Christian Huberts © Christian Huberts
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AUDIO: Games mit Lerneffekt: Wie digitale Spiele zur Erinnerungskultur beitragen (8 Min)

Games mit Lerneffekt: Wie digitale Spiele zur Erinnerungskultur beitragen

Stand: 14.05.2025 17:52 Uhr

Der Medienexperte Christian Huberts ist Experte für Computerspiele, die sich mit Erinnerungskultur beschäftigen. Im Interview spricht er über solche "Serious Games" und wie sie sich von anderen Spielen unterscheiden. 

Am 21. April 1945 haben SS-Leute in einem ehemaligen Schulgebäude im Hamburger Stadtteil Billwerder 20 Kinder zusammen mit ihren Betreuern und politischen Häftlingen umgebracht. An diese Ereignisse wird mit dem digitalen Projekt "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" erinnert, einem Serious Game.

Herr Huberts, was für eine Art von Spiel ist "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm"?

Christian Huberts: "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" ist ein Spielprojekt von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten, was für die Gedenkstätte Bullenhuser Damm entwickelt wurde, ein Ort der Verbrechen der NS-Zeit. Das Spiel spielt in den 70er-Jahren, und dort kann man aus der Perspektive von fünf verschiedenen Schüler*innen auf diese Ereignisse der Vergangenheit blicken. Das sind sehr unterschiedliche Charaktere mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Deswegen bietet das Spiel die Möglichkeit, aus verschiedenen Perspektiven auf die Geschichte zu blicken und auch darauf, was die Geschichte für diese Schüler*innen in ihrer Gegenwart noch bedeutet.

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Wie konkret oder wie abstrakt ist das?

Huberts: Es gibt zum Beispiel einen Schüler, der gerade ein Praktikum bei einem Arzt macht und dort auf Dokumente aus der Vergangenheit stößt. Er kommt dahinter, dass der Vater von diesem Arzt wohl auch in NS-Verbrechen im Kontext des Bullenhuser Damm verwickelt war. Er muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob er das Praktikum fortsetzen möchte. Das ist eine tolle Reflektionsebene für die Schüler*innen, die das Spiel zu Hause oder in der Gedenkstätte in Form eines Workshops spielen und auch beginnen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was diese Vergangenheit für sie und ihr Leben konkret bedeutet.

Wie sehr nimmt das einen mit? Wie brachial sind die Darstellungen dieses Verbrechens?

Huberts: Im Spiel "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" ist das sehr zurückgenommen. Das Spiel hat eine Comic- beziehungsweise Visual Novel-Grafik. Das ist sehr wichtig bei dieser Art von Spielen und beim Umgang mit der Vergangenheit, dass man das nicht so ausschlachtet - das hat man eher bei den großen Produktionen, dass es da eher um Action geht. Aber "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" ist eher ein Serious Game, das heißt, ein Spiel, was sich auf die Vermittlung ernster Inhalte konzentriert und da auf Vermittlung setzt und nicht so sehr auf Effekt.

Wie groß ist diese Welt von digitaler Erinnerungskultur mittlerweile?

Huberts: Digitale Spiele haben sich eigentlich schon immer mit Vergangenheit auseinandergesetzt. Gerade ein paar der wirklich großen Blockbuster-Serien wie "Call of Duty" oder "Medal of Honor" haben sich mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs auseinandergesetzt. Das sind Multimillionen-Dollar-Produktionen. Aber selbst die beginnen, sich dieser Verantwortung für die Darstellung der Vergangenheit immer bewusster zu werden und gehen auch sensibler mit dieser Thematik um. Das ist einerseits ein großer Blockbuster-Bereich, aber es gibt auch die Serious Games, die sich mit Vergangenheit auseinandersetzen. Es gibt auch viele spannende Spiele, die sich im Mittelfeld bewegen: die einerseits immer noch Unterhaltungs-Games sind, aber gleichzeitig mit großem Interesse und großer Sensibilität an geschichtliche Themen, gerade im Kontext der NS-Zeit, herangehen und sowohl lehrreich sind und vermitteln, aber auch unterhaltsam und involvierend sind.

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Wenn ich in meiner Schulzeit Klassenkameraden über die Schulter geschaut habe, dann wurden da in Ballerspielen irgendwelche Nazis abgeschossen. Das ist ja keine Erinnerungskultur. Aber Sie sagen, da verändert sich auch bei den kommerziellen Produktionen etwas, richtig?

Huberts: Genau. Ein Beispiel der letzten Jahre ist "Call of Duty: WWII": Dort gibt es das klassische Geballere an den Stränden der Normandie, aber auch zum Beispiel einen Epilog, wo man als US-Soldat ein Arbeitslager befreit und dort völlig gewaltfrei eingeführt wird in das, was hinter der NS-Ideologie steht, die man die ganze Zeit mit Waffengewalt bekämpft hat und die dann plötzlich für einen Moment konkret wird in einem sehr ruhigen, berührenden Moment. Das sind Szenen, die man immer öfter in dieser Art von Spielen findet, die den Fokus verschieben von dieser Action hin zu einer ernsthaften, sensiblen Auseinandersetzung.

Man betritt in diesen Spielen eine vergangene Realität. Wo liegen dort die Grenzen in der Darstellung?

Huberts: Das ist bei digitalen Spielen spannend, weil die Chancen und Grenzen der Darstellung von Vergangenheit da sehr eng beieinander liegen. Was Computerspiele toll können, was ihr Unique Selling Point ist, ist, dass die Spielenden dort selbst aktiv werden können. Sie können auch in historischen Kontexten Handlungsräume kennenlernen. Wie können sie sich da verhalten? Was hat das für Konsequenzen?

Aber das gerät dann auch schnell an Grenzen, wenn es zum Beispiel um die Darstellung von Opferperspektiven geht oder sogar von Täterperspektiven. Damit muss man sehr sensibel umgehen, um Geschichte nicht zu verzerren oder den falschen Eindruck zu erwecken, historische Akteure hätten in einer Art und Weise handeln können, die faktisch nicht möglich gewesen wäre, einfach nur, damit man im Rahmen von einem Spiel Handlungsfreiheit erleben kann.

Wie reagieren Jugendliche auf solche Spiele? Was geben die für Rückmeldungen?

Huberts: Ein Spiel wie "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" wurde gezielt entwickelt, um es im Schulunterricht oder in Workshops an der Gedenkstätte einzusetzen. Da wurden schon früh im Produktionsprozess die Fokusgruppen von Schüler*innen einbezogen. Soweit ich das gehört habe, fanden die das alle sehr gut. Trotzdem ist klar, dass diese Art von Spielen nicht konkurrieren kann mit den großen Produktionen, was den Unterhaltungswert angeht. Aber gerade im Kontext von Schulunterricht, von Workshops sind sie trotzdem weitaus involvierender als etwa einen Text durchzulesen. Das gehört natürlich auch zur Vermittlung von Geschichte, aber da sind Spiele wie "Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm" eine spannende Erweiterung der Möglichkeiten und Werkzeuge, die man hat, um die Themen involvierend zu vermitteln.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 14.05.2025 | 16:45 Uhr

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