Ein russischer Bauarbeiter telefoniert neben einem Rohrstück für die Gas-Pipeline Nord Stream (Portowaja). © dpa Foto: Dmitry Lovetsky

Energiekrise: Rückblick auf ein dramatisches Jahr

Stand: 20.02.2023 06:00 Uhr

Vor einem Jahr hat Russland seinen Überfall auf die Ukraine gestartet. Ein Nebenschauplatz des Krieges ist auch Deutschland: Russlands Präsident Putin nutzt dabei eine Waffe, vor der Expertinnen und Experten schon lange warnen. Denn die Bundesrepublik hat sich abhängig gemacht von russischem Erdgas. Wir blicken zurück und fassen das turbulente Jahr zusammen.

von Jürgen Webermann und Susanne Tappe

Am 22. Februar 2022 - zwei Tage vor dem Überfall - will Russland die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkennen. Bundeskanzler Olaf Scholz muss reagieren. Unter anderem kündigt er an, die Genehmigung für die neue Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee auf Eis zu legen. Wochenlang hatte Scholz den Namen Nord Stream nicht in den Mund genommen. Die Bundesregierung hatte stets von einem privatwirtschaftlichen Projekt gesprochen. Jetzt steht Scholz unter Druck. Sein Problem: Deutschland ist zu 55 Prozent abhängig von russischem Erdgas. Was das bedeuten könnte, verdeutlicht Scholz einige Wochen später bei einem Auftritt in der Talkshow Anne Will: 

Olaf Scholz: "Wenn von einem Tag auf den anderen diese Importe ausblieben, würde das dazu führen, dass ganze Industriezweige ihre Tätigkeit einstellen müssten."
Anne Will: "Das sehen aber etliche Wirtschaftswissenschaftler anders."
Olaf Scholz: "Die sehen das aber falsch. Und ehrlicherweise ist es unverantwortlich, irgendwelche mathematischen Modelle zusammen zu rechnen, die dann nicht wirklich funktionieren. Ich kenne in der Wirtschaft überhaupt niemanden, der nicht genau wüsste, dass das die Konsequenzen wären." 

Wirtschaftsminister Habeck reist nach Katar

Währenddessen versucht Wirtschaftsminister Robert Habeck, andere Lieferanten zu finden. Er reist nach Katar und verneigt sich vor den dortigen Herrschern. Monate später steht ein - wenn auch bescheidener - Liefervertrag für Flüssig-Erdgas, das auf Tankschiffen herbeigeschafft werden soll. Aber Deutschland hat kein Terminal, um die Ladungen zu löschen. Pläne dafür gibt es seit 20 Jahren. Sie wurden aber nie umgesetzt. Habeck: "Wir haben eine gute Chance, das zu schaffen, was eigentlich in Deutschlands unmöglich ist: innerhalb von zehn Monaten ein LNG-Terminal zu errichten und es anzuschließend an die deutsche Gasversorgung zu bringen." 

Gaspreise erreichen Rekordstände

Bis zum Jahresende 2022 sollen die ersten Terminals stehen. Ein Importstopp ist dagegen vom Tisch. Dafür schließt Russland eine wichtige Pipeline, die über Polen führt. Dann drosselt Russland auch die Lieferungen über die Ostsee-Pipeline und stoppt sie zwischenzeitlich ganz. Es gebe Probleme mit einer Turbine, die noch im Westen repariert werde - heißt es. Die Gaspreise erreichen Rekordstände. Bundeskanzler Scholz lässt sich sogar vor der gewarteten Turbine fotografieren. Doch Russland lässt die Maschinen nicht mehr ins Land. Es stellt die Lieferungen endgültig ein.

Lecks an den Ostsee-Pipelines - Sabotage vermutet

Gasleck. © Screenshot
Die Lecks an den Ostsee-Pipelines sorgten für Schlagzeilen.

Im September 2022 werden kurz nacheinander Lecks an den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in schwedischen und dänischen Gewässern entdeckt. Schwedische Ermittler gehen von Sabotage aus, ebenso die Europäische Union und die NATO. Nach Angaben der schwedischen Staatsanwaltschaft wurden Reste von Sprengstoff an den Leitungen gefunden. Unklar bleibt, wer verantwortlich ist. 

Inflationsrate steigt und steigt

Eine der Nord-Stream-2-Röhren bleibt intakt. Putin sagt, man müsse nur den Gashahn aufdrehen und könne darüber liefern. In Deutschland trendet das Wort "Gasmangellage". Werden wir im Winter wirklich frieren müssen? Drohen gar heftige Proteste aus der Bevölkerung? Fest steht: Industrie und Kunden müssen sparen, Schwimmbäder schließen Saunabereiche und öffentliche Gebäude werden weniger warm geheizt. Die Inflationsrate steigt auf ungewohnt hohe Werte.

Bundesnetzagentur mahnt zum Sparen

Jetzt sind die aktuellen Zahlen zur Gasversorgung in aller Munde, so wie früher Corona-Inzidenzen. Sie laufen zusammen beim Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller, der fast täglich zum Sparen ermahnt: "Es muss die nächsten 180 Tage, bis in den Frühling hinein geschehen. Und das wird jeden Tag neu entschieden. Sie werden jeden Morgen neu diskutieren: Im Bad war es aber kalt, Schatz. Kann das nicht im Wohnzimmer noch zwei Grad mehr werden." 

Doch das Wetter spielt mit: Der Oktober ist spätsommerlich warm. Die Gas-Speicher sind voll. Die Preise für Erdgas sinken an der Börse sogar auf Vorkriegsniveau. Im Dezember gehen die ersten Flüssiggas-Terminals in Betrieb. Ein eisiger Winter bleibt bisher aus. Offenbar kommt Deutschland mit einem blauen Auge davon.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wirtschaft | 20.02.2023 | 07:41 Uhr

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