Immun durch bloße Infektion? Fachleute haben Zweifel
Die Debatte um Lockerungen der Corona-Maßnahmen hat wieder an Fahrt aufgenommen. Der Tenor: Wir haben die Omikron-Welle im Griff, da die Verläufe überwiegend milder sind. Die Hoffnung: Durch die sehr hohen Infektionszahlen kommt es rasch zu einer breiten Durchseuchung der Bevölkerung - und das sollte doch das Ziel sein, um die Pandemie zu beenden.
Doch dass diese Annahme stimmt und die aktuell sehr hohen Infektionszahlen wirklich dazu beitragen können, die Lücke bei der Immunität zu schließen - daran haben viele Fachleute ihre Zweifel. Denn Studien zeigen: Dass es durch die hohen Infektionszahlen aktuell zu einer breiten Durchseuchung der Bevölkerung kommt, ist unwahrscheinlich. Um dauerhaft immun zu werden, brauche es weiter Impfungen.
Entscheidender Schritt für Pandemie-Ende: Übertragungsschutz
Nur wenn die immer noch vorhandene Impflücke in Deutschland geschlossen wird, kommt die Bevölkerung hierzulande der angestrebten Grundimmunität ein großes Stück näher. Denn das ist ein entscheidender Schritt - da sind sich Experten einig. "Die Pandemie ist dann zu Ende, wenn wir es zusätzlich zu dem Krankheitsschutz auch geschafft haben, einen Übertragungsschutz in der Bevölkerung aufzubauen", sagt der Virologe Christian Drosten. Und nur wer grundimmunisiert ist, hat nach Überzeugung vieler Wissenschaftler das Krankheitsrisiko deutlich gesenkt, wenn er sich erneut infiziert.
Eine Infektion allein sorgt nicht für ausreichende Immunität
Doch auf welche Art diese Grundimmunität - und damit auch der so wichtige Übertragungsschutz - in der breiten Bevölkerung am schnellsten und einfachsten erreicht werden kann - darüber gibt es aktuell verschiedene Einschätzungen. Eine davon: Die Omikron-Variante selbst trägt im Moment dazu bei, dass Hunderttausende Menschen binnen kürzester Zeit immun werden - in den letzten Tagen lag die Zahl der Neuinfektionen laut RKI bei über 200.000 pro Tag. Und wer krank ist, baut zumindest vorübergehend Immunität auf - so die Annahme.
Der Immunologe Carsten Watzl hat genau dieses Szenario durchgerechnet. Auf Twitter teilt er das Ergebnis: Demnach bräuchte es jeden Tag 400.000 Infektionen - und zwar für die nächsten 100 Tage - um die bestehende Impflücke zumindest ungefähr zu halbieren. Denn aktuell sind noch etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht geimpft, das sind etwa 24 Prozent der Bevölkerung. Dieses Szenario, das Watzl vorrechnet, würde also nicht nur mehr als drei Monate dauern. Es würde vor allem - und das ist das Entscheidende - nicht ausreichen. Denn die Annahme dahinter ist vermutlich falsch: Laut einer aktuellen Studie aus Österreich haben Ungeimpfte, die zuvor noch nie einen Kontakt mit dem Virus hatten - weder durch eine Impfung noch durch eine vorangegangene Infektion mit einer anderen Variante - nach einer Omikron-Infektion deutlich weniger neutralisierende Antikörper als Menschen, die zuvor bereits Kontakt mit dem Virus gehabt haben - sei es in Form von Impfungen, einer Infektion mit einer anderen Virus-Variante oder beidem.
Ungeimpfte haben ein höheres Risiko für weitere Ansteckungen
Zudem hätten sie kaum Schutz gegen andere Virusvarianten. Die Infektion allein baut also keine ausreichende Immunität auf, denn es kann schneller zu erneuten Ansteckungen kommen. Erst wer mindestens dreimal geimpft oder genesen ist, hat ausreichenden Schutz. Das betont auch Christian Drosten: "Die ideale Immunisierung ist, dass man eine vollständige Impfimmunisierung hat - mit drei Dosen - und auf dem Boden dieser Immunisierung sich dann erstmalig und auch zweit- und drittmalig infiziert mit dem wirklichen Virus", sagte er im NDR Info Podcast Coronavirus-Update.
Dadurch würde man eine Schleimhautimmunität entwickeln, ohne dabei schwere Verläufe in Kauf nehmen zu müssen. Diese nachhaltige Immunität hätten Bevölkerungen zwar insgesamt noch nicht erreicht, so der Virologe. Aber fest steht: Die Impfungen - nicht die Infektionen - kürzen den Weg dorthin ab. Heißt: Es sind die Impfungen, nicht die Infektionen, die das Ende der Pandemie beschleunigen.
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