Stand: 26.05.2020 16:00 Uhr

Geschlechterneutral mit dem Gendersternchen

von Anina Pommerenke

"Androgyn", "intersexuell" oder "Trans*Mann" und "*Frau" sind nur einige von vielen möglichen Geschlechtsidentitäten. Um der Vielfalt der Geschlechter auch sprachlich gerecht zu werden, gibt es schon lange Alternativen zum generischen Maskulinum, wie NDR Info am Diversity-Tag berichtet.

Auf einem Duden liegt ein Stück ausgerissendes Papier, auf dem "Gendersternchen*" steht. © picture alliance/dpa-Zentralbild Foto: Sascha Steinach
Beim Duden hat die Debatte über geschlechterneutrale Sprache polarisiert wie noch kein Thema zuvor.

Am häufigsten wird mittlerweile das sogenannte Gendersternchen verwendet. Es wird zwischen den Wortstamm und die weibliche Endung eines Wortes gesetzt und soll deutlich machen, dass es beispielsweise nicht nur männliche Kollegen gibt - sondern auch weibliche und diverse Kolleg*innen.

In der Talkshow Anne Will ist es schon lange Usus. ZDF-Nachrichten-Sprecher Claus Kleber hat es vor Kurzem verwendet und auch im Hörfunk ist es gelegentlich zu hören: das Gendersternchen. Doch laut Kathrin Kunkel-Razum, der Leiterin der Duden-Redaktion, ist es: "Dasjenige Thema, jedenfalls in den 23 Jahren, in denen ich beim Duden arbeite, dass die Menschen am meisten polarisiert hat." Sie glaubt, dass die Auseinandersetzung um eine Variante des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs noch einige Jahre dauern wird. Vielleicht gibt es dann mehrere Varianten.

Gendern kommt in der Gesellschaft an

Im Alltag begegnet einem das Sternchen - der Asterisk - immer häufiger: Immer mehr Zeitschriften greifen in ihrer Berichterstattung auf das Sternchen zurück. Genau wie Streamingdienste wie Spotify. Da sucht man mittlerweile nach Künstler*innen. Und im universitären Kontext hat sich gendergerechte Sprache schon lange durchgesetzt. Den Vorwurf, das Gendersternchen unterteile die Gesellschaft daher in akademische und nicht-akademische Kreise kann Kunkel-Razum aber nicht teilen: "In Berlin fahren Müllfahrzeuge mit Stellenanzeigen aufgeklebt, wo Müllfahrer*innen - also mit Sternchen - gesucht werden. Neulich war ich in einem Lotto-Laden - und auf einem Display liefen Corona-Hinweise - schützen Sie die Kund*innen und Mitarbeiter*innen - also da werden mittlerweile ganz andere Gruppen als Akademiker und Akademikerinnen erreicht."

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Fünf junge Menschen liegen mit den Köpfen in der Mitte auf dem Fußboden und bilden einen Stern. © picture-alliance / Zoona

Gleichstellung und Diversity

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Sprache beeinflusst unser Denken

"Die Welt muss sich gendern" steht auf einem Plakat bei der Weltfrauentagsdemo in Hamburg. © dpa-Bildfunk
Je mehr geschlechtergerechte Sprache benutzt wird, desto natürlicher fühlt es sich an, erklärt Albert Kehrer.

Sprache sei eben auch ein Abbild von bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat - gibt die Germanistin zu bedenken. Eine Frau als "lieber Kunde" anzusprechen, sei nicht mehr zeitgemäß. Das sieht auch Albert Kehrer so, der sich mit seiner Stiftung "Prout at work" für Geschlechtergerechtigkeit in der Arbeitswelt einsetzt: "Es geht darum, dass wir alle Menschen ansprechen - und niemanden ausschließen. Und mit dem generischen Maskulinum schließen wir einfach über 50 Prozent der Bevölkerung aus. Sprache formt einfach unser Denken, je mehr wir es üben, desto mehr ist es für uns natürlich." Jede Veränderung stoße erstmal auf Widerstand, sagt Kehrer.

Gendersternchen spricht sich nicht ästhetisch

Ein Arrangement aus einer Holzfigur mit zwei Sprechblasen: in einer das Wort gender, in der anderen ein Sternchen. © imago images / Christian Ohde Foto: Christian Ohde
In der gesprochenen Sprache hat der Genderstern einen Nachteil: Er lässt sich nicht so ästhetisch sprechen.

Das beobachtet auch NDR Hörfunk Chefredakteur Adrian Feuerbacher in der Redaktion von NDR Info. Hier werde sich besonders leidenschaftlich darüber gestritten, wie gendergerechte Sprache im Radio am besten funktionieren könne. Also Sprache nicht zum Lesen, sondern zum Hören. Es sei wichtig, sich für diese Diskussion Zeit zu nehmen: "Bei Sprache geht es ja für mich nicht nur um Präzision, um Verständlichkeit, um die gesellschaftliche Wirkung, um das wichtige Vermeiden von Diskriminierung, sondern auch um Ästhetik - um die Schönheit von Sprache. Und da muss ich Ihnen sagen bin ich, was den Genderstern angeht, noch ein bisschen hin- und hergerissen und merke (…) dass ich schon noch ein kleines ästhetisches Störgefühl habe."

Geschlechterneutrale Sprache muss nicht immer das Geschlecht benennen

Das Plädoyer von Kathrin Kunkel-Razum lautet daher: die Vielfalt der Möglichkeiten auszuschöpfen: Zum Beispiel könne in einem Formular anstatt "Unterschrift des Antragstellers" auch "Ihre Unterschrift" stehen. "Und dann haben wir eine geschlechtergerechte Lösung, die überhaupt kein Sternchen oder irgendwas braucht", sagt Kunkel-Razum.

Auch wenn es vielleicht nie eine perfekte oder allgemeingültige Lösung geben wird: Aus Gewohnheit am generischen Maskulinum festzuhalten - ist ihrer Meinung nach die schlechteste aller möglichen Optionen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 26.05.2020 | 14:55 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

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