Ein Fotograf trägt ein T-Shirt mit einem Slogan für die Pressefreiheit © dpa Foto: Oliver Berg

Kommentar: Presse-Unfreiheit in Russland als mahnendes Beispiel

Stand: 03.05.2022 13:33 Uhr

Am Tag der Pressefreiheit rückt der Journalismus ins Blickfeld. Deutschland ist in der Rangliste der Reporter ohne Grenzen von Platz 13 auf Rang 16 gesunken. Ein Grund dafür sind die gestiegenen Übergriffe auf Journalisten und Journalistinnen bei Demonstrationen. Sind unabhängige Medien hierzulande in Gefahr?

Ein Kommentar von Kathrin Schmid

Es könnten gute Zeiten sein für die Pressefreiheit. Für das Bewusstsein, welchen Wert unabhängige Medien für Demokratie und Gesellschaft haben. Der Blick ins Land des Kriegstreibers macht es möglich - er könnte abschrecken. Pressefreiheit gibt es dort bekanntlich seit Jahren nicht, wenige unabhängige Medien lebten in ständiger Bedrohung. Nun ist ihre Arbeit quasi unmöglich, da sie die Dinge nicht beim Namen nennen können, ohne sich dafür im Gefängnis, Straflager oder sonstiger Hölle wiederzufinden.

Die Folge: In Russland leben derzeit Menschen, die mit Teilen ihrer Familie in Westeuropa spinnefeind geworden sind - heillos zerstritten über die Frage, ob Russland überhaupt einen Angriffskrieg führt.

Gewalt gegen Journalisten nimmt zu

Abschreckend all das! Und wir sollten es nicht nur als Geschichte aus dem Kriegsgebiet wahrnehmen. Auch in Deutschland ist Pressefreiheit nicht mehr selbstverständlich. Das jährliche Ranking von Reporter ohne Grenzen zeigt es schwarz auf weiß: Wir rutschen ab. Die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten nimmt zu.

Verschwörungsideologien spalten Gesellschaft

Kathrin Schmid © Kathrin Schmid Foto: Marco Peter
Die Pressefreiheit in Deutschland braucht dringend mehr Pflege, meint Kathrin Schmid in ihrem Kommentar.

Dahinter steckt - und das geht weit über das Maß an zählbaren Vorfällen hinaus - das Verächtlichmachen der freien Presse. Eine pauschale Diffamierung als "Lügenpresse", als "Systempresse".

Mit diesen Begriffen wird die Unabhängigkeit der Medien in Deutschland - eine tragende Säule der Demokratie - in lauten Parolen und digitalen Kampagnen für nicht existent erklärt. Also, die Medien in einem Topf mit staatlichen Institutionen, die sich alle zum Nachteil der Bürger verschworen hätten, so die Legende.

Gezielte Desinformation hierzulande

Lässt man dieses Narrativ zu, öffnet man die Tür für den gesamten Kanon der Desinformation. Entsprechende Netzwerke sind in der Corona-Pandemie massiv gewachsen und sie verschwinden nicht, auch dank russischer Finanzierung. So wurden einige Corona-Leugner und radikale Impfgegner schnell zu Putin-Unterstützern.

Der Übergang fällt manchmal leicht, denn die Desinformationskampagnen haben gemeinsame Ziele: Zweifel säen, Unruhe erzeugen, Gesellschaft spalten. 

Transparenz im Journalismus wichtig

Was also tun? Die Pressefreiheit in Deutschland braucht dringend mehr Pflege! Journalistinnen und Journalisten müssen ihre Arbeit noch transparenter machen, über Qualitätsstandards der redaktionellen Arbeit sprechen. Was macht den Unterschied zu manch Bloggern, Influencerinnen und einigen Youtube-Protagonisten, die ihre Prominenz vor allem dem zweifelhaften Algorithmus verdanken? Man kann nicht genug darüber reden - in Schulen, aber längst nicht nur dort.

Fake News verbreiten sich schneller

Auch die Herausforderung für jeden Einzelnen, "medienkompetent" zu sein, ist so ungleich viel größer als noch vor zehn oder 20 Jahren. Also in der Lage zu sein, die Produkte der unabhängigen Qualitätsmedien von landläufig "Fake News"-Genanntem zu unterscheiden. Und es ist auch manchmal etwas Anstrengung nötig: "Fakten sind langweilig!" - so brachte die Friedensnobelpreisträgerin und Journalistin Maria Ressa das Problem auf den Punkt.

Nicht umsonst verbreiten sich Falschnachrichten auf Social-Media-Plattformen im Schnitt sechs Mal schneller als Wahrheiten. Sich dessen bewusst zu sein, ist schon der erste wichtige Schritt.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 03.05.2022 | 07:05 Uhr

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