VIDEO: Winsen: Krankenhausreform bedroht Schlaganfall-Versorgung (2 Min)

Krankenhausreform: Bleibt die Schlaganfall-Versorgung in Winsen?

Stand: 01.05.2025 18:00 Uhr

Die Stroke Unit im Krankenhaus Winsen (Luhe) könnte der Krankenhausreform zum Opfer fallen. Würde die Abteilung geschlossen, könnten Schlaganfall-Patienten künftig wertvolle Zeit verlieren.

von Ines Bellinger und Helene Buchholz

Sonja Beecken aus dem niedersächsischen Tangendorf erinnert sich noch genau an den Tag Ende Februar, als sie ihren zweiten Schlaganfall erlitt. "Ich saß mit meinem Mann in der Stube. Dann wollte ich aufstehen und kriegte den Arm nicht mehr vom Tisch." Ihr Mann reagierte schnell. In kürzester Zeit war der Rettungswagen aus dem zwölf Kilometer entfernten Winsen (Luhe) bei ihr.

Eine direkt durchgeführte Computertomografie im dortigen Krankenhaus bestätigte den Anfangsverdacht: In Sonja Beeckens Gehirn hatte ein Gerinnsel ein Blutgefäß verstopft und Lähmungserscheinungen ausgelöst. "Ich hatte panische Angst", sagt die Rentnerin. Dank der zügig eingeleiteten Behandlung mit Medikamenten (Thrombolyse) löste sich der Blutpfropf auf. Schon am nächsten Tag konnte die 70-Jährige ihren Arm wieder bewegen.

Der Eingang zum Krankenhaus Winsen (Luhe). © Screenshot
AUDIO: Krankenhausreform: Stroke Unit Winsen in Gefahr? (3 Min)

Time is brain - bei Schlaganfällen zählt jede Minute

Laut Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe erleiden in Deutschland pro Jahr etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall (Apoplex). "Time is brain", heißt es in der Notfallmedizin, Zeit kostet Gehirn. Je früher ein Hirninfarkt versorgt wird, desto geringer ist das Risiko für bleibende Schäden. Deshalb beobachten Rettungskräfte und Ärzte mit Sorge, dass sich mit der Krankenhausreform gerade im ländlichen Raum Rettungszeiten verlängern könnten.

So möglicherweise auch in Winsen: Bislang hat das Krankenhaus dort eine eigene, von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zertifizierte Abteilung, eine sogenannte Stroke Unit. So ist es möglich, binnen kürzester Zeit eine sichere Diagnose zu stellen und eine lebensrettende Behandlung einzuleiten, bestenfalls in einem Zeitfenster von unter 30 Minuten.

Internist Leeker: Enge Kooperation zwischen Winsen und Buchholz

Allerdings hat Winsen keine eigene Neurologie, was laut Krankenhausreform künftig für alle Häuser mit einer Schlaganfall-Abteilung bindend sein soll. Eine neurologische Versorgung sei aber trotzdem sichergestellt, sagt der leitende Internist Markus Leeker: "Wir haben eine enge Kooperation mit der Neurologie in Buchholz. Jeden Tag erfolgt auch die Visite der Stroke-Patienten zusammen mit einem Neurologen von dort." Sollte bei einem Notfall gerade kein Neurologe im Haus sein, kann das Krankenhaus Winsen über das Schlaganfallnetzwerk entsprechende Kompetenz abrufen. Dann wird via Telemedizin ein Neurologe aus dem UKE in Hamburg zugeschaltet, um zum Beispiel eine CT-Aufnahme genauer zu beurteilen.

Neurologe Butscheid: Brauchen kurze Rettungswege

Der Neurologe Felix Butscheid (l.) und der Internist Markus Leeker (r.) beim Interview im Krankenhaus Winsen (Luhe). © Screenshot
Der Neurologe Felix Butscheid (l.) und der Internist Markus Leeker (r.) leiten gemeinsam die Schlaganfallabteilung im Krankenhaus Winsen.

Leeker leitet die Schlaganfall-Abteilung in Winsen zusammen mit Felix Butscheid, dem Chefarzt der Neurologie im 35 Kilometer entfernten Krankenhaus Buchholz. Er betont, wie wichtig für Schlaganfallpatienten eine Behandlungsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe ist: "Bei zeitkritischen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall brauchen wir eine schnelle Versorgung und kurze Rettungswege", sagt er. "Wir können es uns nicht leisten, aus dem Flächen-Landkreis Harburg nach Hamburg oder Lüneburg fahren zu müssen." Schon jetzt seien die Rettungswege aus manchen Dörfern an der Elbe lang. Müsste der Rettungsdienst Schlaganfall-Patienten aus der Region künftig nach Buchholz, Lüneburg oder Hamburg bringen, würde mindestens eine halbe Stunde verloren gehen, sagen die beiden Chefärzte.

Patienten mit schweren Schlaganfällen, bei denen zum Beispiel ein Gerinnsel chirurgisch aus dem Gehirn entfernt werden muss, müssen schon jetzt nach Hamburg ins UKE oder ins Krankenhaus Altona gebracht werden. Aber eine Erstversorgung und Einleitung der Behandlung in kürzester Zeit bleibe auch dann extrem wichtig, so Butscheid.

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Geschäftsführer Uffelmann: "Brauchen verlässliche Entscheidung"

Kai Uffelmann hofft, dass es ihm und seinen Kollegen gelingt, die Stroke Unit in Winsen zu erhalten. Er verantwortet als Geschäftsführer die Krankenhaus gGmbH Buchholz und Winsen. Kritisch sieht er, dass bei der Krankenhausreform regionale Besonderheiten wie weite Wege in einem Flächen-Landkreis nicht berücksichtigt wurden: "Wir dürfen nicht vergessen: Wir sprechen sonst immer über Krankenhausplanung auf Landesebene, jetzt ist die aber hochgezogen worden auf Bundesebene", sagt er.

Kai Uffelmann, Geschäftsführer der Krankenhaus Buchholz und Winsen gemeinnützige GmbH, in seinem Büro in Winsen (Luhe). © Screenshot
Geschäftsführer Kai Uffelmann hofft auf eine Sonderregelung für die Stroke Unit in Winsen.

Seit Mitte März müssen die Kliniken in Deutschland ihre Leistungsgruppen neu beantragen, also die medizinischen Behandlungen, die sie auch unter den neuen, bundesweit einheitlichen Qualitätsanforderungen anbieten wollen. Von der Einstufung ist die Finanzierung über die Krankenkassen abhängig. Ziel der Neuordnung ist es, eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser zu erreichen. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf NDR Anfrage darauf, dass im Gesetzestext Sonderregelungen für telemedizinisch vernetzte Schlaganfalleinheiten wie in Winsen bereits vorgesehen sind. Von begründeten Ausnahmefällen ist dort die Rede.

Aber auch dazu vermisst Geschäftsführer Uffelmann Konkretes, beispielsweise fehle ein Hinweis dazu, wie lange eine Sonderregelung gelten würde: "Es muss klar sein, dass das Bestand hat. Wir brauchen eine verlässliche Entscheidung und wollen nicht dauerhaft auf dem Prüfstand stehen", sagt er. Er glaubt, dass die Schlaganfallabteilung in Winsen die Anforderungen für die Ausnahmeregelung erfüllt. "Die Kooperation zwischen unseren beiden Krankenhäusern hat sich seit mehreren Jahren bewährt. Wir sehen es weiter positiv."

Pfleger Juppe: Wechsel in andere Stadt keine Option

Bis die neuen Leistungsgruppen auf Landes- und Bundesebene evaluiert sind, werden noch einige Monate ins Land gehen. So lange bleibt die Unsicherheit, wie es am Standort in Winsen mit der Stroke Unit weitergeht - für Patienten und für das Personal.

Vor der Stroke Unit im Krankenhaus Winsen (Luhe) bespricht Stationsleiter Andreas Juppe (l.) mit seinem Stellvertreter Marcin Glinkowski die pflegerischen Abläufe. © NDR Foto: Ines Bellinger
Vor der Stroke Unit im Krankenhaus Winsen (Luhe) bespricht Stationsleiter Andreas Juppe (l.) mit seinem Stellvertreter Marcin Glinkowski die pflegerischen Abläufe.

Andreas Juppe leitet den Pflegebereich der Schlaganfall-Abteilung und der Überwachungsstation. Fachkräfte wie er mit zusätzlichen Qualifikationen in Anästhesie, Intensivpflege und Schlaganfallversorgung sind begehrt. Im Ernstfall müsste er sich keine Sorgen machen, woanders einen Job zu bekommen. Aber der Wechsel zu einer Spezialabteilung in einer anderen Stadt kommt für ihn nicht infrage: "Pflegekräfte sind nicht nur Pflegekräfte, sondern auch Väter oder Mütter, Brüder oder Schwestern und in ihrer Region, bei ihren Angehörigen angesiedelt", sagt er. "Ich habe mich aktiv dafür entschieden, eher ländlich zu wohnen und den Arbeitgeber zu wählen, der in meiner Nähe ist." Zusätzlich zum Drei-Schicht-System zu pendeln sei eine Belastung, die Pflegekräfte nicht lange durchhalten würden.

Patientin Beecken - Sorge vor weiteren Wegen

Die ehemalige Schlaganfall-Patientin Sonja Beecken in ihrem Garten in Tangendorf (Niedersachsen). © NDR Foto: Ines Bellinger
Die kurze Fahrtzeit zum Krankenhaus war für Patientin Sonja Beecken entscheidend für den Behandlungserfolg.

Sonja Beecken sitzt in ihrem Garten in Tangendorf und löst Kreuzworträtsel. Sie ist glücklich, dass sie das ohne Einschränkungen wieder tun kann. Nur wenige Tage nach ihrem Krankenhausaufenthalt Ende Februar erlitt sie einen weiteren leichten Schlaganfall. Als ihr der Frühstückskaffee unkontrolliert aus dem Mundwinkel lief, reagierte ihr Mann erneut schnell.

Für die 70-Jährige machten die wenigen Minuten Fahrzeit zum Krankenhaus vielleicht den entscheidenden Unterschied aus. Deshalb blickt sie auch mit Sorge auf eine mögliche Schließung der Schlaganfallabteilung in Winsen: "Ich bin froh und dankbar, dass alles so gut gelaufen ist", sagt sie. "Hätte ich weiter fahren müssen - das hätte schiefgehen können."

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NDR Info | NDR Info | 30.04.2025 | 15:00 Uhr

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