Synagoge in Hannover soll besser gesichert werden

Stand: 07.10.2022 15:15 Uhr

Die Hintergründe um ein zerbrochenes Fenster einer Synagoge in Hannover sind noch unklar. Dass das Gebäude sicherer gemacht werden soll, stand aber schon vorher fest. Was ist geplant?

In diesem Jahr hat das Land Niedersachsen fünf Millionen Euro für die jüdischen Gemeinden bereitgestellt. Mit dem Geld sollen die Synagogen und andere Institutionen durch bauliche Maßnahmen besser geschützt werden. In Hannover solle es bald schon mit den Bauarbeiten losgehen, sagte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Hannover, Michael Fürst. Der Zaun soll erhöht werden und es wird dickeres Fensterglas eingesetzt. Nachdem am Mittwoch eine Scheibe möglicherweise absichtlich eingeworfen wurde, hat man das Konzept noch einmal angepasst. So werden auch weiter oben an der Empore die dünnen Scheiben zusätzlich verstärkt, was bislang so nicht vorgesehen war. Fürst machte einen Tag nach dem Vorfall während eines Gottesdienstes deutlich, dass Polizeipräsenz vor den Gotteshäusern, Kameras und höhere Zäune zwar gut seien - wichtiger sei aber der Schutz der jüdischen Gemeinden durch eine demokratische Zivilgesellschaft.

VIDEO: Michael Fürst: "Eine höchst schockierende Angelegenheit" (1 Min)

Fenster eingeworfen? Kein Gegenstand gefunden

Für einen Bewurf oder einen Beschuss des Fensters gibt es derweil noch keine Anzeichen. Polizeibeamte haben nach eigenen Angaben das ganze Gelände abgesucht, doch bislang sei kein Gegenstand gefunden worden, der das Loch verursacht haben könnte. Zudem sei weiter unklar, ob es sich überhaupt um ein durch Menschen verursachtes Ereignis gehandelt habe. Ein Fenster könne auch durch einen Vogel, eine Kastanie oder einen Ast zu Bruch gehen. Allerdings könne die Polizei auch eine antisemitische Straftat nicht gänzlich ausschließen. Deshalb habe der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.

Schuster: Solidaritätsbekundungen geben Mut

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach am Donnerstag bereits von einem Anschlag. Dass Jüdinnen und Juden im Jahr 2022 in Deutschland nicht ohne Furcht zum Gebet gehen könnten, sei beschämend. "Mut geben uns die vielen Solidaritätsbekundungen aus der Zivilgesellschaft und der staatlichen Institutionen," sagte er.

Stephan Weil: Kein Platz für Antisemitismus

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) drückte den Gemeindemitgliedern in einem Telefonat mit Michael Fürst sein Mitgefühl und seine Solidarität aus. "Wir stehen fest an der Seite unserer jüdischen Bürgerinnen und Bürger", sagte Weil. Innenminister Boris Pistorius (SPD) verwies auf die laufenden polizeilichen Ermittlungen. "Sollte es sich bestätigen, dass das Fenster eingeworfen wurde, ist das keine bloße Sachbeschädigung." Jede Form der Gewalt gegen jüdisches Leben sei ein Anschlag auf "unsere freiheitliche, offene und solidarische Gesellschaft in Niedersachsen", so Pistorius.

Havliza: "Hässliches Zeichen für Antisemitismus in unserem Land"

Justizministerin Barbara Havliza (CDU) sprach von einem erschütternden Angriff. "Ganz gleich, wer das Fenster eingeworfen hat, ganz gleich aus welchen Motiven: Dieser Angriff am höchsten jüdischen Feiertag, drei Jahre nach dem Terror von Halle und auf dem umzäunten Gelände der Synagoge, ist ein hässliches Zeichen für den zunehmenden Antisemitismus in unserem Land."

Menschen in Synagoge feierten Abschluss von Jom Kippur

Michael Fürst, Vorsitzender Jüdische Gemeinde, zeigt Politikern verschiedener Parteien in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Hannover ein fehlendes Bleiglasfenster in der Fassade. © dpa-Bildfunk Foto: Julian Startenschulte
Michael Fürst, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, zeigt Politikern den Schaden an der Synagoge.

Als das Fenster am Mittwochabend zerbrach, hielten sich nach Angaben der Gemeinde 150 bis 200 Menschen in der Synagoge auf. "Wir waren alle auf das Gebet konzentriert, irgendwann gegen 19 Uhr haben wir einen Knall gehört", berichtete Arkadij Litvan, Mitglied im Vorstand der Jüdischen Gemeinde. Verletzt wurde niemand. Nach der Alarmierung der Polizei hätten die Gläubigen ihr Gebet fortgesetzt. "Wir lassen uns von diesen Bekloppten nicht stören", sagte Litvan.

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Landesbischof: "Entsetzt und beschämt mich zutiefst"

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, sagte am Donnerstag, es sei unerträglich, dass Jüdinnen und Juden bei der Ausübung ihrer religiösen Praxis bedroht würden. "Der Anschlag auf die Synagoge in Hannover gestern Abend entsetzt und beschämt mich zutiefst. Wir müssen weiterhin auf allen Ebenen und in allen Bereichen mit viel mehr Entschlossenheit als bisher gegen jede Form von Antisemitismus arbeiten“, sagte Meister, der sich seit Langem für das Gespräch zwischen Christen und Juden einsetzt. Hildesheims katholischer Bischof Heiner Wilmer sprach davon, dass "das Übel des Antisemitismus in unserer Gesellschaft leider" weiterhin präsent sei. "Unsere jüdischen Schwestern und Brüder müssen ungestört und in Frieden ihre Gottesdienste feiern können." Er sei froh, dass niemand verletzt worden sei.

Schura: "Auf allen Ebenen gegen Antisemitismus und Rassismus eintreten"

Auch der Landesverband der Muslime in Niedersachsen (Schura) verurteilte den mutmaßlichen Angriff. "Ich bin entsetzt über den antisemitischen Anschlag in Hannover. Meine Solidarität gilt allen meinen jüdischen Freunden“, sagte der Vorsitzende Recep Bilgen laut Mitteilung. Es bleibe eine gemeinsame Verpflichtung, gegen jeden Antisemitismus und Rassismus auf allen Ebenen und in allen Bereichen mit viel mehr Entschlossenheit einzutreten.

Immer mehr antisemitische Vorfälle in Niedersachsen

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz zeigte sich ebenfalls bestürzt. "Es ist schockierend und traurig zugleich, wie trotz Sicherheitsvorkehrungen immer unverhohlener und hemmungsloser jüdisches Leben mitten in Deutschland angegriffen wird", hieß es. "Mit großer Sorge erfüllt uns, dass solche Angriffe nicht nur weiter zunehmen, sondern auch in immer kürzeren Abständen geschehen", teilte der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland mit. Die Zahl der polizeilich erfassten antisemitischen Delikte in Niedersachsen ist von 140 im Jahr 2017 auf 269 im vergangenen Jahr gestiegen, wie das Niedersächsische Innenministerium mitteilte. Der Großteil der Straftaten habe im Bereich der Volksverhetzung in Form von Hasspostings im Internet gelegen.

Verstärkte Sicherheit schon lange Thema

Der Vorfall in Hannover weckt Erinnerungen an den Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019. Dort hatte ein Rechtsextremist an Jom Kippur versucht, mit Waffengewalt in die Synagoge einzudringen. Er scheiterte an einer Sicherheitstür. Kurz darauf erschoss er in der Nähe zwei Passanten und verletzte zwei weitere. In der Folge hatten sich die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen mit der Landesregierung nach langen Verhandlungen darauf verständigt, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Innenminister Pistorius sagte am Donnerstag: "Wir haben in den vergangenen Jahren die Schutzmaßnahmen immer wieder intensiviert und sind dazu im persönlichen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinden."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 07.10.2022 | 08:00 Uhr

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