Ehrenamt am Limit: Erste Tafeln verhängen Aufnahmestopp

Stand: 22.02.2023 10:21 Uhr

Viele Bedürftige - zu wenig Ehrenamtler und Lebensmittel: Viele Tafeln in Schleswig-Holstein sind inzwischen am Limit und können keine Bedürftigen mehr aufnehmen. Das Team der Tafel Bad Schwartau im Kreis Ostholstein zum Beispiel kämpft jeden Tag gegen den Mangel.

von Hauke von Hallern

Kurz vor Mittag: Ein Transporter hält vor einem in die Jahre gekommenen roten Backstein-Gebäude. Helfer laden dutzende Kisten mit Lebensmitteln aus. Darin ist Gemüse wie Paprika oder Kohl, Brötchen, Fleisch, Fisch und Konserven. Die Waren werden durch einen engen Gang in ein Zimmer gebracht. Im Akkord sortieren dort Ehrenamtler die Spenden in verschiedene Körbe. Verdorbene Lebensmittel müssen entsorgt werden. Betty Kloss ist eine der Leiterinnen der Tafel. Sie ist seit 8.30 Uhr hier. Bis 19.30 Uhr wird ihre Arbeit heute dauern: "Bis wir dann nach der Ausgabe alles sauber gemacht und weggeräumt haben, so lange geht es." Für die 76-Jährige ist es ein kräfteraubender Tag. Zum einen mental: "Wir müssen uns beim packen immer merken, welcher Kunde welche Allergien und Unverträglichkeiten hat". Zum anderen körperlich: "Ich habe es auch manchmal im Rücken. Ich habe auch Rheuma, dann kommt hier und da ein Wehwechen dazu."

Zu wenig Ehrenamtliche versorgen viele Bedürftige

Insgesamt packen Betty Kloss und ihr Team heute Kisten für 92 Kunden. Vor allem sind das Menschen aus der Ukraine. Seit dem Krieg hat sich hier die Zahl der Bedürftigen insgesamt verdoppelt. Bis zur Ausgabe am frühen Nachmittag ist die Sortierarbeit kaum zu schaffen. Eigentlich bräuchte die 76-Jährige mehr Helferinnen und Helfer. Das ist aber nicht umsetzbar, weil die Räume zu klein sind: "Die Plätze an den Sortiertischen sind alle besetzt - vier Stück, mehr können da nicht arbeiten", erklärt Betty Kloss. Insgesamt besteht das Team in Bad Schwartau aus 35 Ehrenamtlichen. Sie versorgen die Bedürftigen an sechs Tagen in der Woche, nur am Sonntag hat die Tafel geschlossen.

Weniger Lebensmittel, weil Supermärkte knapper wirtschaften

Es fehlt nicht nur an helfenden Händen, sondern auch an Lebensmitteln: Seit einem Jahr kommen in der Tafel ein Drittel weniger Spenden an. Denn auch die Supermärkte müssen gerade knapper wirtschaften. "Viele Märkte verkaufen die verderblichen Waren ab 17 Uhr billiger. Produkte, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, werden dann zum halben Preis weggegeben. Das ist Ware, die wir dann wieder nicht bekommen", meint Helferin Hildegard Engelbrecht.

Aufnahmestopp in mehreren Tafeln verhängt

Kurz vor 14 Uhr: Seit mehr als einer Stunde warten die ersten Bedürftigen vor dem Gebäude. "Betty, wie sieht es bei dir da vorne aus, können die ersten Kunden kommen?", drängelt Engelbrecht. Kloss öffnet die alte Holztür, am Eingang verteilt sie Nummern. Wer aufgerufen wird, kann sich seine Kiste abholen. Doch längst nicht mehr jeder Rücksack kann hier gefüllt werden. Die Tafel Bad Schwartau verhängt einen Aufnahmestopp. Auch die Einrichtungen in Neustadt und Oldenburg in Holstein und Ahrensbök können keine Bedürftigen mehr aufnehmen.

Ehrenamtler hoffen auf schnelles Kriegsende

Menschen wegzuschicken ist für viele Ehrenamtliche ein Problem: "Das ist ein schlechtes Gefühl. Viele Geflüchtete denken, wir sind die Bösen, aber wir können wirklich nicht", erzählt Hildegard Engelbrecht. "Wir haben an einem Tag mal 92 Familien versorgt, dann mussten wir neun wegschicken, weil es keine Ware mehr gab", erinnert sich Betty Kloss. Sie hofft, dass der Krieg in der Ukraine schnell endet und dann weniger Menschen Hilfe brauchen, so dass sie wieder alle Bedürftigen versorgen kann.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 21.02.2023 | 19:30 Uhr

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