Marianne Rosenberg: Von wegen "Für immer wie heute" ...
Bei Marianne Rosenberg denkt jeder sofort an Schlagerklassiker wie "Marleen" oder "Er gehört zu mir" - dabei ist die mehr als 50-jährige Bühnenkarriere der Sängerin aus Berlin deutlich facettenreicher. Im September kommt sie nach Hannover.
Schmachtete sie als Teenager in ihrem ersten Song "Mr. Paul McCartney" um einen Brief an, coverte sie später Lieder von Abba, Blondie oder Grace Jones. Sie sang mit Punk-Bands wie "Ton Steine Scherben" oder "Extrabreit" und experimentierte mit Jazz, Chansons, Techno oder HipHop. Inzwischen ist Marianne Rosenberg längst eine etablierte und auch politisch engagierte Songwriterin. Von wegen "Für immer wie heute", wie einer ihrer frühen Hits heißt …
Schlager-Ikone der 1970er-Jahre
Marianne Rosenberg wird 1955 in Berlin geboren und wächst als drittes von sieben Kindern von Otto Rosenberg auf, Auschwitz-Überlebender und langjähriges Vorstandsmitglied des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Mit 14 Jahren gewinnt sie einen Talentwettbewerb im Berliner Europa-Center, auf "Mr. Paul McCartney" (1970) folgen weitere Hits wie "Fremder Mann" (1971), "Er gehört zu mir" (1975) und "Marleen" (1976). In den 1970er-Jahren zählt die Sängerin zu den erfolgreichsten Schlagerstars in Deutschland.
Prägende Begegnung mit Rio Reiser
Trotz des Erfolgs bricht sie in den 1980er-Jahren erstmals mit ihrem Musikstil und dem Mainstream. "Ich hing ja fest in Plattenverträgen und hoffte, dass es bald ausläuft, damit ich etwas anderes machen kann", verrät sie im NDR Gespräch: Die "Neue Deutsche Welle" mit dem minimalistischem Stil und "völlig anderen Klängen und Ausdrucksweisen" kommt ihr dabei entgegengekommen. Plötzlich sind Schlager, Glitzer und Glamour nicht mehr so interessant.
"Es ist ja langweilig, wenn man mal etwas kreiert hat, was irgendwie toll und erfolgreich war - und dann soll man das sein Leben lang tun?" Marianne Rosenberg
Rosenberg fährt ins schleswig-holsteinische Friesenhagen, lernt "Ton Steine Scherben" und deren Sänger und Haupttexter Rio Reiser kennen. Eine prägende Begegnung. Beide haben denselben Manager, aber streben in unterschiedliche Richtungen: "Er wollte sehr viele Platten verkaufen und in den Mainstream." Sie habe hingegen eine andere Sprache für ihre Songs gesucht - weg von naiven Liebesliedern. Reiser bringt sie dazu, ihre Texte selbst zu schreiben.
Politisches Engagement
Mit Kai "Havaii" Schlasse und „Extrabreit“ nimmt sie das Duett "Duo infernal" auf. Die "ungehobelte Kapelle und die Schlagerprinzessin" - das sorgt auf beiden Seiten der Branche für Irritationen. Doch die Rosenberg ficht das nicht: Sie genießt den Image-Wandel, hat eine lila Strähne im Haar und amüsiert sich über Kinder-Fragen wie "Bist du ein Grufti?"
Nein, ein "Grufti" ist sie nicht - aber auch nicht konform: Rosenberg engagiert sich gegen den Häuser-Leerstand in Berlin und nimmt an Demonstrationen teil. Der Journalist Michael Klöckner, Herausgeber der Zeitschrift "radikal", dem damaligen Sprachrohr der linksradikalen Bewegung, ist noch heute ihr Lebensgefährte. Der gemeinsame Sohn Max wird 1993 geboren.
Ikone der Schwulenszene, Zusammenarbeit mit Bohlen
Marianne Rosenberg bleibt unangepasst und macht vor allem das, wozu sie Lust hat: Und zwar querbeet: Mit ihren neuen Songs und Remix-Versionen ihrer Klassiker avanciert sie in den 1980er-Jahren zur Ikone der Schwulenszene. Sie bezeichnet das als "Ritterschlag": "In der Schwulenszene werden ja Frauen verehrt, vor denen ich mich selbst verbeuge. Da fühle ich mich sehr geehrt, dass ich auch darin vorkomme."
Sie nimmt aber auch Songs mit Dieter Bohlen auf - für Fernsehserien wie "Rivalen der Rennbahn" oder "Die Stadtindianer". Zwischendurch covert sie "Strong enough" von Cher und gibt die Hauptrolle im Kurt-Weill-Musical "Venus". Marianne Rosenberg sitzt zeitweise auch in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" (was sie inzwischen bedauert). Selbst Rap und Hip Hop sind vor ihr nicht sicher: 2022 arbeitet sie für eine TV-Show mit Eko Fresh zusammen: "Ich habe gelernt, wie man Worte in rasender Geschwindigkeit ausdrückt. Wahnsinn! Es ist spannend, auch in meinem Alter noch zu lernen."
Autobiographie und Kritik am Musik-Business
Was für sie aber wirklich wichtig ist, wird in ihrer Autobiographie "Kokolores" deutlich. Der Buchtitel soll unter anderem zeigen, dass Karriere und Ruhm bedeutungslos sind, gemessen an dem, was das Leben ausmacht. Zum Beispiel die Herkunft, die Familie. "Sag, deine Vorfahren kommen aus Ungarn", bläut Vater Otto seiner Tochter an deren Karrierebeginn ein. "Sonst kauft keiner mehr deine Platten." Marianne hält sich an die Anweisung. "Viel zu lange", sagt sie heute und engagiert sich für die Rechte von Minderheiten.
Auch Kritik am Musik-Business gibt es. Rosenberg prangert beispielsweise die bis heute fehlende Gleichberechtigung im Schlagergeschäft an: "Als Frau muss man 20.000-mal lauter brüllen und Theater machen, um überhaupt gesehen zu werden und sich durchzusetzen", so Rosenberg. Sie selbst sei als Künstlerin jahrelang "vollkommen unterschätzt" worden: "Die eigene Arbeit zu machen, Musik zu schreiben, Musik zu produzieren, die Etats reinzuholen - das hat lange gedauert, bis man mir das anvertraut hat."
2022: Erstmals Platz eins der Albumcharts
Dabei ist ihre Arbeit in höchstem Maße erfolgreich. 2020 erscheint ihr Studioalbum "Im Namen der Liebe" - mit dem sie erstmals in ihrer Karriere Platz eins der Charts erreicht. Zwei Jahre später schafft "Diva" immerhin Platz 5 - auch das eine Platzierung, die Marianne Rosenberg zu ihren besten Zeiten mit einem Album nie gelungen war.
Ist der Albumtitel Programm? "Eine Diva arbeitet selbstbestimmt und sagt, was sie braucht - ja, dann bin ich eine Diva." Und so ist von dem kleinen Mädchen, das einst Beatles-Star McCartney um einen Brief anflehte, nichts mehr geblieben. Selbst das Autogramm, das sie Jahre später bei einem Backstage-Treffen in der Deutschlandhalle bekam, ist weg: "Das habe ich bei einem meiner Umzüge verloren. Schrecklich! Ich bin heute noch traurig."
