Homeschooling wegen Corona: Schüler und Eltern unzufrieden
Viele Schüler und Eltern sind nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie das Homeschooling derzeit abläuft. Das erfuhr NDR Schleswig-Holstein auf Nachfrage bei Schülervertretungen und Elternbeiräten.
Tausende Schüler und Schülerinnen in Schleswig-Holstein können wegen Corona derzeit nicht am Unterricht teilnehmen. Das bestätige eine Sprecherin des Bildungsministeriums auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein. Die betroffenen Jungen und Mädchen der insgesamt rund 300.000 Schüler in Schleswig-Holstein haben entweder eine nachgewiesene Corona-Infektion oder sie gelten als Kontaktperson. Sie sind also darauf angewiesen, dass sie mit Unterrichtsmaterialien versorgt werden und nicht zu viel verpassen.
Maximilian Henningsen, Landesschülersprecher der Gemeinschaftsschulen, hat sich bei etlichen Schulen umgehört und zieht eine nüchterne Bilanz: "Das, was stattfindet, ist 'Homeschooling at its worst'. Es kann doch nicht sein, dass wir so alleingelassen werden."
Schülersprecher: Die Lehrer sind schwer zu erreichen
Wer zu Hause sitzt, "hungert bildungsmäßig aus" - so die heftige Kritik des 18 Jahre alten Schülersprechers. Er und viele andere Schüler und Schülerinnen fühlten sich wie 2020 im ersten Lockdown. Lehrer würden häufig nur ihre E-Mail-Adresse herausgeben, Gespräche über Telefon gebe es viel zu selten.

Videokonferenzen? Auch das findet nach Beobachtungen des Schülervertreters nur am Rande statt. "Stattdessen bekommen die Schüler nicht selten Nonsens-Aufgaben über die Lernplattformen - das ist dann verschwendete Zeit." Maximilan Henningsens Forderung: "Die Lehrkräfte müssen sich verfügbar machen. Das kann ja zum Beispiel auch über einen Vertretungslehrer laufen."
Eltern: Um vieles muss man sich selber kümmern
Auch viele Eltern beobachten mit Sorge, wie das Distanzlernen läuft. Vom Landeselternbeirat der Gymnasien heißt es: "An vielen Schulen erhalten die Schülerinnen und Schüler in Quarantäne oftmals lediglich von Mitschülern überbrachte Unterrichtsmaterialien, so als seien sie krank. Vorhandene Lernmanagementsysteme werden zu oft nicht genutzt." Videokonferenzen gebe es nur selten.
Eine Mutter, die ein Kind an einer Grundschule im Kreis Plön hat, sagte zum Beispiel: "Als mein Sohn in Quarantäne war, musste ich mich um vieles selbst kümmern. Eine Mitschülerin hat netterweise ein kleines Video gemacht und selbst ein bisschen was aus dem Unterricht erklärt." Um eine angemessene Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, fordert der Elternbeirat vom Bildungsministerium, Mindeststandards für die Schulen vorzugeben.
GEW: Schwierig, Schüler in Quarantäne mit einzubeziehen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die Interessen der Lehrkräfte vertritt, weist darauf hin, dass die Belastung hoch sei. Die Vorsitzende Astrid Henke sieht auch, was das Problem ist: "Es ist schwierig, die Schülerinnen und Schüler, die sich in Quarantäne befinden, einzubeziehen."
In Zeiten der Lockdowns war es einheitlicher, denn da gab es für alle Distanzunterricht. Jetzt käme zusätzlich zum Präsenzunterricht noch die Aufgabe hinzu, sich um die Quarantäneschüler zu kümmern. Auch der Sprecher des Bildungsministeriums, David Ermes, sagt: "Parallel Präsenzunterricht und Online-Unterricht - das kann nicht funktionieren."
Elternbeirat fordert Hybridunterricht
Viele Schüler und Eltern äußern den Wunsch, dass man sich von zuhause aus per Video in den Klassenraum zuschalten kann - sozusagen per Livestream in den Unterricht. Der Elternbeirat Gymnasien spricht sich ganz klar für solch einen Hybridunterricht aus. "Das wäre doch das Einfachste, die Schüler von zuhause einfach dazuzuschalten", sagt die Vorsitzende Claudia Pick. Die Quarantäneschüler könnten dann auch nachmittags Hausaufgaben viel besser lösen. "Aber da war nie das Interesse. Hybridunterricht - das wurde nie ernsthaft betrieben" - so die Kritik auch ans Bildungsministerium.
Ministerium: Livestream des Unterrichts hat rechtliche Grenzen
Von dort kommen zu dieser digitalen Unterrichtsform in der Tat Bedenken. "Das ist nicht so leicht, da gibt es Gründe des Datenschutzes und des Arbeitsrechtes, die dagegen sprechen", sagt der Sprecher des Ministeriums David Ermes. Man stelle sich vor, der Schüler sieht den genauen Unterricht in der Schulklasse. Eltern oder andere Fremde könnten die Schulstunden mitverfolgen, das Lehrer- und Schülerverhalten genau beobachten oder vielleicht sogar im Anschluss über das Netz verbreiten.
Die Technik versagt
Dennoch gibt es laut der Landesschülervertretung Gymnasien etliche Schulen in Schleswig-Holstein, die Hybridunterricht immer mal wieder ausprobieren. Nicht jeder will das - mal sind die Lehrer nicht begeistert, mal möchten es auch die Schüler nicht. Vorstandsmitglied Paul Saupe ist selbst Schüler an der Jungmannschule in Eckernförde. "Wir machen das immer mal wieder - vor allem in den höheren Jahrgängen. Lehrer schalten Schüler zu - oder Schüler schalten Schüler zu." Mal sehen die Jugendlichen über den Bildschirm die Tafel oder das Smartboard, mal hören sie nur den Ton. Es funktioniere, allerdings auch nicht besonders. Und das liege auch an der Technik. Der Landesschülersprecher der Gymnasien, Ben Fricke, kann da nur zustimmen. An seinem Eckhorst Gymnasium in Bargteheide scheiterten diese Versuche auch häufig an der Technik. "Ich glaube nicht, dass das an irgendeiner Schule im Land richtig zuverlässig funktioniert."
GEW: Lehrer gehen auf dem Zahnfleisch
Vielen Schülern zu Hause wäre laut Schülervertretungen schon geholfen, wenn sie mit den Lehrern - auch telefonisch - besser in Kontakt stünden. Der Vorwurf, Lehrkräfte seien oft nur per Mail zu erreichen, kommentiert Astrid Henke von der GEW wie folgt: "Das E-Mail-System ist sicherlich für die Schüler nicht befriedigend." Natürlich können und würden die Lehrer auch immer mal die Kids zu Hause anrufen. Aber auch das habe am Nachmittag seine Grenzen. "Die psychische Belastung der Lehrer und Lehrerinnen ist hoch, viele gehen ein Stück weit auf dem Zahnfleisch."
Gerade die jetzige Zeugnis- und Konferenzzeit sei zusätzlich belastend. Und dann ist da laut Ministerium noch ein ganz generelles Problem: Lehrermangel. Daran werde aber permanent gearbeitet, sagt Ermes: "Wir stellen jeden ein, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind." All das hilft allerdings zurzeit nicht denjenigen, die den Präsenzunterricht wegen Corona verpassen.
