Fehlender Schutz: Zu wenig Frauenhaus-Plätze im Norden
Frauenhäuser sind bei häuslicher Gewalt ein wichtiger Zufluchtsort - nicht nur in Corona-Zeiten. Doch eine Daten-Recherche zeigt: In Norddeutschland gibt es zu wenig Frauenhaus-Plätze.
Sie sind für Frauen oft der letzte Ausweg und ein wichtiger Schutzraum vor der häuslichen Gewalt durch ihren Partner: Frauenhäuser. Dort finden die Frauen und deren Kinder nicht nur eine sichere Unterkunft, sondern auch seelische Unterstützung und fachliche Beratung. Um dieses Hilfesystem flächendeckend sicherzustellen, empfiehlt der Europarat, dass es einen Frauenhaus-Platz pro 7.500 Einwohner gibt. Doch eine Daten-Recherche des Recherche-Netzwerks CORRECTIV.Lokal, die NDR Data ausgewertet hat, zeigt: In fast allen Bundesländern gibt es zu wenig Frauenhaus-Plätze. Und obwohl der Norden im bundesweiten Vergleich relativ gut dasteht, erreicht nur Bremen die vom Europarat empfohlene Quote.
Frauenhäuser: Bundesländer unterschiedlich ausgestattet
Bundesweit erfüllt neben Bremen nur Berlin die Marke von einem Frauenhaus-Platz pro 7.500 Einwohner. Hamburg ist mit einer Quote von 0,98 Plätzen nah dran - auch Schleswig-Holstein und Niedersachsen erreichen mit einer Quote von jeweils 0,94 und 0,93 die Empfehlung annähernd. Mecklenburg-Vorpommern bewegt sich mit einer Quote von 0,71 eher im bundesdeutschen Mittelfeld. Diese Unterschiede mögen auf den ersten Blick gering erscheinen - insgesamt fehlen durch die Nicht-Erfüllung der Empfehlung des Europarats allerdings mehr als 14.000 Frauenhaus-Plätze in ganz Deutschland.
Auch in Berlin und Bremen werden Frauen abgewiesen
Auch wenn Bremen und Berlin die Empfehlung des Europarats erreichen - dies sage noch lange nichts über die Realität in den Frauenhäusern vor Ort aus, meint Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle der Autonomen Frauenhäuser (ZIF). "Berlin erfüllt vielleicht diese Vorgabe - aber das bedeutet nicht, dass keine Frauen abgewiesen werden", sagt sie. Und übt Kritik: Die Empfehlung des Europarats definiere nicht genau, was ein Frauenhaus-Platz eigentlich sei. Deshalb ließe sie den Ländern zu viel politischen Spielraum.
Finanzierung und Organisation: Keine einheitliche Regelung
Daneben sei die Finanzierung ein Problem, die in den Bundesländern unterschiedlich geregelt sei. Beispiel Baden-Württemberg: Dort werden Frauenhäuser nicht über eine Pauschale, sondern über einen Tagessatz - also pro Tag und pro Kopf - finanziert. Das bedeutet: Die Kosten des Frauenhauses werden auf die Frauen und ihre Kinder umgelegt. Sie müssen ihren Aufenthalt im Frauenhaus also selbst bezahlen - wenn sie über genügend Einkommen verfügen. Frauen, die sich das nicht leisten können, müssen dafür Sozialleistungen beantragen, im konkreten Fall ist das meist Hartz IV. Auch wenn die betroffenen Frauen für den eigenen Lebensunterhalt keine Sozialleistungen bräuchten. Aus Sicht der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser stellt diese Art der Finanzierung "nachweislich für viele gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder eine unüberwindliche Hürde dar".
Finanzierung in Schleswig-Holstein vorbildlich
Als Musterknabe bei der Finanzierung der Frauenhäuser gilt Schleswig-Holstein. Denn das nördlichste Bundesland ist das einzige, in dem alle Frauenhaus-Plätze pauschal finanziert sind. "Das Modell ist insofern ein Leuchtturm, weil das Hilfesystem dort nicht auf freiwillige Leistungen angewiesen ist. Und es dank der Finanzierung durch das Land keine Rolle spielt, ob ich dort als Studentin, als Hartz-IV-Empfängerin oder als Frau mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus Hilfe suche", erklärt Elisabeth Oberthür. Sie arbeitet als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Frauenhauskoordinierung - dem Dachverband für rund 260 verbandlich organisierte Frauenhäuser in Deutschland.
Gute Vernetzung unter Frauenhäusern
Auch wenn es nicht genügend Frauenhaus-Plätze gibt, die Betreiberinnen versuchen, so gut es geht zu helfen. Das versichern Expertinnen wie Elisabeth Oberthür von der Frauenkoordinierung: "Die Frauenhäuser probieren immer, die Hilfesuchenden weiterzuvermitteln, zu unterstützen und nach einer Alternative zu suchen. Die Einrichtungen sind untereinander gut vernetzt."
Sind Sie von Gewalt betroffen? Wenden Sie sich an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" unter 08000/116 016.
