Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei einer Klausurtagung der SPD Niedersachsen Anfang April 2025. © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte

Stephan Weil: "Habe Probleme mit der politischen Kultur in Berlin"

Stand: 01.05.2025 15:10 Uhr

Stephan Weil (SPD), langjähriger Ministerpräsident von Niedersachsen, legt am 19. Mai sein Amt nieder. In einem Interview hat Weil jetzt auf Politisches und Privates zurückgeblickt.

In der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" wurde der SPD-Politiker auch nach den Gründen für seinen Rücktritt befragt. Im Wahlkampf habe Weil ja noch versichert, er werde bis zum Ende der gesamten Legislaturperiode im Amt bleiben. "Ja, wenn mit der Gesundheit alles passt, das habe ich fast immer hinzugefügt", erklärt der 66-Jährige im Interview mit "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Er habe sich den Rücktritt nicht leicht gemacht, so Weil, aber: "Wenn ich ehrlich bin, muss ich feststellen: Ich habe ein aufwendiges Arbeitsleben gehabt, und zwar, über den Daumen gepeilt, seit etwa 20 Jahren. Nur: So anstrengend wie in den letzten zwei Jahren habe ich es vorher nie empfunden. Ich muss wahrscheinlich ganz nüchtern feststellen: Ich habe den Zenit meiner Leistungsfähigkeit überschritten." Stephan Weil bestätigte in dem Interview erneut, dass er unter Schlafproblemen leide und deshalb in jüngster Zeit auf Terminen oft müde, fast abwesend wirkte.

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Industriepolitik und Sicherheit - Kernthemen der SPD

Ausführlich äußerte sich Weil zu den Problemen seiner Partei, die bei der jüngsten Bundestagswahl 2025 nur noch 16,4 Prozent der Stimmen erringen konnte und selbst in ihrem Stammland Niedersachsen nur noch 23,0 Prozent erreichte - 10,1 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2021. Die SPD habe zu lange darauf verzichtet, die Industriepolitik als ihr Thema nach vorne zu stellen, befand Weil. "Dass die SPD bei den hohen Energiepreisen nicht von Anfang an massiv auf dem Feld stand und den Beschäftigten, den Arbeiterinnen und Arbeitern gesagt hat, wir schützen euch, war ein Fehler." Außerdem glaube er, dass die SPD das Thema Sicherheit verstärkt angehen müsse. "Es gab mal einen sehr erfolgreichen Slogan, das war 2002 im Wahlkampf Schröder: 'Sicherheit im Wandel'. Das war damals richtig, heute ist es als Anspruch noch viel richtiger geworden."

Lob für Lars Klingbeil

Als drittes Politikfeld, auf dem die SPD Reformbedarf habe, identifizierte Weil das Thema Migration. Die Partei müsse es schaffen, humanitäre Ansprüche und das Sicherheitsbedürfnis der Menschen in Deutschland deutlich besser in Einklang zu bringen. "Ich würde auch sagen, dass Lars Klingbeil in dieser Richtung auf einem sehr guten Weg ist." Aber, so Weil: "Wir müssen generell viel stärker fragen: Was wollen unsere Leute? Und nicht, was wollen wir, also die Funktionäre, das Establishment der SPD?"

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Stephan Weil bezog im Gespräch mit der "Zeit" auch zur sogenannten Gehaltsaffäre rund um seine Büroleiterin Stellung. Prinzipiell sei die Gehaltserhöhung aus seiner Sicht richtig gewesen. "Politisch muss ich mir aber vorhalten, dass wir damals schlichtweg die Angreifbarkeit unterschätzt haben. Wir hätten dasselbe Verfahren erst mal mit drei anderen Leuten durchführen sollen, bevor wir dann zu einer Kollegin gekommen wären, die etwas mit mir zu tun hat", schränkte der Jurist ein.

Weil sieht Berliner Politikbetrieb kritisch

Oft sei Weil in den Medien ja sehr wohlwollend als Hoffnung für die ganze SPD beschrieben worden, was der scheidende Ministerpräsident kontert mit: "Na ja. Ich erinnere mit auch an blass, bieder und dröge (lacht)." Warum es ihn nie in die Bundespolitik gezogen habe, ob er sich dort unterlegen gefühlt hätte, wird er gefragt. "Nein, ich leide nicht unter Minderwertigkeitskomplexen. Aber ich habe Probleme mit der politischen Kultur in Berlin. Sie ist mir zu atemlos. Ich glaube, dass viele der Kollegen dort kaum zum Nachdenken kommen. Und die partielle Symbiose in Berlin-Mitte zwischen der Politik und den Medien, in Verbindung mit einem ununterbrochenen Konkurrenzkampf, führt zu einem Treibhausklima." Ob er meine, dass die Politiker kein richtiges Gefühl mehr dafür hätten, was die Leute im Rest des Landes bewege? Weils Antwort: "Sie sind sehr stark in inner circles unterwegs, ja. Für all das bin ich nicht der Typ. Deshalb bin ich ziemlich sicher, ich wäre in Berlin nicht sehr erfolgreich gewesen."

Das Besondere an Hannover? Seine Vororte

Zum Schluss wird Weil vom "Zeit"-Chef gefragt, wie es denn sein werde, wenn er jetzt gemeinsam mit seiner Frau mehr Zeit zu Hause verbringen werde? "Sie kennen 'Pappa ante portas', diesen wunderbaren Film von Loriot. Ich fürchte, das könnte punktuell auch bei uns so sein." Und ob er Angst vor dem Machtverlust oder Momenten der Einsamkeit habe? "Bis jetzt nicht. Außerdem kenne ich hier ganz viele Menschen, mit denen ich Spaß oder auch ernste Zeiten erlebt habe. Ich verbinde mit jeder Ecke dieser Stadt irgendwelche Erinnerungen. Das wird mir helfen, nicht allzu sehr zu vereinsamen." Hannover habe in allen Bereichen ein sehr gutes Angebot, sei aber gleichzeitig noch überschaubar und persönlich. Und wenn er mal etwas Besonderes erleben wolle? Dann, so Weil, fahre man in einen der Vororte Hannovers: "Hamburg und Berlin zum Beispiel."

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