Wo Großmutter im KZ war: Gedenken in Barth
Sie kommen aus Australien, Neuseeland, den USA und waren 1945 noch nicht geboren: Die Nachkommen ehemaliger KZ- und Kriegsgefangener suchen die Stätten der Internierung ihrer Angehörigen auf und erzählen von ihnen.
Magda Lefkovitz war 13 Jahre alt, als sie und ihre Schwester Irene in das KZ-Außenlager nach Barth kam. Vorher waren die ungarischen Jüdinnen in Ausschwitz interniert. Beide Eltern starben dort. Die Schwestern leisteten in Barth schwerste Arbeit im Flugzeugbau. Der ständige Hunger, die Müdigkeit. Magda lernte es, im Stehen zu schlafen, und vor allem erinnert sie sich an die Kälte. "Wir alle froren ständig", sagt sie im Jahr 2000 in einem Zeitzeugenbericht. Sie war eine von 7.000 KZ-Häftlingen in Barth.
2025 ist Gedenkjahr in Barth
Die Stadt Barth (Landkreis Vorpommern-Rügen) widmet dieses Jahr dem Gedenken an diese Menschen. An sie und die Inhaftierten des Kriegsgefangenenlagers "Stalag Luft I", das sich ebenfalls in Barth befand. "Wir müssen uns fragen, welche Lehren wir aus diesem grausamen Erbe ziehen und wie wir die Erinnerungen lebendig halten", hatte der Bürgermeister Friedrich-Carl Hellwig zu Jahresbeginn formuliert.
150 Angehörige der Opfer kommen
Vom 8. bis 10. Mai wird es sehr lebendig in der Stadt und auch die Erinnerungen an die Zeit vor 80 Jahren werden es: Zirka 150 Angehörige der Opfer dieser Lager besuchen die Stadt am Bodden. Wie Nicole Paszehr vom Tourismus-Amt berichtet, kommen sie aus zwölf Ländern: den USA und Großbritannien zum Beispiel, Italien, Spanien, Israel, sogar aus Neuseeland und Argentinien. Für die Amtsleiterin: "Ein ganz besonderes Ereignis."
Im Kriegsgefangenenlager "Stalag Luft I" hatte die SS bis zu 9.000 Luftwaffenangehörige festgehalten: Briten, Franzosen und Amerikaner, außerdem 1.000 Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Sie alle kämpften unter schlimmsten Bedingungen ums Überleben, wie in einer Ausstellung des Fördervereins „Dokumentations- und Begegnungsstätte Barth“ (DOK Barth) im Bürgerhaus beschrieben wird.
Wichtige Rüstungsbetriebe für NS-Regime
Barth war wichtig im NS-Regime. Die Stadt wuchs damals durch Rüstungsbetriebe wie die Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke und den Flughafen. Als Arbeitskräfte wurden Männer und Frauen aus mehr als 20 Nationen aus Konzentrationslagern nach Barth transportiert und unter widrigsten Bedingungen einquartiert. Viele Häftlinge erkrankten an Tuberkulose, verhungerten oder wurden erschossen.
80 Jahre danach: Gedenkjahr in Barth
2025 ist darum in Barth Gedenkjahr: 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers und des Kriegsgefangenenlagers "Stalag Luft I". Zusammen mit dem Förderverein "DOK-Barth", der sich seit 1998 der Forschungs- und Bildungsarbeit zur Stadtgeschichte zwischen 1933 und 1945 verschreibt, empfängt die Stadt die internationale Delegation. Sie besuchen historische Schauplätze und Gedenkstätten, wie das Stammlager 1, das KZ-Mahnmal und das sowjetische Ehrenmal. Im Vineta-Museum können die Besucher eine Sonderausstellung sehen: "Kriegstagebücher und Alltagsgegenstände aus Stalag Luft I", ausgehend von originalen Aufzeichnungen eines amerikanischen Piloten Gilette. Entwickelt vom Museumsleiter Gerd Albrecht und seinem Mitarbeiter Christian Schuhmacher.
Stadt und Verein laden die internationalen Gäste zu feierlichen Gedenkstunden ein, zu denen Kränze niedergelegt werden können. Auch Begegnungen mit Barther Schülern sind geplant.
Enkelkinder erzählen von ihren Großeltern
Im Mittelpunkt des Besuchsprogramms stehen die lebensgeschichtlichen Vorträge von Teilnehmenden der Delegation also der Angehörigen der ehemals in Barth Internierten: "Es sind oft die Enkel, die vom Leben ihrer Großeltern erzählen", sagt Nicole Paszehr. So wie David Nichols aus Großbritannien, der über Captain Martin Nichols berichtet, einem Kriegsgefangenenchirurg im Stalag Luft 1. Oder Judy Pillinger aus den USA, die ihren Vortrag der Großmutter widmet und ihn "14 to 94: Living after not dying" überschrieb ("14 bis 94: Leben nach dem Nicht-Sterben").
Verwischte Spuren der Vergangenheit
Über Spuren, die Menschen wie Magda Lefkovitz in Barth hinterlassen hat, gibt der Archäologe Michael Schirren geforscht und einen Vortrag erarbeitet. Der Experte spricht darüber, welche Bodendenkmäler und archäologische Funde aus der Zeit des Nationalsozialismus um die Gedenkstätten zu finden sind. Funde, die Geschichten erzählen – von menschlichen Schicksalen.
Viele Spuren sind inzwischen verwischt. Magda Lefkovitz, so ist im Dokumentationszentrum zu erfahren, ging nach der Befreiung zurück nach Ungarn und emigrierte 1970 in die USA. Denn auch in ihrer Heimat war sie als Jüdin Anfeindungen ausgesetzt.
