Wie Finnen in Hamburg den NATO-Beitritt sehen
Finnland will dem Verteidigungsbündnis NATO beitreten - als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie sehen die Frauen der finnischen Gemeinde in Hamburg diese Entwicklung? Sind sie für den NATO-Betritt ihres Landes?
Die finnische Seemanskirche in Hamburg ist ein Treffpunkt nahe des Hafens für Jung und Alt, für Finninnen und Finnen. Seit über 100 Jahren gibt es die Gemeinde in der Hansestadt. 2.500 Finninnen und Finnen wohnen in der Hansestadt. Viele von ihnen kamen wegen ihres Partners nach Hamburg. So wie die 83-jährige Ellamaija Gries: "1970 habe ich meinen Hamburger Ehemann am Polarkreis am Badestrand getroffen und so bin ich dann nach Hamburg gekommen." Die Kinder der Frauen leben seit Geburt an in Hamburg, für sie ist das Gemeinde-Zentrum nahe den Landungsbrücken wie eine zweite Heimat.
Eine finnische Sauna gehört auch dazu
Aus der Seemannskirche ist so im Laufe der Jahre ein wichtiger finnischer Bezugsort mitten in Hamburg geworden - nicht nur für Seeleute, sondern auch für in Norddeutschland lebende Finnen und ihre Familien. Die Gemeinde ist alles andere als eine normale Gemeinde: In der Kirche gibt es einen Kiosk mit Leckereien wie finnischen Zimtschnecken und finnischem Bier oder Souvenirs mit den Mumis, eine Bibliothek - und eine Sauna. Im Grunde genommen sind es zwei Saunen: eine für die Frauen und eine für die Männer. Das sei bei finnischen Kirchen keine Seltenheit. Die Sauna hat in Finnland Tradition, wie Saunameister Timo Mäkelä erzählt: "Es ist Entspannung, man kann den Alltag vergessen. Das ist ein Teil vom Leben für uns, eine Art Treffpunkt für alle."
Sauna-Diplomatie hat Tradition
In den 1950er- und 1960er-Jahren spielte die Sauna-Diplomatie eine besonders wichtige Rolle in der finnischen Politik. Es wurden auch ausländische Gäste in die Sauna geladen. Der damalige finnische Präsident Uhro Kekkonen habe seine Gäste immer in den "Schwitzkasten" genommen, erzählt Mäkelä. Denn wer schwitze, könne nicht lügen und erzähle die Wahrheit.
"Nie gedacht, dass der NATO-Antrag so schnell kommt"
Auch in diesen Wochen beschäftigt die Gemeinde die Weltpolitik: Denn Finnland hat sich für einen NATO-Beitritt entschieden. Mit überwältigender Mehrheit hat das finnische Parlament einem Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft des Landes zugestimmt. Nach einer zweitägigen Debatte sprachen sich am Dienstag 188 Abgeordnete für einen Mitgliedsantrag aus, acht stimmten dagegen.
Für die jüngeren Frauen, die in der finnischen Gemeinde einmal in der Woche finnische Kinderlieder mit ihren Babys singen, ist es überraschend, wie schnell die Entscheidung kam. Viele haben Familie in Finnland und verfolgen die Ereignisse, so wie die junge Mutter Terhi: "Es ist eine spannende Zeit! Vor einem halben Jahr hätten wir nie gedacht, dass es so schnell kommt."
Verwandte sind einst im Krieg gegen die Russen gefallen
Die älteren Damen in der Gemeinde sind vor allem erleichtert. Denn sie stammen teilweise aus Lappland, nahe der russischen Grenze. So wie Liisa Ahrens. Ihre Verwandten wohnen noch immer an der russischen Grenze. Ahrens hat "gemischte Gefühle". Sie hat Angst vor einem Cyberkrieg und erinnert sich noch daran, wie die Russen im Winterkrieg 1939/40 in Finnland einmarschierten. Viele ihre Verwandten sind im Krieg gegen die Sowjetunion gefallen. "Die alte Angst sitzt noch ganz tief."
NATO-Beitritt: "Wir hätten das schon längst tun müssen"
Auch Ellamaija Gries kennt den damaligen Krieg aus Erzählungen und findet die Entscheidung zum NATO-Beitritt überfällig: "Wir hätten das schon längst tun müssen." Ihr Vater ist im Zweiten Weltkrieg als Soldat gefallen, sie war damals anderthalb Jahre alt und selbst Kriegsflüchtling. Der NATO-Beitritt gebe vielen Leuten ein Gefühl der Sicherheit, vor allem den Leuten in Lappland. "Südfinnland hat ja nur eine Grenze, aber Lappland hat Schweden, Norwegen und Russland. Wir hatten immer schon die Grenze zu anderen Gebieten."
Es habe auch lange gedauert, bis Finnland in die EU kam. "Wir haben uns immer von allen ferngehalten, aber das bringt uns nicht weiter, wenn man neben einem so großen Staat wie Russland lebt", sagt Gries.
"Knapp 80 Prozent der Finnen sind für die NATO"
Für Anneli Renis ist der NATO-Beitritt ihres Landes eine historische Entscheidung. "Ich persönlich habe mich sehr gefreut, dass Finnland den Antrag für den NATO-Beitritt stellt." Sie hat auch in Norddeutschland mitbekommen, dass sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar die Stimmung in ihrer Heimat stark geändert hat. Das zeigen auch Umfragen. "Vor einigen Monaten waren nur circa 20 bis 30 Prozent der finnischen Bevölkerung für die NATO, heute sind es knapp 80 Prozent", erzählt Renis.
Die finnischen Frauen in Hamburg hoffen, dass der Krieg möglichst bald endet und hoffen auf eine diplomatische Lösung - ob mit oder ohne finnische Sauna-Diplomatie.
