CD der Woche: "Jeder Mensch ein Sender" von Kling Klong
Grönemeyer tut es, Howard Carpendale tut es, die Rolling Stones tun es, und ABBA hat es getan: Sie spielen entweder unzählige "letzte Konzerte" oder feiern plötzlich - nach Jahrzehnten der Stille - ein Revival. Auch die Band Kling Klong reiht sich da ein.
Kling Klong entstand als Band Anfang der 1980er-Jahre in Marburg, im Studentenmilieu. Man tourte durch Deutschland und Italien, die Band machte sogar eine Platte. Dann gingen aller ihrer Wege. Nach fast vier Jahrzehnten hat dieses ungewöhnliche Bandkollektiv mit Hauptsitz in Hamburg wieder zusammengefunden, ein Album veröffentlicht und eine kleine Releasetour gemacht. Der Saxofonist Stephan Lamby ist sich sicher: "ABBA feiert auch ein Revival, dann dürfen wir das auch. Vor vier oder fünf Jahren haben wir uns getroffen um Spaß zu haben ohne große Pläne. Dann haben wir zwei, drei Tage von morgens bis abends, bis in die Puppen Musik gemacht und festgestellt, dass es gut funktioniert und sehr viel Spaß macht. Außerdem verstehen wir uns auch und daraus hat sich dann wieder etwas entwickelt - ohne Masterplan."
Kling Klong: Das Ergebnis ihrer gemeinsamen Sessions kann sich hören lassen
Das wiedervereinte Kollektiv nutzte die kulturarmen Coronamonate, mietete ein Hamburger Studio und produzierte das Album "Jeder Mensch ein Sender", inspiriert von und mit Alexander Kluge. Der mittlerweile 90-jährige Filmemacher und Schriftsteller ist Gesprächspartner von Stephan Lamby, hauptberuflich ebenfalls preisgekrönter Filmemacher und Journalist. Ein anderer ist Roland Musolff: "Einer der Kernmomente war glaube ich, als wir uns vor drei Jahren getroffen haben und gerade dieser Mord an George Floyd passiert war - wir alle waren völlig aufgebracht. Da brachte Stephan diese Rede von diesem Al Sharpton in den Proberaum und dann haben wir dazu improvisiert - erstmal." Roland Musolff ist Tonmeister, Pianist, Komponist und Filmproduzent in Hamburg. Der Mann an den Tasten und Knöpfen. E-Bass und Gesang kommen von Sascha Siebenmorgen.
Song in Gedenken an George Floyd
Ein weiterer Titel auf dem Album heißt "Enough is Enough" - er geht acht Minuten und 46 Sekunden. Genau so lange kniete der Polizist auf George Floyds Nacken. Die Trauerrede hielt damals der Bürgerrechtler Al Sharpton. Dieses Musikstück lässt keinen kalt, entweder man ist bewegt, genervt oder verunsichert. Genau das interessiert Kling Klong - die sich in den 1980ern nach einem skurillen Filmplakat benannt hatten. Kling Klong zerpflückt verbale Fundstücke. Es ist keine explizite Textarbeit, sondern ein Spiel mit dem Groove, der in den Worten steckt. Die Band hat sich neu erfunden, mit einem Rückrat aus Rhythmus, bei dem jeder mit muss.
Alle Bandmitglieder kümmern sich um den Rhythmus
An den Schlagzeugen Dirk Dhonau und Hubl Greiner, die Perkussion bedient Yogi Jokusch. Der Siebte im Bunde ist Stefan Hentz, Gitarrist und Jazzjournalist. Lamby sagt: "Wir verstehen uns eigentlich alle als Rhythmusgruppe: Es ist so wie bei einer guten Fußballmannschaft, die auch nicht in Angriff und Verteidigung unterscheidet, alle müssen angreifen, alle müssen verteidigen. Bei uns ist es so, dass wir alle Rhythmus machen."
Kling Klong hat eine ungeheure Energie
Die Band entwickelt eine ungeheure Energie, auf der CD und live noch mehr. Jeder der Sieben hat andere musikalische Erfahrungen, man denkt an legendäre Bands wie Embryo, RipRig and Panic oder die Lounge Lizards. In der Kling Klong Musik treffen sich Stilelemente aller Genres, Jazz und Rock, Funk und Weltmusikbeats, es ist eine irre, begeisternde Mischung. Weil sie rau und zärtlich ist, privat und politisch, frech, stark, aus dem Bauch heraus und dabei ganz schön schlau. Genau das hat uns gefehlt.
Jeder Mensch ein Sender
- Genre:
- Jazz
- Label:
- Enja
- Veröffentlichungsdatum:
- 27.05.2022
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