Stand: 01.04.2022 22:14 Uhr

NDR Info im Dialog: Der Krieg in der Ukraine

von Charlotte Horn
Susanne Stichler bei der Diskussion "NDR Info im Dialog" am 01.04.22 zum Thema Ukraine. © NDR Foto: Jenny von Gagern
Moderatorin Susanne Stichler bei der Diskussion "NDR Info im Dialog" am 01.04.22 zum Thema Ukraine.

Ein Krieg in Europa ist Realität geworden. Eine Situation, die bis vor Kurzem unvorstellbar war. Bei vielen Menschen löst der Krieg Ängste aus und wirft Fragen auf. Doch auch für Journalist*innen ist es nicht immer ganz einfach, diese Fragen ganz eindeutig zu beantworten - eines der Kernthemen in der fünften Runde von NDR Info im Dialog.

Der Krieg ist plötzlich ganz nahe

Mitten in der Diskussion ist der Krieg plötzlich sehr nah. Korrespondent Bernd Musch-Borowska hat sich aus der Ukraine in die Konferenz geschaltet:

"Ich weiß nicht, ob Sie es hören. Im Hintergrund ist gerade eine Durchsage. Draußen heulen die Sirenen und das heißt, es ist wieder Luftalarm."

Der NDR Info Redakteur ist aktuell als Krisenreporter für die ARD in der Ukraine und an diesem Abend aus der Stadt Lwiw zugeschaltet. "Wenn irgendwo Ziele im ganzen Westen der Ukraine angegriffen werden", erklärt er weiter "ist der Raketenbeschuss auf irgendein militärisches Ziel wahrscheinlich." In der Regel blieben die Leute aber gelassen. Noch gehe man davon aus, dass die Stadt selbst nicht beschossen werde.

Nachricht oder Kommentar?

Die Töne, Bilder und Informationen aus dem Krieg in der Ukraine - die Berichterstattung beschäftigt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der NDR Info im Dialog-Runde und sie hinterfragen sie auch. Norbert Proske aus Hamburg wünscht sich mehr Einordnung.

"Im Hörfunk habe ich das eigentlich eher positiv erlebt, aber insbesondere bei ARD und ZDF - da sieht man die Bilder und dann vermischen sich Kommentar und Nachricht sehr stark."

Andreas Cichowicz bei der Diskussion "NDR Info im Dialog" am 01.04.22 zum Thema Ukraine. © NDR Foto: Jenny von Gagern
Andreas Cichowicz bei der Diskussion "NDR Info im Dialog" am 01.04.22 zum Thema Ukraine.

Er findet es problematisch, wenn Zuschauer*innen oder Hörer*innen das nicht mehr auseinanderhalten können. NDR-Chefredakteur und Weltspiegel-Moderator Andreas Cichowicz zufolge versucht der Sender, genau diese Trennung zwischen Meinung und Nachricht einzuhalten. Bilder würden Emotionen oft noch verstärken. In den Korrespondentenberichten werde darauf geachtet, wer Augen- und Ohrenzeuge ist und wer aus dem direkten Umfeld komme. Man dürfe sich nicht auf eine generelle Analyse des Krieges einlassen:

"Wir bringen eher einen Mosaikstein neben den anderen und bekommen allerdings so nie ein vollständiges Bild von der Kriegssituation."

Dem pflichtet auch Bernd Musch-Borowska bei.

Berichterstattung aus Russland ist aktuell eingeschränkt

NDR Info Hörer Thomas Gerlach möchte wissen, wie frei die Korrespondentinnen und Korrespondenten aktuell arbeiten können und fragt:

"Der Begriff Krieg wird ja in Russland nicht verwendet. Putin lässt es ja stattdessen "Sonderoperation" nennen. Droht Ihnen denn auch Gefahr, wenn Sie diesen Begriff in einer Schalte verwenden?

Bernd Musch-Borowska erklärt, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen im ARD-Studio Moskau aktuell durch die neue Gesetzgebung in Russland stark eingeschränkt seien in ihrer Arbeit. Für ihn in der Ukraine gelte diese Einschränkung nicht. Er habe die Freiheit über alles zu sprechen und das Ganze beim Namen zu nennen. Das erkläre auch, warum über die russische Position nicht so ausführlich berichtet wird, wie über die ukrainische:

"Von russischer Seite ist die Möglichkeit, wahrheitsgemäß über das Geschehen zu berichten, einfach sehr stark eingeschränkt."

Informationen sind wie Puzzlesteine

Auch Andreas Flocken, Experte für Sicherheitspolitik und Host des NDR Info Podcasts Streitkräfte und Strategien, der gerade täglich ausführliche Hintergründe zum Krieg in der Ukraine liefert, kann das bestätigen. Er ergänzt, dass er sich Informationen von möglichst vielen Seiten zusammensucht - auch wenn die natürlich oft interessengeleitet seien, ebenso die öffentlich zugänglichen Quellen der Amerikaner. Das seien Orientierungsmerkmale, dazu kämen die amerikanischen Zeitungen und Informationen aus dem Pentagon, dem amerikanischen Verteidigungsministerium

"So entstehen immer mehr Puzzlesteine, aus denen man sich ein eigenes Bild machen kann."

In vielen Zuschriften merke er die Ängste der Hörerinnen und Hörer - auch vor einem Atomkrieg. Dann gehe es besonders darum, den offiziellen Sachstand darzustellen.

Nur echte Fakten?

Diskussions-Teilnehmer Ulrich Storr stört sich an einer Formulierung, die er in letzter Zeit besonders häufig gehört hat - auch in den Nachrichten:

"Auch wenn es um kurze Faktendarstellung geht, höre ich immer wieder Fakten mit dem Untersatz, dass es ist nicht zu verifizieren ist. Das gehört nicht in die Nachrichten."

Krisenreporter Bernd Musch- Borowska sieht das anders. Es gehe darum, über den Fortlauf der aktuellen Entwicklung zu berichten. Auch als Journalist müsse man sagen, wenn man Informationen eben noch nicht verifizieren könne. Als Krisenreporter sei er vor allem Augenzeuge des Geschehens. Informationen der Kriegsparteien nehme er zur Kenntnis und versuche sie einzuordnen. Das Wichtige sei aber, darzustellen, wie sich der Krieg auf das Leben der Menschen auswirke. Aussagen von Betroffenen wie Geflohenen aus Mariupol seien besonders glaubhaft.

"Diesen Menschen kann ich unterstellen, dass sie die Wahrheit sagen. Sie haben keinen Grund mich anzulügen."

Traumatisierung durch Nachrichten und Bilder

Deswegen komme es auch oft vor, dass Berichte mit den Aussagen betroffener Menschen emotionale Wirkungen auf die Hörer*innen oder die Zuschauer*innen haben. Manche Menschen würden dadurch traumatisiert oder retraumatisiert. Es sei durchaus ein Problem, dass viele Menschen das nicht mehr sehen wollen, weil es einfach so furchtbar ist. Vera Pabst ist vor allem das Thema der traumatisierenden Bilder aus dem Kriegsgebiet ein Anliegen. Oft genug würden Menschen, gerade der älteren Generation, auch in Deutschland dadurch retraumatisiert. Sie fragt, wie der Sender mit der Verantwortung umgeht. Laut NDR Chefredakteur Andrea Cichowicz geht es gerade in Krisenregionen darum, darauf zu achten, dass Menschen in würdigen Umständen abgebildet werden.

"Ich muss nicht die Kamera drauf halten, wenn da jemand anfängt zu weinen. Ich glaube, das gelingt uns gut. Man muss sich einfach klar machen, dass Bilder einen irren Sog entwickeln."

Hörer Stefan Kluckert interessiert vor allem, welches Risiko die Krisenreporter bei der Arbeit eingehen. Bernd Musch-Borowska sagt, die persönliche Sicherheit stehe an oberster Stelle. Alles was er bei seiner Arbeit mache, werde von einem großen Team aus Sicherheitsexperten oder Kolleginnen und Kollegen begleitet. Der Norddeutsche Rundfunk schnüre ein großes Sicherheitspaket für ihn, wenn er sich in solche Gefahren begebe.

Einen Schritt zurücktreten

Am Ende der sehr angeregten Diskussionsrunde gibt der ARD-Reporter dann noch Entwarnung von seinem Hotelzimmer in der Ukraine.

"Eben kam die Meldung: Der Luftalarm ist vorüber. Es ist wieder Sicherheit in Lwiw."

Andreas Cichowicz betont am Ende der Diskussion nochmal, dass Sicherheit für die Kolleg*innen das Wichtigste ist. Die Redakteur*innen bedanken sich für den vielstimmigen Austausch, für Lob und Kritik. Das Feedback der Teilnehmer*innen helfe dabei, vor der eigenen Arbeit einen Schritt zurückzutreten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 01.04.2022 | 18:00 Uhr

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