Energiepreise zu hoch: Apfelbauern lassen viele Äpfel hängen
Wer dieser Tage durchs Alte Land fährt, wird überrascht sein, dass die Apfel-Ernte schon vorüber ist. Denn die Bäume sind zum Teil noch prall voll mit reifen, roten Äpfeln. Die Bauern ernten sie nicht mehr - weil sie dafür draufzahlen müssten.
In diesem Moment platzt es aus Arnd Schliecker heraus. Wir stehen auf einer Anbaufläche seiner Familie, die rund 60 Hektar im Alten Land bei Hamburg bewirtschaftet: "Das ist doch eine Sünde! Woanders hungern die Leute, und wir machen hier Lebensmittelvernichtung". Schliecker blickt auf Hunderte, Tausende Äpfel - kleine, große, teilweise leuchtend rot - die an den Bäumen hängen bleiben werden oder schon in Häufchen auf dem Boden liegen, einige bereits matschig: "Hier haben wir fünf Reihen die Sorte Rubinstar. Die haben wir einmal nach Farbe gepflückt, die Roten und die Großen rausgeholt, ansonsten bleiben sie hängen", sagt Schlieckers ältester Sohn Hannes, der gemeinsam mit den Brüdern Steffen und Harry den Familienhof übernehmen wird. Den Männern ist die Wehmut deutlich anzumerken. Und der Ärger darüber, dass sie diese Früchte ihrer Arbeit - im Wortsinn - nicht ernten werden. Weil es sich nicht lohnt: "Die letzten Jahre hatten wir Produktionspreise von 45 Cent, dieses Jahr sind es 60 Cent. Wir kriegen für die Jonagold-Gruppe gerade Durchschnittspreise von 25-30 Cent. Dafür brauchen wir sie nicht zu pflücken."
Gestiegener Mindestlohn und Energiekrise sind Preistreiber
300 Tonnen Äpfel, schätzen die Schlieckers, werden sie in diesem Jahr an den Bäumen hängen lassen - das sind 300.000 Kilogramm. Besonders von Sorten wie Holsteiner Cox, Boskop oder Jonagold. Für die explodierten Kosten sind besonders zwei Faktoren verantwortlich, die in diesem Jahr zusammenkommen: der gestiegene Mindestlohn und die Energiekrise. Die knapp 40 Mitarbeitenden bekommen seit Jahresbeginn 25 Prozent mehr Lohn, aktuell 12 Euro die Stunde. Dazu kommen die gestiegenen Kühlkosten für die Lagerung, der Diesel für die Traktoren ist teurer und auch die Kosten für Pflanzenschutzmittel sind über 30 Prozent gestiegen.
Strukturelle Probleme mit Einzelhandel
Die Obstbauern lagern die Äpfel ein in einer sauerstoffarmen Halle, gekühlt auf unter drei Grad. Das hält sie knackig, sodass sie auch im Februar, April, Juli noch wie frisch gepflückt im Regal liegen können. Oder könnten, wie die Schlieckers bemängeln. Denn zu der aktuellen Krise kämen noch strukturelle Probleme mit dem Lebensmittel-Einzelhandel, kurz LEH dazu - mit teils absurden Folgen, wie Steffen Schliecker erzählt: "Zu Erntebeginn war noch so viel Ware aus Neuseeland und Südafrika da, die teuer nach Deutschland verschifft werden musste, weil die Transportkosten gerade in die Höhe schossen. Und die Preise für die Äpfel im Einzelhandel sind dann natürlich auch gestiegen, sodass nicht mehr so viele verkauft wurden. Und deshalb immer noch Äpfel aus Übersee in den Lagern waren und unsere heimischen Äpfel gar nicht in die Läden kamen. In den ersten vier Wochen konnte ich gar nichts verkaufen."
Ukraine-Krieg sorgt für Apfelschwemme in Europa
Eine Million Tonnen Äpfel ernten deutsche Bauern pro Jahr. Fast jeder dritte davon stammt aus dem Alten Land. Normalerweise reicht diese Menge nicht aus, um den Apfelhunger der Deutschen zu stillen. Nur rund 60 Prozent des Bedarfs kann die heimische Produktion decken. Der Rest wird zugekauft, aus Neuseeland, Südafrika, aber auch aus Europa: "Polen ist der größte Apfelproduzent Europas. Die polnischen Äpfel sind viel in die Ukraine und auch nach Russland gegangen aber dieser Markt ist ja nun komplett weggebrochen. Deswegen schwemmt diese Ware den westeuropäischen Markt und wir haben noch mehr Äpfel."
Überangebot lässt Preise sinken
In diesem Jahr also gibt es ein Überangebot, die Preise fallen, und die deutschen Bauern lassen ihre Äpfel hängen, weil sich die Ernte nicht mehr lohnt. Die Schlieckers lässt das sehr besorgt in die Zukunft schauen. Petra Schliecker appelliert auch an die Verbraucher: "Es würde uns freuen, wenn der Endverbraucher sich erinnert, was unsere Stärken sind, auch in der Nahrungsmittelproduktion, und deutsche oder europäische Produkte kauft, damit wir hier einen gefestigten Erzeugerpreis bekommen."
Weniger Importe aus Übersee, während die Lagerhallen voll sind mit deutschen Äpfeln - und Konsumentinnen, die regionale Ware nachfragen. Das, sagen die Obstbauern, würde ihnen helfen. Hoffnung, die auch Sohn und Hofnachfolger Steffen Schliecker braucht für die Zukunft: "Ich bin neulich durch die Anlage gegangen und hab mich gefragt, was machst du, wenn es das alles hier nicht mehr gibt? Mir ist kein anderer Beruf eingefallen. Ich arbeite zwar Tag und Nacht, aber ich mach's aus Leidenschaft, weil es mir Spaß macht."