Dmitrij Kapitelman: "Eine Formalie in Kiew"
In Alter von acht Jahren ist der 1986 in Kiew in der Ukraine geborene Schriftsteller Dmitrij Kapitelman mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen.
Er hat in Leipzig Politikwissenschaften und Soziologie studiert, die Journalistenschule in München besucht und arbeitet als freier Journalist. Musiker ist er auch, unter dem Künstlernamen Dheema veröffentlichte er Songs, die er "Querulantenkram" nannte. In seinem ersten Roman "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" hat er eine Reise mit dem Vater nach Israel beschrieben. In seinem neuen Buch erzählt er von einer Reise in die Ukraine: "Eine Formalie in Kiew".
Dmitrij Kapitelman ist das, was man im Journalismus gern eine "Edelfeder" nennt. Mühelos tanzt er mit der Sprache durch verschiedene Genres. In sein neues Buch steigt er satirisch ein, nimmt die Bürokratie zweier Länder auf die Schippe, Deutschland und Ukraine. Dann wechselt der Text in einer Art Kreuzblende zur tief erschütternden Begegnung mit einem kriegsversehrten Land und seinen Menschen, kehrt zwischendurch zu konfliktbeladenen Auseinandersetzungen mit der Mutter und ihren Versäumnissen nach Deutschland zurück.
Besuch bei dem schwerkranken Vater
Er unterscheidet die Damals-Mama seiner Kindheit und die Heute-Mama mit viel zu vielen Katzen, teilt Damals-Papa und Heute-Papa und endet schließlich in einer weich melancholischen Liebeserklärung an beide: Für-immer-Mama und Für-immer-Papa. Solche Passagen, wie sie Kapitelman gelingen, kann kaum ein Gegenwartsautor in dieser heiteren Anmut und Zärtlichkeit unserer Sprache entlocken. Er beschreibt einen Besuch beim inzwischen schwerkranken Vater, der ihn mit allerhand Köstlichkeiten beschenken möchte:
Doch ich schimpfe, dass er sich zu wenig bewegt, seine Übungen nicht macht, unzusammenhängend redet, sich nicht genug ans Leben, nicht mit aller Kraft an uns klammert. Ja, ich schleudere sogar Sachen umher und trete entnervt gegen das Fach mit dem Messer für die Melonen. Er steht da, verschrumpelt und still, nur in Jogginghose, ganz dünn gewordene Ärmchen, rot umkrustete, unsicher flackernde und sich doch ihrer Sache gewisse Augen.
Trotz seiner Verfassung bittet mich Für-immer Papa, neue Heldengeschichten davon zu erzählen, wie ich in Deutschland prosperiere - meinem Deutschland. Die hört er am liebsten. Für-immer-Papa sagt, dass er mich liebt und stolz auf mich ist. Fast hinterherrufen muss er es mir, als ich zur schweren Holztür am Eingang des Grundstücks meiner Eltern haste. Absolut nichts ist so gleichgültig wie Nationalitäten.
Leseprobe
Bestechungsgelder im Behördensumpf
Denn darum ging es bei seiner Reise in die Ukraine. Der Ich-Erzähler möchte nach 25 Jahren in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, um sich freier in der Welt bewegen zu können, ohne überall ein Visum beantragen zu müssen. Die Sachbearbeiterin in der deutschen Behörde sagt ihm, dass er dazu eine Apostille braucht.
Das ist die Geburtsurkunde mit einer Bescheinigung einer höheren Behörde, dass diese Geburtsurkunde echt ist. Das wird mit Siegel und richtigem Garn tatsächlich vernäht und ist nur in seiner Geburtsstadt Kiew zu bekommen. Also muss er dorthin, sich durch den Dschungel von Bestechungs- und Behördensumpf kämpfen, mit seiner Heimat beschäftigen, mit dem Verlust, mit Sehnsucht und Erschrecken. Er trifft einen Kinderfreund wieder, isst Berge von Pelmeni und sauren Gurken, trinkt Wodka und besichtigt dieses Land:
Die Ukraine ist schon ein unglückseliges Land, jetzt wird sie auch noch in ihre Einzelteile zerrissen. Leseprobe
Er könnte noch ein letztes Stück Kiewer Torte speisen und nach Deutschland zurückfliegen. Doch dann ist da noch etwas zu erledigen. Man begleitet diesen Helden und lässt sich verzaubern von einem schier unverwüstlich wirkenden Glauben an Menschlichkeit.
Eine Formalie in Kiew
- Seitenzahl:
- 176 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser Berlin
- Bestellnummer:
- 978-3-446-26937-8
- Preis:
- 20,00 €
