Folkert Uhde © picture alliance / dpa | Jim Rakete Foto: Jim Rakete

"Brennglas": Pandemie verdeutlicht Probleme in der Konzertbranche

Stand: 07.05.2022 10:32 Uhr

Die Konzert- und Theatersäle sind in diesen Tagen bei weitem noch nicht so voll, wie sie sein könnten. Es muss sich an vielen Stellen etwas ändern, sagt Dramaturg und Musik- und Kulturmanager Folkert Uhde.

Herr Uhde, Sie suchen neue Aufführungsformen für klassische Musik. Was glauben Sie, warum aktuell viele noch nicht wiederkommen?

Ich glaube, es gibt es ganz unterschiedliche Gründe dafür. Ich habe in den letzten drei Wochen mit vielen Kollegen in Berlin gesprochen. Wir sind im Radialsystem Berlin dabei, eine wissenschaftliche Studie zu machen, in der es um das Konzerterleben geht und wir haben festgestellt, dass viele Menschen nachfragen: Wie macht ihr das mit der Maske - wir kommen nur, wenn weiterhin Maskenpflicht besteht. Andere wollen nur kommen, wenn es keine Maske gibt, haben aber gleichzeitig Angst und kommen deswegen nicht. Ich glaube, vielen fehlt dieses Gesellschaftliche, das Soziale, das gemeinschaftliche Erleben. Es gibt in vielen Kulturhäusern noch immer keine Gastronomie. Da ist Etliches verloren gegangen. Und ich glaube schlicht und ergreifend haben viele festgestellt, dass es ganz schön ist, nicht so viel wegzugehen. Es gibt genug im Internet zu schauen. Insgesamt würde ich mich trauen zu sagen, dass man in unserer klassischen Konzertbranche durchaus von 40 Prozent sprechen könnte, die fehlen.

Das sind alles Gründe, aus denen man schließen kann: Es liegt nicht an den Konzerten selbst. Nun ist es Ihre Aufgabe, Konzerte zu verändern. Inwiefern spielen die Formate am Ende doch eine Rolle?

Das ist eine Tendenz, die es schon seit Jahren gibt. Durch Corona ist deutlich geworden, dass das Angebot ganz offensichtlich nicht so attraktiv ist, wie es sein könnte. Ich arbeite seit 15 Jahren daran, nicht erst seit der Pandemie, aber die Pandemie hat durch das Brennglas gezeigt, was nicht ganz so läuft, wie es vielleicht laufen könnte. Für mich ist entscheidend, dass wir wegkommen von diesem Repräsentativen und uns viel mehr darum kümmern, eine Publikumsperspektive einzunehmen, ohne nur noch an das Populäre zu denken. Das wäre im Konzertbereich wahrscheinlich Höchststrafe, weil wir dann bis zum Ende unseres Lebens nur noch die Jahreszeiten von Vivaldi hören würden. Ich glaube, es geht weniger darum, niedrigschwelliger zu werden, sondern als aktiven Vorgang Nähe aufzubauen. Dafür müssen wir unsere Elfenbeintürme verlassen und auf Zuhörerinnen und Zuhörer zugehen.

Erklären Sie das einmal an einem Beispiel. Wie setzen Sie das um?

Was man merkt - landauf, landab - ist: Wenn es eine regionale Anbindung des Publikums gibt, gibt es auch so etwas wie ein Verantwortungsbewusstsein und eine ganz starke Verbundenheit im Sinne einer Community. An diesen Orten funktioniert das weiterhin - das können Festivals sein oder Ensembles in großen Städten, die eine starke Bindung zum Publikum haben. Was schwierig ist, sind Orte, an denen es nur ums Angebot geht, also diese berühmte Hochglanzästhetik in der klassischen Musik, bei der das Publikum nicht wirklich eine Verbindung spürt. Daran müssen wir arbeiten. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Formaten auf das Publikum zuzugehen und andere Ansätze, andere Resonanzpunkte zu finden.

Sie haben die Pandemie gerade in diesem Zusammenhang Brennglas genannt. Kann man sagen, dass das jetzt ganz gelegen kommt und beschleunigt, dass wir noch aktiver nach neuen Formaten, nach Veränderungen suchen?

Als Brennglas erlebe ich das jedenfalls. Man könnte auch sagen Brandbeschleuniger. Es gibt viele grundsätzliche Probleme in der Branche - Stichwort Überalterung des Publikums / vulnerable Gruppen. Das hängt wiederum sehr stark mit der Pandemie zusammen. Es ist klar, dass die besonders vorsichtig sind. Da zeigt sich, dass da sehr viel versäumt wurde. Ich habe schon seit Jahren das Gefühl, dass es eine Entkopplung zwischen dem Kulturbetrieb und einer breiten Gruppe in einer Gesellschaft gibt. Da müssen wir wieder aufschließen und den Kontakt herstellen, den wir verloren haben. Deswegen ist für mich des Rätsels Lösung nicht die Niedrigschwelligkeit, sondern das aktive Herstellen von Nähe, um das Argument aus dem Weg zu räumen: Das hat nichts mit mir zu tun, das interessiert mich nicht, das steht in keinerlei Beziehung zu meinem täglichen Leben, zur Gegenwart.

Weitere Informationen
Leere Stuhlreihen in der Laeiszhalle Hamburg © picture-alliance / jazzarchiv | Isabel Schiffler Foto: Isabel Schiffler

Verunsichertes Publikum: Ticketverkäufe oft schleppend

Die Konzertsäle sind wieder geöffnet - trotzdem bleiben viele Plätze leer. Ein Gespräch mit Joachim Nerger. mehr

Eine Frau mit kurzen Haaren, Brille und gelber Strickjacke lächelt offen in die Kamera © Staatstheater Hannover Foto: Kerstin Schomburg

Sonja Anders: "Wir haben Probleme, die Häuser voll zu kriegen"

Obwohl Theater und Konzerthäuser wieder öffnen dürfen, bleiben viele Menschen zu Hause. Was sind die Gründe? mehr

Andreas Lob-Hüdepohl © IMAGO / Jürgen Heinrich

Corona-Maßnahmen: Keine Solidarität mehr mit den Schwachen?

Im Interview plädiert Ethikrats-Mitglied Andreas Lob-Hüdepohl für eine freiwillige Selbstbeschränkung. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.05.2022 | 17:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Musikfestivals

Klassik

Elbphilharmonie

This Band is Tocotronic, Cover
Podcast von ARD Kultur, rbb, NDR Kultur © ARD

"This Band is Tocotronic" in der ARD Audiothek

Der Podcast von rbb und NDR erzählt die Geschichte der Band. extern

Porträt von Philipp Schmid © NDR Foto: Sinje Hasheider

Philipps Playlist

Philipp Schmid kennt für jede Lebenslage die richtige Musik. Egal ob Pop, Klassik oder Jazz. Träumt Euch zusammen mit ihm aus dem Alltag! mehr

Peter Urban © NDR Foto: Benjamin Hüllenkremer

Urban Pop - Musiktalk mit Peter Urban

Spannende Stories, legendäre Konzerte, bewegende Begegnungen: Peter Urban hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Eine Frau und ein Mann sitzen nebeneinander auf einer Bank, hinter ihnen ist Wasser. © Pedro Deltell Foto: Pedro Deltell

Cinemare Fest in Kiel: Kino live gespielt - wie geht das?

Der Film "Schiffbruch mit Publikum" wird in Echtzeit improvisiert und ins Kino projiziert. Auf dieser Seite können Sie die Live-Produktion heute ab 19 Uhr verfolgen. mehr