Corona: Mehr Angriffe auf Amtsträger in Schleswig-Holstein
Ehrenamtliche Bürgermeister oder Gemeindevertreter werden in der Pandemie zunehmend beleidigt, bedroht oder sogar angegriffen. Das soll für rund zwei Drittel aller Bürgermeister in Deutschland zum Alltag gehören.
Frühjahr 2021 - ein Abend im April. Die Bosauer Gemeindevertretung tagt mitten in der Pandemie. Damit die Abstandsregeln eingehalten werden können, findet die Versammlung in der Fritz-Latendorf-Turnhalle statt. Plötzlich betritt ein Mann mit Schlagstock die Halle.
Der Mann bedroht Bürgermeister Eberhard Rauch (CDU) und die anderen Sitzungsteilnehmer. "Er beschwerte sich, dass wir in der Corona-Zeit tagen und sich andere nicht treffen dürfen", erinnert sich der 75-jährige Bürgermeister. Dabei habe er die Sitzungsteilnehmer beschimpft und mit dem Schlagstock bedroht. Die Polizei wird alarmiert. Eberhard Rauch erstattet Anzeige. Der Täter wird später zu einer Geldstrafe verurteilt.
Mehr Straftaten in der Corona-Zeit
Im vergangenen Jahr gab es laut dem Verfassungsschutzbericht in Schleswig-Holstein 57 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger. Fast 70 Prozent mehr als vor Corona. Laut Bundeszentrale für politische Bildung haben die Corona-Maßnahmen bei vielen Menschen zu Frust geführt und die Verantwortung wird dann den Politikern vor Ort zugeschoben. Die Frauen und Männer, die in den Kommunen ein Amt haben, würden dann als das Gesicht der Corona-Maßnahmen gelten.
Ehrenamtler ziehen sich zurück
"Ich habe nach dem Vorfall abends vor dem Schlafengehen sehr lange darüber nachgedacht, was ich mir da eigentlich antue", berichtet der Bosauer Bürgermeister Eberhard Rauch. Als Ehrenamtler - egal, ob als Bürgermeister oder Gemeindevertreter - würde man sich heutzutage Gefahren aussetzen. Eine Meinung, die offenbar viele kommunale Politiker teilen. Das hat Folgen: Viele Amtsträger, die Erfahrungen machen wie Eberhard Rauch, ändern ihr Verhalten. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung sind das 68 Prozent. Sie sagen zum Beispiel nicht mehr offen ihre politische Meinung, verzichten auf Social-Media oder geben ganz auf.
Nachwuchsprobleme in der Kommunalpolitik
Torben Arendt (Grüne) ist 37 Jahre alt. Er ist das jüngste Mitglied der Gemeindevertretung in Bosau. "Die Anfeindungen machen es schwer, Nachwuchs für die politische Arbeit in der Gemeinde zu gewinnen", erzählt er. Es sei nicht leicht, junge Leute zu motivieren, mitzumachen, wenn der Respekt der Bürgerinnen und Bürger fehle. Von Nachwuchsproblemen, gerade in den Kommunen, berichtet auch die Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn die politische Arbeit in den Dörfern lahmgelegt werde, gefährde das am Ende die Demokratie, warnt eine Sprecherin.
Konfliktberatung für Ehrenamtler
Die Bundeszentrale für politische Bildung will deshalb das Angebot von Präventionsmaßnahmen ausweiten. Amtsträger sollen stärker in der Konflikt-Kommunikation geschult werden. Bei Problemen soll es mehr Ansprechpartner geben, die Unterstützung anbieten.
In Bosau wollen Torben Arendt und Bürgermeister Eberhard Rauch nicht aufgeben. Zu viel gebe es in ihrer Gemeinde noch zu bewegen. In den kommenden Jahren soll beispielsweise die Straßenbeleuchtung modernisiert werden. Auch ein neues Gewerbegebiet ist geplant. In der Gemeinde soll jetzt ein Jugendbeirat junge Menschen für politische Arbeit begeistern. Aber Eberhard Rauch weiß auch, dass der Angriff vom April die politische Arbeit im Ort dauerhaft verändern hat.
