Ciesek im Corona-Podcast: Warum die Zahl der Neuinfektionen kaum sinkt
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht Sandra Ciesek über die Variante B1.1.7, ihren Effekt auf die Neuinfektionszahlen und über ein Nasenspray im Tierversuch.
Nachdem die Neuinfektionszahlen in Deutschland in den vergangenen Wochen langsam heruntergegangen waren, stagniert der Rückgang derzeit eher. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut Robert Koch-Institut am Dienstagmorgen bundesweit bei 60,5, wobei der Anteil der über 80-Jährigen unter den Neuinfizierten deutlich rückläufig ist. Das könnten nach Einschätzung der Virologin Sandra Ciesek bereits erste Effekte der Impfungen sein. Auch die Todeszahlen gehen laut RKI weiter zurück: Am Dienstag meldete das Institut 415 weitere Todesfälle, 113 weniger als eine Woche zuvor.
Zahl der Neuinfektionen sinkt nicht - B1.1.7-Variante mit verantwortlich
Mögliche Gründe dafür, dass sich nach wie vor Menschen mit dem Coronavirus anstecken, vermutet die Virologin in der wieder gestiegenen Mobilität der Leute und auch in der Verbreitung der ansteckenderen britischen Virus-Variante B1.1.7. Neue Zahlen einer Stichprobenuntersuchung aus den akkreditierten Laboren zeigten: In der Kalenderwoche sechs lag der Anteil der B1.1.7-Variante bereits bei 22 Prozent. Der Anteil verdoppelt sich fast jede Woche. "Virologen rechnen damit, dass der Anteil der B1.1.7-Variante auch hier dominant wird im Laufe des März." Zu sehen ist das in Deutschland bereits in Flensburg, wo nach Angaben von Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) Corona-Infektionen fast nur noch mit mutierten Viren festgestellt werden. Dort ist die Sieben-Tage-Inzidenz inzwischen auf 168,6 angestiegen. Die These, dass mehr Neuinfektionen aufgrund von mehr Tests gemeldet würden, weist Ciesek zurück. Im Gegenteil: Die PCR-Auslastung in den akkreditierten Laboren liege zurzeit bei unter 50 Prozent.
Kapazitäten von PCR-Tests bleiben ungenutzt
Ciesek vermutet, dass derzeit weniger getestet werde, weil es weniger Atemwegserkrankungen gibt. In Frankfurt laufe seit ein paar Wochen eine sogenannte Schnupfen-Studie mit Kindern, erzählt die Virologin, die dabei mit mehreren niedergelassenen Kinderärzten zusammenarbeitet. Diese würden berichten, dass sie viel weniger Infektionen sehen bei den Kindern - durch die Abstands- und Hygienemaßnahmen. "Das ist bei Erwachsenen natürlich genauso." Allerdings hatten Bundesgesundheitsministerium und RKI die Kriterien für PCR-Tests im Herbst geändert: Damals waren die Test-Kapazitäten knapp und es wurden nur Patienten mit schweren Symptomen getestet. "Das muss jetzt wieder geändert werden", sagt Ciesek. "Wir müssen die Kapazitäten ausnutzen, die wir haben." Mögliche sinnvolle Einsatzmöglichkeiten sieht sie etwa in Sammelunterkünften oder stichprobenartig in Schulen. So könne man auch eine mögliche Dunkelziffer besser ausleuchten.
Preprint aus Harvard deutet auf längere Infektiosität bei B1.1.7 hin
Wer mit der Variante B1.1.7 infiziert ist, steckt offenbar rein rechnerisch mehr Menschen an. Von der US-Universität Harvard gibt es ein Preprint, also eine Vorabpublikation, zu Dauer und Ablauf der Infektion in einer bestimmten Kohorte. Bei einer Gruppe von Infizierten wurden über einen längeren Zeitraum PCR-Tests gemacht. Bei sieben der insgesamt 65 Infizierten wurde die B1.1.7-Variante nachgewiesen. Als die Forscher die jeweiligen Infektionsphasen verglichen, fanden sie heraus, dass bei den mit B1.1.7 Infizierten die Vermehrungsphase 5,3 Tage lang war, bei den mit dem ursprünglichen - Wildtyp genannten - Coronavirus Infizierten dagegen dauerte die Vermehrungsphase nur zwei Tage. In der Phase des Abklingens waren es acht Tage versus 6,2 Tage. Und die mittlere Dauer der Infektion war mit 13,3 Tagen bei der B1.1.7-Variante fünf Tage länger als beim Wildtyp. Die Frankfurter Virologin weist darauf hin, dass dieses Preprint in mehrfacher Hinsicht noch recht vorläufig sei, sie hält es trotzdem für aufschlussreich etwa für die Frage, wie lange Infizierte mit der B1.1.7-Variante isoliert werden sollten: "Das heißt, dass wahrscheinlich zehn Tage zu kurz sind, man also eher 14 Tage isolieren muss."
Tierversuch mit Nasenspray als Prophylaxe
Um überhaupt Infektionen zu vermeiden, wird auch an Möglichkeiten für Prophylaxe-Medikamenten geforscht. Die Fachzeitschrift "Science" berichtete kürzlich von einer Studie über ein Nasenspray mit der Komponente Lipopeptid. Das verhinderte demnach in Tierversuchen bis zu 24 Stunden lang, dass Frettchen, die mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen waren, anschließend erkrankten. "Wenn das funktioniert, ist das eine super Idee - auch für andere Virus-Infektionen", sagt Virologin Ciesek. Allerdings könne es noch lange dauern, bis so etwas für den Endverbraucher zur Verfügung steht: "Ob das in dieser Pandemie noch eine große Rolle spielen wird, glaube ich eher nicht."
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