Stand: 22.06.2020 17:56 Uhr

Ex-Innenminister Grote: Die Entwicklung seit dem Rücktritt

Der Abgang des schleswig-holsteinischen Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU) mitten in der Corona-Krise kam für die meisten im Kieler Regierungsviertel überraschend und völlig unerwartet. Noch immer gibt es viele Fragen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erklärt, er habe kein Vertrauen mehr in Grote.

28. April 2020: Der Rücktritt von Grote

Es war eine Kabinettsumbildung, mit der wohl keiner zu diesem Zeitpunkt gerechnet hatte. In einer eilig verschickten Einladung bat die Staatskanzlei die Journalisten der Landespressekonferenz zu einem Statement von Ministerpräsident Daniel Günther. Dieser wolle sich zu einer Personalentscheidung äußern.

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Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) blickt in die Kamera. © picture alliance/dpa Foto: Frank Molter

Innenminister Hans-Joachim Grote ist zurückgetreten

Innenminister Grote hat sein Amt niedergelegt. Ministerpräsident Günther sagte, eine weitere Zusammenarbeit sei ausgeschlossen - wegen Erkenntnissen aus einem Ermittlungsverfahren gegen einen Polizisten. mehr

Persönliche Erklärung Grotes: Nur wenige Minuten später kam die nächste Presseerklärung, dieses Mal aus dem Innenministerium. Noch-Innenminister Hans-Joachim Grote kündigte darin in einer kurzen persönlichen Erklärung seinen Rücktritt mit Ablauf des Tages an. Er habe dem Ministerpräsidenten angeboten, sein Amt niederzulegen, um möglichen politischen Schaden abzuwenden, schreibt Grote. Er verweist auf ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen einen Beamten der Landespolizei und einen Schriftwechsel zwischen ihm und einem Journalisten, der im Zuge der Ermittlungen an Ministerpräsident Günther übermittelt worden sei. Der Ministerpräsident, habe seinem Wunsch, das Amt niederzulegen, entsprochen.

Statement Günther: Knapp eine Stunde nach der Ankündigung, sich äußern zu wollen, trat Ministerpräsident Günther vor die Presse und erklärte seine Kabinettsumbildung. "Die Zusammenarbeit in einer Regierung basiert auf Vertrauen und Offenheit. Erkenntnisse aus einem laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel gegen einen Polizeibeamten schließen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Innenminister aus. Um eines vorab klarzustellen: Das Ermittlungsverfahren richtete sich ausdrücklich nicht gegen den Innenminister."

Ministerpräsident Günther sagte, die ersten Hinweise über einen Bericht der Staatsanwaltschaft (Bestra) habe er am 11. März bekommen. Aufgrund der Corona Krise habe ein Gespräch dazu mit dem Innenminister am 14. April stattgefunden. "Ich habe dann am 21. April einen weiteren Bestra-Bericht erhalten über die Staatsanwaltschaft, über das Justizministerium, direkt an mich als Ministerpräsident. Und dieser Bestra-Bericht hat für mich Erkenntnisse gebracht, aus denen mir unmittelbar klar wurde, dass eine weitere dauerhafte Zusammenarbeit auf vertrauensvoller Basis mit dem Innenminister nicht möglich ist. Und deswegen habe ich ihn um ein Gespräch gebeten, das heute Morgen stattgefunden hat - heute im Laufe des Tages haben weitere Gespräche stattgefunden und Hans-Joachim Grote hat dann seine Entscheidung getroffen", erklärte Günther.

Der Ministerpräsident ging auf die Hintergründe nicht näher konkret ein. Die Aussagen Grotes hätten der Faktenlage widersprochen, das lasse einem Ministerpräsidenten keine Wahl. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein geht es bei dem benannten Verfahren um die Ermittlungen gegen den früheren stellvertretenden Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Thomas Nommensen. Innenminister Grote soll einem Journalisten Informationen weitergegeben haben, so offenbaren die Ermittlungen. Günther betonte, es sei sehr offensichtlich, dass die Landesregierung in dieser Zeit handlungsfähig sein müsse. Zur neuen Innenministerin des Landes ernannte er die bis dato als Justizministerin tätige Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Zum neuen Justizminister wurde der innen- und rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Claus Christian Claussen berufen.

Dank und Aufklärungsbedarf nach Grote Rückzug: Die Opposition fordert Aufklärung im Innen- und Rechtsausschuss. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner spricht von einem gewaltigen Schlag ins Kontor der Landesregierung, dass der Innenminister mitten in der größten politischen Krise zurücktreten musste. Die Hintergründe müssten dringend aufgeklärt werden. Daniel Günther müsse reinen Tisch machen, fordert Lars Harms vom SSW. Nicht nur der Innen- und Rechtsausschuss, sondern auch die Bürger hätten einen Anspruch darauf zu erfahren, warum einer der größten Leistungsträger der Jamaika-Regierung seinen Posten räumen musste. Die Jamaika-Koalitionspartner CDU, FDP und Grüne dankten Grote für seine Arbeit. Man nehmen den überraschenden Rücktritt "zur Kenntnis", so FDP-Fraktionschef Christopher Vogt und danke ihm für die "vernünftige Zusammenarbeit".

29. April 2020: Von Bestra-Berichten und Unwahrheitsvorwürfe

Einen Tag nach dem Abgang Grotes nahm Ministerpräsident Günther auf einer Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses detailliert Stellung zum überraschenden Rücktritt von Innenminister Grote. Es wurde deutlich, dass Grote mit der Bitte um seinen Rücktritt einem Rauswurf aus der Landesregierung zuvorkam. Vor den Abgeordneten schilderte Günther, dass Grote ihm auf Nachfrage nicht die Wahrheit über seinen Kontakt zu einem Journalisten gesagt habe. Vor den Abgeordneten beschrieb Günther, dass er am 11. März einen Bericht der Staatsanwaltschaft erhalten habe.

Diese ermittelt gegen den ehemaligen stellvertretenden Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft wegen Geheimnisverrates, da dieser Informationen an einen Journalisten weitergegeben haben soll. Aus diesem Bericht sei hervorgegangen, dass Innenminister Grote offenbar einen engen Kontakt zu dem Journalisten gehabt habe. Laut Günther habe der WhatsApp-Kontakt zwischen dem Journalisten und dem Gewerkschafter nahegelegt, dass es einen regen Schriftwechsel mit dem Innenminister gegeben habe. Grote haben einen direkten schriftlichen Kontakt mit dem Journalisten auf Nachfrage verneint und ihm dazu eine schriftliche Erklärung abgegeben, so Günther.

Ein weiterer Bericht der Staatsanwaltschaft belegte laut Günther allerdings, dass es sehr wohl einen derartigen Kontakt gegeben habe. Die Aussagen Grotes hätten der Faktenlage widersprochen, das lasse einem Ministerpräsidenten keine Wahl, so Günther. "Ich habe das ja gestern schon gesagt, dass es einen zweiten Bericht gegeben hat und durch diesen Bericht ist deutlich geworden, dass der Innenminister mir etwas anderes gesagt hat als die Faktenlage entsprochen hat. Und das lässt einem Ministerpräsidenten keine andere Wahl, als das zu tun, was ich mit ihm auch verabredet habe, nämlich dass er selbst von sich aus seinen Rücktritt eingereicht hat", so Günther.

SPD-Fraktionschef Stegner sieht weitere Fragen: Aus den Schilderungen habe man den Eindruck gewinnen können, so SPD-Fraktionschef Stegner, dass der Innenminister sich mehr mit Externen und auch Journalisten über wichtige Fragen ausgetauscht habe, als mit dem Ministerpräsidenten und dem Vorsitzenden der eigenen Partei. Insofern sei der Regierungschef offensichtlich kalt erwischt worden. Da stellten sich, so Stegner, zwei Fragen: "Wie findet Führung in dieser Regierung statt? Und was sagt das alles über das Vertrauensverhältnis und die Zusammenarbeit in der Landesregierung aus?"

Ex-Innenminister Grote zeigt sich enttäuscht und betroffen: Einen Tag nach seinem Rücktritt rechtfertigt sich Hans-Joachim Grote in einer persönlichen Erklärung und stellt seine Sicht der Dinge dar. Er bestreitet eigenes Fehlverhalten. Er sei enttäuscht und emotional sehr betroffen über die neuesten Aussagen - zumindest über das, was ihm berichtet werde, so Grote. "Ich hatte es nie nötig, mich zum Ende meiner, wie ich finde, erfolgreichen beruflichen Karriere irgendwelcher Konspirationen zu bedienen", so Grote. Er betonte, er habe mit Journalisten, Mitgliedern des Personalrates und allen Gewerkschaften eine professionelle Zusammenarbeit gehabt. Es gebe Dinge, die ganz offiziell ausgetauscht werden und natürlich finden auch erklärende Hintergrundgespräche statt, dabei geht es aber nie um vertrauliche Informationsweitergabe.

Neue Justizministerin Sütterlin-Waack erhält Ernennungsurkunde: Schleswig-Holsteins neue Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack hat ihr neues Amt angetreten und die Ernennungsurkunde von Ministerpräsident Günther erhalten. Die 62-Jahre alte Juristin war bislang Chefin des Justizressorts und nimmt den Bereich Gleichstellung mit in ihr neues Amt.

Claus Christian Claussen wurde bereits am 27. April von Günther gefragt: Der neue Justizminister Claussen wurde bereits am 27. April - also einen Tag vor dem Rücktritt von Innenminister Grote - von Ministerpräsident Günther angerufen und gefragt, ob er sich ein Ministeramt in der Jamaika-Koalition vorstellen könne. Claussen sagte im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein, immerhin eine Nacht habe er über die Entscheidung, das neue Amt anzunehmen, schlafen können. Bei der Landtagswahl vor rund drei Jahren hatte Claussen den Wahlkreis Stormarn Süd direkt gewonnen und sitzt seither im Landtag. Er war dort bisher unter anderem Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur sogenannten Rocker-Affäre.

30. April 2020: SPD beantragt Akteneinsicht

Nach dem Rücktritt von Schleswig-Holsteins Innenminister Grote bleiben aus Sicht der SPD noch viele Fragen offen. Die Erklärungen von Ministerpräsident Günther am Mittwoch (29.4.2020) im Innen- und Rechtsausschuss des Landtages reichen SPD-Fraktionschef Stegner nach eigener Aussage nicht: Er wolle alle Akten zu dem Vorgang einsehen, unter anderem auch die persönliche Erklärung des am Dienstag (28.4.2020) zurückgetretenen Innenministers. Außerdem fordert er Antworten auf die Frage, welche Rolle die Staatsanwaltschaft Kiel gespielt hat.

6. Mai 2020: SPD spricht von ruppiger Kabinettsumbildung

Der viel diskutierte Rücktritt von Ex-Innenminister Grote beschäftigt erneut den Innen- und Rechtsausschuss des Landtages. Die SPD verlangt die Einsicht sämtlicher Akten und hat zahlreiche Fragen zu den Hintergründen. Am 7. Mai 2020 gibt es daher eine Sondersitzung des Ausschusses. SPD-Fraktionschef Stegner spricht bei Facebook von einer ruppigen Kabinettsumbildung und einem rüden Rausschmiss. Seine Fraktion beantragt nun die Vorlage sämtlicher Akten einschließlich Entwürfen, Stellungnahmen, dienstlicher und persönlicher Erklärungen sowie E-Mails.

Stegner stellt die Rolle der neuen Innenministerin Sütterlin-Waack infrage, die - wie er weiter schreibt - zuvor als Justizministerin "zwei staatsanwaltliche Anti-Grote-Vermerke mit Hilfe einer sehr aktiven Staatsanwältin" Richtung Staatskanzlei geschickt habe und dann den Innenminister in seinem Amt beerbt habe. Sütterlin-Waack selbst sagte auf Nachfrage (5. Mai 2020), sie könne die von Ralf Stegner angestellten Erwägungen eines möglichen Interessenkonflikte in der Sache nicht nachvollziehen. Sie sei nicht mit den Akten betraut gewesen, sondern die Staatsanwaltschaft.

Ton im Landtag verschärft sich: Im schleswig-holsteinischen Landtag wird der Ton wieder rauer. CDU-Fraktionschef Tobias Koch griff seinen SPD-Kollegen Ralf Stegner am Mittwoch (6.5.2020) frontal an. Koch warf Stegner vor, dieser habe in der Presse bloße Verdächtigungen und Spekulationen über mögliche Hintergründe des Rücktritts von Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) in den Raum gestellt. Stegner gehe dabei regelrecht perfide vor. So habe er mit großem Aufsehen Akteneinsicht gefordert, obwohl der Ministerpräsident von sich aus angeboten habe, die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Koch bescheinigte Stegner eine miese Art, Opposition zu betreiben. NDR Schleswig-Holstein liegt unterdessen der Bestra-Bericht vor, ebenso eine persönliche Erklärung des ehemaligen Innenministers.

7. Mai 2020: Erneute Sitzung Innen- und Rechtsausschuss

Der Innen- und Rechtsausschuss des Landtages beschäftigt sich erneut mit dem Abgang von Innenminister Grote. Die Abgeordneten kommen in Kiel zu einer Sondersitzung zusammen. Die SPD will die Hintergründe beleuchten, spricht weiter von einer ruppigen Kabinettsumbildung - der SPD-Abgeordnete Thomas Rother befragt die neue Innenministerin Sütterlin-Waack und den neuen Justizminister Claussen, wann sie denn von Ministerpräsident Günther gefragt worden seien, ob sie ein neues Amt übernehmen würden. Beide geben vor dem Ausschuss an, dass Günther sie bereits am Montag (27.04.2020) - also einen Tag vor dem Grote Rücktritt gefragt habe. Beide hätten ihm am Dienstag (28.04.2020) eine Zusage gegeben. Rother sieht darin einen Beleg, dass es kein freiwilliger Rücktritt, sondern ein vorbereiteter Rausschmiss war. Der Innen- und Rechtsausschuss stimmt dem Aktenvorlagebegehren zu.

10. Juni 2020: Akteneinsicht übererfüllt

Das Kabinett gibt die Akteneinsicht frei (9.06.2020). Am 10. Juni wird klar, dass die Landesregierung dem Parlament mehr Unterlagen zur Verfügung gestellt hat als notwendig. Die SPD beantragte deshalb die Rückgabe von Akten, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Rücktritt Grotes stehen. SPD-Innenpolitiker Kai Dolgner sagte, es handele sich um Vorgänge aus Ermittlungsakten und diese seien im Rahmen des Vorlagebegehrens nicht aktenrelevant. Er bestätigte auf Nachfrage eines CDU-Politikers, die Aktenvorlage sei von der Staatskanzlei übererfüllt worden.

22. Juni 2020: Stegner zweifelt an Günthers Gründen

Nach der Akteneinsicht meldet SPD-Fraktionschef Ralf Stegner weitere Zweifel an den Gründen des Grote-Rücktritts an. Er stützt seine Zweifel auf einen ersten Entwurf einer Presseerklärung zum Rückzug oder Rücktritt Grotes. In diesem Entwurf, der sich in den Akten befindet, werden andere Gründe angeführt. Es sei die Rede davon gewesen, dass Grote unter anderem für Zwist in der Landespolizei durch Personalentscheidungen gesorgt habe. Die Vorwürfe aus dem ersten Entwurf seien dann aber in der endgültigen Fassung nicht mehr enthalten gewesen. Für irritierend hält es Stegner außerdem, dass der erste Entwurf der Rücktrittserklärung auch an die leitende Oberstaatsanwältin Hess gegangen sei - mit dem Betreff "wie abgesprochen". Stegner will dem Ministerpräsidenten nun einen Fragenkatalog übersenden.

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Das Landtagsgebäude und der Plenarsaal von vorne in Kiel. © NDR

"BeStra"-Bericht sorgt für unruhige Zeiten in Kiel

Brisante Chats lassen Politik und Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein nicht los. Die Landesregierung hat nun die Akten im Fall um den Rücktritt von Innenminister Grote freigegeben. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 09.06.2020 | 17:00 Uhr

Das Landesfunkhaus des NDR in Kiel in der Morgendämmerung © NDR/ Foto: Christian Spielmann

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In einem Medienbericht werden schwere Vorwürfe gegen den NDR Schleswig-Holstein erhoben. Der NDR stellt die damalige Berichterstattung zur Verfügung. mehr

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