Stand: 01.08.2019 16:49 Uhr

1929 - Der "schwarze Donnerstag" in Neumünster

von Werner Junge

Das Buchcover des Buches "Bauern Bonzen Bomben" von Hans Fallada. © picture alliance / akg Foto: akg-images
"Bauern Bonzen Bomben" - dieses Buch machte Hans Fallada bekannt.

Das Jahr 1929. Seit fast zwölf Monaten rumort es in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die Landwirte rebellieren. Schlechte Ernten, Importweizen überschwemmt den Mark, die Preise sind im Keller, die Zinsen und Steuern hoch. Die Weimarer Republik kommt den Bauern nicht entgegen. Im Gegenteil: Es wird hart durchgegriffen und versucht, Schulden zur Not mit Hilfe der Polizei einzutreiben. Am 1. August 1929 entlädt sich der Protest erneut in einer Demonstration. Etwa 3.000 Landwirte marschieren in Neumünster. Vorneweg - an einer Stange mit senkrecht angebrachter Sense - trägt Walter Muthmann eine schwarze Flagge mit weißem Pflug und rotem Schwert: das Symbol der neuen Landvolkbewegung. Dieses Symbol will die Polizei nicht sehen. Mit gezogenem Säbel drängen die grün uniformierten in den Protestzug. Es kommt zum Handgemenge, Blut fließt, am Ende ist die schwarze Flagge in der Hand der Polizei. Der Tag geht als "schwarzer Donnerstag" in die Neumünsteraner Stadtgeschichte ein.

Die Folgen

Die gewaltsame Beschlagnahme der Landvolkflagge hatte Folgen. Die Bauern aus dem Umland boykottieren Neumünster. Märkte fielen aus, Lebensmittel wurden nicht geliefert, das Notwendige nicht mehr in der Schwalestadt gekauft. Ein schwerer Schlag für die rund 40.000 Neumünsteraner. Die Leder- und Tuchindustrie lagen danieder. Nach der Krise kam die Weltwirtschaftskrise und dann der Boykott. Erst nach 16 Monaten gab der Bürgermeister auf. Im November 1930 wurde die Fahne in einem feierlichen Akt an die Landvolkbewegung zurückgegeben.

Eine Bewegung ohne Strukturen

Die Landvolkbewegung gab es so nur in Schleswig-Holstein. In bewusster Opposition zu den eigenen überbrachten bäuerlichen Verbänden hat sie keine Organisationsstruktur entwickelt. Dafür gab es zwei Führungsfiguren. Das waren einmal der Eiderstedter Wilhelm Hamkens. Er saß bis zum "schwarzen Donnerstag" in Neumünster im Gefängnis. Um ihn in der Boostedter Straße abzuholen, hatte sich der Demonstrationszug formiert. Die andere Leitfigur war der Norderdithmarscher Claus Heim. Im Januar 1928 nahm Deutschland zum ersten Mal die Landvolkbewegung wahr. In den 20 Kreisstädten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein demonstrierten zusammen 140.000 Landwirte gegen das "System". Hamkens und Heim gingen unterschiedliche Wege. Heim stand hinter zahlreichen Bomben, die seit dem Mai 1929 unter anderem vor Landratsämtern explodierten. Wie durch ein Wunder verursachten sie nur erhebliche Sachschäden.

Porträt
Porträt des Schriftstellers Hans Fallada © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

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Zeitzeuge Rudolf W.F. Dietzen

Als "Hilfsredakteur" beobachtete Rudolf Wilhelm Friedrich Dietzen den "schwarzen Donnerstag". Auch bei den daraus folgenden Prozessen war er dabei. 1931 verarbeitete er das Miterlebte in dem Roman "Bauern, Bonzen und Bomben". Für den als Hans Fallada schreibenden Autor wurde dieses Buch zum Durchbruch. Auch wenn Neumünster als "Altmark" bezeichnet wird und Hamkens und andere Beteiligte neue Namen bekamen, gibt der Roman ein sehr präzises Zeitbild über das Ende der Weimarer Republik in Schleswig-Holstein und die "Landvolkbewegung".

Landvolk und die Nationalsozialisten

Der gelernte Historiker und spätere Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg stellte in seiner Untersuchung zu den Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk zwischen 1918 und 1933 fest, das Wahlverhalten im Norden sei auffällig gegen den Trend in Deutschland gewesen. So wählte kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Provinz rot, zum Ende der Weimarer Republik kippte das genau ins Gegenteil. Schon von 1929 an fuhr die NSDAP vor allem auch in den Hochgebieten der Landvolkbewegung ihre besten Ergebnisse ein. Es gab zwischen den Nationalsozialisten und der Landvolkbewegung auch Berührungen. Gauleiter Hinrich Lohse versuchte alles so zu steuern, dass es klare Grenzen zur Landvolkbewegung gab. Claus Heim - eigentlich nach den Bombenattentaten zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt - kam schon 1932 frei. Er blieb seinen Ideen treu, wahrte aber zu den Nationalsozialisten und ihrer Ideologie bewusst Distanz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 01.08.2019 | 21:20 Uhr

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