 2020, die Klimaziele zu verschärfen, stieg der Preis für eine Tonne CO2 dann auch spürbar an. "Der CO2-Preis ist also erst seit Kurzem in einer Preisklasse, die Unternehmen zum Reduzieren ihrer Emissionen anregt", sagt Wissenschaftler Pahle.

Da Unternehmen die Zertifikate ähnlich zu Aktien an der Börse aktiv handeln, können Krisen – wie der Angriff Russlands auf die Ukraine – zu Preisschwankungen führen. Derzeit ist noch nicht klar, wie sich der CO2-Preis im Jahr 2022 weiter entwickeln wird.

Nationaler Emissionshandel soll weitere Einsparungen bringen

Als Ergänzung zum europäischen Emissionshandel startete im Jahr 2021 auch ein nationaler. Dieser soll in Zukunft die bisher noch nicht von der EU erfassten Bereiche des CO2-Ausstoßes mit einer CO2-Abgabe versehen. Während beim europäischen Emissionshandel Industrie, Kraftwerke und der Luftverkehr erfasst wurden, soll der nationale Handel auch einen CO2-Preis für Wärmeerzeugung und Verkehr bringen. Da dieser Emissionshandel erst im vergangenen Jahr gestartet ist, ist es noch zu früh, um seine Wirksamkeit bewerten zu können.

Klimawandel: "Die nächsten zwei Jahre sind entscheidend"

Sämtliche Einsparziele sind ambitioniert, doch Wissenschaftler Pahle ist positiv gestimmt: "Wir sind in einer Phase, in der wir nicht mehr versuchen uns mit Zielen zu überbieten, sondern über konkrete Maßnahmen verhandeln. Was davon politisch umsetzbar ist, wird sich in den nächsten zwei Jahren zeigen. Jetzt ist Crunchtime."

Historischer CO2-Ausstoß pro Unternehmen

Weil die Emissionsinformationen im EU-Datensatz nur für Industrie-Standorte angegeben sind, ist die Ermittlung des Gesamtausstoßes eines einzelnen Unternehmens schwierig. In der folgenden Tabelle ist der CO2-Ausstoß aller Anlagen eines Unternehmens in Summe dargestellt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | NDR Info | 22.04.2022 | 14:00 Uhr

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