Ueckermünder Altar im Nationalmuseum Stettin.

Sonderausstellung: Stettin und Szczecin - eine Stadt?

Stand: 14.04.2022 15:00 Uhr

Sind das polnische Szczecin und das deutsche Stettin eigentlich eine Stadt? Haben sie eine Geschichte oder kaum etwas miteinander zu tun? Diese Fragen stellen eine Sonderausstellung des Nationalmuseums in Stettin und die neue Podcastfolge von Dorf Stadt Kreis.

von Heiko Kreft, Studio Neubrandenburg

Das Nationalmuseum in Stettin ist eine Schatzkammer für pommersche, deutsche und polnische Kunst. Gelegen an der Hakenterrasse hoch über der Oder empfängt das Museum seit 1913 Besucherinnen und Besucher. In den Ausstellungen und Depots lagern rund 150.000 Objekte. Das Museum mit seinen verschiedenen Häusern ist die größte Kultureinrichtung der Wojewodschaft Westpommern. Es ist zugleich eine Institution, in der sich die Umbrüche und Transformationen der Stettiner Stadtgeschichte widerspiegeln. Vor 1945 wird die Sammlung von deutschen, nach 1945 von polnischen Museumsleuten betreut.

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Staatsauftrag: Patriotismus

Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Übernahme der Stadt durch Polen bringt für das Stettiner Museum eine Zäsur. Auch wenn es - physisch gesehen - das Haus an der Hakenterrasse noch gibt: Das deutsche Museum hört auf zu existieren. Das neue polnische Museum hat mit dem Vorgänger institutionell nichts zu tun. Im Gegenteil. Es richtet sich nicht nur an ein völlig anderes Publikum. Es hat auch einen anderen Auftrag. "Wie alle Kulturinstitutionen in Westpommern sollte das Museum ein Mittel sein, patriotische Kräfte zu wecken", berichtet Dariusz Kacprzak. Er ist der Wissenschaftliche Direktor des Nationalmuseums Stettin und Kenner der Museumsgeschichte. 1947 werden Ausrichtung und Programm neu festgelegt. "Das Stettiner Museum hat zum Ziel, in diesen Gebieten ausschließlich die polnische Kunst und Kultur, die slawische Tradition, zu verbreiten und zu propagieren.", heißt es in einem Schreiben der Warschauer Hauptdirektion.

Meisterwerke polnischer Künstler

In den darauf folgenden Jahren werden daher viele Werke berühmter polnischer Künstlerinnen und Künstler angekauft. Ihre Bilder und Plastiken beschäftigen sich oft mit historischen Themen, die nationale Mythen bedienen. Häufig geht es um das polnische Trauma: den lange erfolglosen Kampf um einen eigenständigen, unabhängigen Nationalstaat. Der war den Polen über Jahrhunderte verwehrt. Nicht zuletzt wegen der russischen und preußisch/deutschen Politik. Mit Hilfe von neuerworbenen Kunstwerken und entsprechenden Ausstellungen soll das Stettiner Museum nach 1945 den Anspruch Polens auf Stettin und Pommern untermauern. Die ehemals deutschen Regionen werden von der polnischen Staatspropaganda "wiedergewonnene Gebiete" genannt. Wojciech Gersons Gemälde "Landlose - Die Pomoranen verdrängt von den Deutschen auf die Ostseeinseln" von 1888, das damals in den Bestand des Stettiner Museums kommt, soll dieses Narrativ bildmächtig belegen.

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Rückkehr der modernen Kunst

Es sind aber nicht nur nationalromantische Werke, die aufgekauft werden. Auch Plastiken und Gemälde der modernen Kunst, aus den 1920er und 1930er Jahren, bereichern bald die Sammlung. Dazu zählen beispielsweise die expressionistischen Arbeiten Rafal Malczewskis. Sie füllen eine markante Lücke in den Stettiner Depots. Zwar besaß die deutsche Vorgängerinstitution einst auch moderne Kunst, doch in den Jahren der nationalsozialistischen Barbarei wurden sie als "entartete Kunst" diffamiert und aus den Depots verbannt.

Gegensätze und Gemeinsamkeiten

In seiner aktuellen Sonderausstellung "Stettin/Szczecin - Eine Stadt", die bis zum Herbst 2022 läuft, blickt das Nationalmuseum Stettin nun auf die wechselvolle Geschichte seiner Sammlung. Erstmals werden bewusst Objekte zusammen gezeigt, die von deutschen und polnischen Kuratoren für das Museum angekauft wurden. Zum Beispiel eine Statue des polnischen Königs Boleslaus II. direkt vor einem Bild des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. bei der Teilnahme einer Militärparade in Stettin. Auf diese Weise sollen Brüche, Transformationen, aber auch Gemeinsamkeiten und Verbindendes veranschaulicht werden. "Obwohl das unbequem ist, lohnt es sich eher nicht, solche Fragen zu verschweigen, ihnen auszuweichen oder sie zu überschreien.", sagt der Wissenschaftliche Direktor Dariusz Kacprzak. Er ist sich sicher, dass Stettin und Szczecin tatsächlich eine Stadt sind. So wie die Sammlung des Museums eine sei - mit ihrer komplexen, komplizierten Geschichte.

Deutsche Spuren im polnischen Stettin - darum geht es auch in der aktuellen Ausgabe des Podcasts "Dorf Stadt Kreis". Zu finden in der NDR MV App oder in der ARD-Audiothek.

 

 

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 14.04.2022 | 19:30 Uhr

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