Nils Frahm zwischen Keyboards. © NDR/Kulturjournal

Nils Frahm zum Piano Day: Ein Instrument für die Arche Noah

Stand: 29.03.2022 06:00 Uhr

Am 29. März, dem 88. Tag des Jahres, ist Piano Day. Im Interview spricht Initiator Nils Frahm über Klangfarben, das größte Klavier der Welt und warum er beim Spielen gerne mit dem Kopf wackelt.

NDR Kultur: Nils, Du hast in deiner Arbeit das Klavier oft modifiziert und daraus neue Sounds entwickelt. Im Grunde genommen ist es beim Klavier ja so, dass ein Stück von Rameau genauso klingt wie eines von Ravel - zumindest, wenn es auf dem modernen Konzertflügel gespielt wird, den wir inzwischen kennen. Wie erweiterbar sind diese Möglichkeiten? 

Nils Frahm: Man muss sich, bevor man sich etwas Neues ausdenkt, kurz fragen: Was gab es denn eigentlich schon? Das ist immer viel einfacher. Da kommt man dann zu so ganz urtümlich klingenden Hammerklavieren von vor 150 Jahren oder Spinetten von vor 300 bis 500 Jahren. Ob Tischklaviere, Tafelklaviere oder Clavichorde - es gibt so viele verschiedene komische Tasteninstrumente, wo zum Beispiel ein Stück von Bach immer anders drauf klingt, was ich sehr schätze. Ich finde es gut, sich Musik auf verschiedenen Instrumenten anzuhören. Damals wurde auch schon mitgedacht, dass jeder eine Melodie vielleicht auf einem anderen Instrument spielen würde. Da ging es dann vielleicht eher um die Melodie als um die Klangfarbe. Mir geht es bei meiner Musik tatsächlich eher um die Klangfarbe: Der Klang des Klaviers inspiriert mich zu den Sachen, die ich darauf spiele. Es gibt aber bestimmt auch Komponisten, die haben einfach eine Melodie im Kopf, schreiben die auf und wollen die Leute selbst überlegen lassen, wie sie die spielen. Ich glaube, da kann sich jeder selbst überlegen, was er in der Musik wichtig findet.

Ich finde die Klangfarbe des Klaviers extrem inspirierend und bin ein bisschen traurig, dass es sich so standardisiert hat über die letzten Jahre, dass immer der gleiche Flügel überall steht, der auch immer vergleichbar klingt. Die führenden Flügelhersteller loben diese Vergleichbarkeit - und die Pianisten finden das natürlich auch nicht schlecht, wenn sie etwas üben, irgendwohin fliegen und das Stück dort dann wie zu Hause klingt. Das ist für sie ein Vorteil, aber für die Vielfältigkeit des Repertoires vielleicht nicht so richtig dienlich.

Es gibt auch tolle Aufnahmen mit Spinett oder Cembalo - aber das spricht auch nicht jeden an. Man hat sich so daran gewöhnt, dass das Klavier so klingt, wie es klingt, dass es dann eine Umgewöhnung bedeutet würde. 

Für den ersten Piano Day wurde das weltweit größte Klavier gebaut. Wo steht es inzwischen?

Blick ins Studio von Nils Frahm, im Hintergrund das Klavins M450, das höchste Klavier der Welt. © Ben Czernek Foto: Ben Czernek
Ein Blick in Nils Frahms Berliner Studio im Funkhaus Nalepastraße - im Hintergrund: Das Klavins M450, das größte Klavier der Welt.

Frahm: Das steht immer noch im Funkhaus Nalepastraße in Berlin. Das Instrument ist ja 4,50 Meter hoch, und es war erst einmal die größte Schwierigkeit, überhaupt so einen hohen Raum zu finden. Das Funkhaus hat viele solcher Räume und so konnten wir es da hinstellen. Seit ungefähr einem halben Jahr sind wir an dem Punkt, wo wir auch alle Sachen wie zum Beispiel die Hämmer eingestellt haben und die Saiten noch einmal neu bespannt haben. Wir hatten natürlich nicht beim ersten Spielen das Gefühl, das Ding ist perfekt, sondern wir mussten noch einige Sachen verändern. Derzeit nehme ich schon auf und andere Musiker haben es auch schon ausprobiert - alle sind sehr glücklich darüber. 

Viele Pianisten sagen: Die Grenze des Klaviers ist, dass der Ton, wenn er angeschlagen ist, da ist und ab da wieder verschwindet. Manche sagen deshalb: Es ist auch wichtig, wie ich mich bewege, ob ich die Arme kreisen lasse oder die Ellenbogen nach außen nehme, so dass der Ton zum Beispiel lauter wird. Ist so etwas für Dich wichtig?

Frahm: Witzigerweise passiert schon etwas, wenn ich mit dem Kopf wackle. Es ist wie in dem Moment, wenn die Feuerwehr vorbei fährt: Durch die Schallgeschwindigkeit und Bewegung gibt es eine Art Modulation, eine ganz minimale Tonhöhen-Verschiebung. Wenn ich jetzt einen Ton spiele und mit dem Kopf 30 Zentimeter nach vorne und dann wieder nach hinten wackle, dann passiert schon etwas im Klangbild. Und um der klanglichen Limitierung, dass der Ton angeschlagen wird und wieder verschwindet, etwas abgewinnen zu können - jedes Streich- oder Blasinstrument kann da ja viel mehr - wackle ich mit dem Kopf und andere vielleicht mit den Ellbogen. Ich glaube aber: Mit dem Kopf wackeln bringt mehr als mit den Ellbogen (lacht).

Wohin wird sich das Klavier entwickeln, wenn wir in die nächsten 100 Jahre schauen und dann immer noch den Piano Day feiern?

Frahm: Die Zukunft des Instruments ist auf der einen Seite digital, denn alle wollen Klavierspielen, aber keiner hat wirklich Lust, ein Klavier das Treppenhaus hochzutragen. Auf der anderen Seite spreche ich viel mit Klaviertechnikern, -bauern, -stimmern und -verkäufern, die alle ganz begeistert sind und sagen: Nils, in den letzten Jahren ist so viel passiert, die Umsätze haben sich verdoppelt, alle wollen Klaviere. Ich schiebe das natürlich auf den Piano Day (schmunzelt). Corona hat den Klaviermarkt natürlich auch noch einmal extrem angeschoben. Ich muss sagen: Das Klavier macht sich jeden Tag neue Freunde. Und in 100 Jahren? Das Klavier ist vielleicht nicht die perfekte Arche Noah, aber wenn man sich eine Arche Noah vorstellt, wäre da wahrscheinlich auch ein Klavier drauf.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 29.03.2022 | 08:15 Uhr

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