George Petrou posiert © Händelfestpiele Göttingen/Frank Stefan Kimmel Foto: Frank Stefan Kimmel

George Petrou: "Die Göttinger werden Überraschungen erleben"

Sendedatum: 11.05.2022 14:20 Uhr

Die Göttinger Händelfestspiele finden in diesem Jahr erstmals unter der künstlerischen Leitung von George Petrou, einem griechischen Dirigenten, Pianisten und Bühnendirektor, statt. Ein Gespräch.

George Petrou, Sie haben zwei Jahre warten müssen, um Ihre ersten "richtigen" Göttinger Händelfestspiele vor Publikum in Göttingen ausrichten zu können - nun ist es endlich soweit. Ich vermute mal, Sie sind darüber sehr glücklich und erleichtert?

George Petrou: Absolut, ja! Es ist jetzt ein guter und glücklicher Zeitpunkt. Würden die Festspiele früher im Jahr liegen, dann hätten wir noch mitten in der Pandemie loslegen müssen. Das erste Festival unter meiner Leitung ist auch das erste, das unter weitgehend normalen Bedingungen stattfinden kann; ohne die umfassenden Covid-Beschränkungen.

Die bisherigen künstlerischen Leiter waren allesamt Briten: John Eliot Gardiner, Nicholas McGegan und Laurence Cummings. Mit Ihnen wird jetzt hier einen Art Brexit eingeläutet und nicht nur das: Sie inszenieren auch selbst. In welcher Art kann es sich positiv auf die Musik auswirken, wenn sie direkt vom Regisseur geleitet wird?

Petrou: Als Regisseur geht es mir ja um die Verbindung von Musik und Drama, auch um solche Verbindungen, die vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennbar sind. Ich lasse mich sehr gerne von kleinen Details zwischen den Zeilen anregen, um ein Bild zu erschaffen, dass zu der Produktion dann passt. Mein Regiekonzept ist immer ein sehr musikalisches. Es ist oft inspiriert durch die versteckten Qualitäten der Opernstoffe, die ich inszeniere.

Angefangen hat Ihre Händel-Begeisterung mit den Opern Xerxes und Julius Cäsar - diese Opern, das haben Sie mehrfach gesagt, hätten Ihr Leben verändert. Wenn Sie jetzt ausgerechnet Julius Cäsar in Göttingen aufführen, dürfte das ja mit einer sehr persönlichen Note geschehen, oder?

Programmtipp
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Petrou: Musikalisch ganz sicher, ja. Das wage ich mal zu behaupten. Inszenatorisch auf jeden Fall auch, aber meine Regiearbeit ist eine von vielen möglichen Deutungen. Diesmal habe ich mich dafür entscheiden, Cäsar im Jahr 1920 anzusiedeln. Es ist zum einen das Gründungsjahr der Göttinger Händelfestspiele. Zum anderen war 1920 das Jahr der Ägyptomanie in ganz Europa. Denken Sie an Carters Ausgrabungen, denken Sie an Tutanchamun. Für mich hat es sich richtig angefühlt, Händels Barockoper Julius Cäsar in dieser Zeit spielen zu lassen.

Abgesehen mal jetzt vom nachzuholenden 100-jährigen Festivaljubiläum, Sie haben die russische Sopranistin Julia Lezhneva für ein Galakonzert eingeladen. Die Titelpartie des Cäsar wird vom ukrainischen Countertenor Juryi Minenko gesungen. Bekommt diese Oper auch eine neue Lesart durch aktuelle Ereignisse des Weltgeschehens?

Petrou: Nein, das würde ich nicht sagen. Schauen Sie, meine letzte Produktion, das war Mozarts Idomeneo in Athen. Idomeneo ist eine Antikriegs-Oper. Und obwohl ich es gar nicht darauf angelegt hatte, ein Statement damit abzugeben, hat mich die Entwicklung des Kriegs in der Ukraine dann doch beeinflusst und so wurde eine antimilitaristische Inszenierung daraus. Die Produktion Julius Cäsar habe ich schon im Januar in Holland gezeigt. Natürlich hätte sie eine völlig andere Herangehensweise, wäre sie erst Ende Februar entstanden, das ist klar. In dieser Inszenierung geht es mehr um den Kampf zwischen Gut und Böse allgemein und weniger um einen realen Krieg.

Händels Opern sind auch abseits dieser Themen oft hochpolitisch.

Petrou: Ich denke, dass Händel überhaupt ein sehr politischer Mensch gewesen sein muss. Er war Geschäftsmann, wissen Sie. Händel war interessiert. Das war keiner dieser abgehobenen Künstler, sondern der wusste genau, was seine Mitmenschen beschäftigt. Sein Werk Julius Cäsar ist trotz der geschichtlichen Panoramen nicht das politischste. Ich zum Beispiel bringe die Oper jetzt als eine Art Abenteuerfilm mit schnellen Schnitten auf die Bühne. Wir erschaffen eine wahre Bilderflut, bei der das Publikum sich fragen wird: was wird wohl als nächstes kommen.

George Petrou verspricht neue Perspektiven auf Händel

 

Neue Perspektiven auf Händel haben Sie versprochen - nicht nur auf der Bühne, sondern auch an ungewöhnlichen Orten, wie z.B. der Fußgängerzone. Welche Idee steckt hinter diesem Konzept?

Petrou: Uns geht es um Folgendes: Die Händelfestspiele sollen eine große Händelparty für Göttingen und Umgebung sein, wir wollen alle einbinden. Am besten rund um die Uhr und auch an unerwarteter Stelle und gerne auf etwas abenteuerliche Art. Für mich ist das eine tolle Gelegenheit, Göttingen zu erkunden und auch die Göttingerinnen und Göttinger werden Überraschungen erleben.

Sie haben als Pianist begonnen und spielen auch Cembalo - da würde es sich doch eigentlich anbieten, das Orchester vom Spinett aus zu leiten, so wie Händel es seinerzeit gemacht hat.

Petrou: Genau, das ist möglich und bietet sich an. Wobei wir gar nicht so genau wissen, in welchem Ausmaß, Händel das gemacht hat. Für mich wäre dies kein Problem und es kann sogar eine spaßige Angelegenheit sein. Ich bevorzuge es aber, für das Orchester beide Arme frei zu haben, um spontaner in meinen Gesten zu sein.

Das Publikum kann in diesem Jahr einen Sopranisten erleben, den Brasilianer Bruno de Sá - eine männliche Sopranstimme, kein Countertenor wohlgemerkt. Den Unterschied müssen Sie erklären.

George Petrou dirigiert © Händelfestpiele Göttingen/Alciro Theodoro DaSilva Foto: Alciro Theodoro DaSilva
Ganz bei Händel: George Petrou dirigiert am Pult

Petrou: Bruno kann zwar auch Counterpartien singen, aber er verfügt über die äußerst seltene Gabe, als Erwachsener die reine Stimme eines Kindes zu haben. Er hat eine sehr schöne Stimme, die es ihm gestattet, sehr hohe Soprankoloraturen zu singen, das geht bis hinauf zum hohen "D".

Auch hier also eine Erweiterung des bereits Bekannten, "Neue Horizonte" lautet ja auch das Motto der Händelfestspiele Göttingen in diesem Jahr. Aufgefallen ist mir beim Blättern im Programmheft auch ein Konzert mit dem Lautenisten Lee Santana und der Blockflötistin Dorothee Oberlinger; da soll es um die Verbindungen zwischen Händel und Jimi Hendrix gehen. Jimi Hendrix hat nämlich in der Londoner Brook Street unter der gleichen Adresse gewohnt wie früher der Barockkomponist.

Petrou: Ich selbst war sogar dort und habe Händels bzw. Hendrix´ Haus besucht. Ich habe dieses besondere Musikprogramm letztes Jahr in einem Videostream gesehen, das hat mich sehr beeindruckt. Und es ist eigentlich ein Jammer, dass ich an dem Abend ausgerechnet nicht dabei sein kann, da ich zur selben Zeit die Oper Julius Cäsar dirigiere. Aber das Hendrix-Programm sollte man auch nicht verpassen.

Inzwischen konnten Sie die Stadt Göttingen schon etwas besser erkunden. Haben Sie schon einen Lieblingsort für sich entdeckt?

Petrou: Ich entdecke jeden Tag etwas Neues. Mein Lieblingsort ist zurzeit aber das Deutsche Theater. Das ist nicht nur wunderschön, es hat auch eine fantastische, hilfsbereite Crew. Ich muss es so sagen: Meine Inszenierung ist für alle doch eine ziemliche Herausforderung, aber die finden fast immer eine Lösung. Ich bin dem Team des Deutschen Theaters sehr dankbar.

Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem FestspielOrchester Göttingen?

Petrou: Das von Nicholas McGegan gegründete FestspielOrchester ist eine Riesenbereicherung für unser Festival. Es ist eines der besten Barockorchester, die ich kenne. Was es so besonders macht, ist neben dem Können der Musikerinnen und Musiker, dass es aus wundervollen Menschen besteht. Die sind alle so freundlich, sie arbeiten sehr hart und ermöglichen durch ihr Spiel regelrechte Zaubererfahrungen.

Das Gespräch führte Philipp Cavert.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 11.05.2022 | 14:20 Uhr

George Petrou dirigiert © Händelfestpiele Göttingen/Alciro Theodoro DaSilva Foto: Alciro Theodoro DaSilva

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