CD der Woche: Seong-Jin Chos pianistische Power
In Südkorea ist der Pianist Seong-Jin Cho längst ein Star, in seiner Wahlheimat Deutschland auf dem Weg dazu. Auch dank seines Vertrags mit der Deutschen Grammophon, dem immer noch bekanntesten Klassik-Label. Auf seiner vierten CD verknüpft Cho Werke von Franz Liszt, Alban Berg und Franz Schubert zu einem Album unter dem Motto "The Wanderer", der Wanderer.
Energisch und kraftvoll greifen die ersten Schritte aus. Aber diese Wanderung ist kein unbekümmerter Ausflug ins Grüne, sie trägt schweres emotionales Gepäck und wird von aufwühlenden Kämpfen begleitet. Die Sucht nach frischer Luft wirkt bei Franz Schubert oft wie aus einer inneren Not geboren. Auch die Wanderer-Fantasie erzählt vom Freiheitsdrang, vom Ausbruch aus der Enge der Metternich-Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihrem Überwachungswahn. Manche Passagen der Fantasie bekommen bei Seong-Jin Cho die gehetzte Nervosität einer Fluchtbewegung.
Packende Stimmungswechsel
Der koreanische Wahlberliner Seong-Jin Cho, 26 Jahre alt, verfügt über die Fingermuskeln und das musikalische Empfinden, um die Stationen von Schuberts Wanderung nuancenreich auszuleuchten. So inszeniert er packende Stimmungswechsel: Wenn etwa im zweiten Satz nach einem gewittrigen Grollen im Bass plötzlich der Himmel aufklart und einer schlichten Melodie Raum gibt. Ein kostbarer Moment, wie der erste Frühlingsduft - von Seong-Jin Cho ganz zart beatmet.
Seine reich differenzierte Anschlagskultur demonstriert Cho auch mit den beiden anderen Werken des Programms. In der Klaviersonate op.1 von Alban Berg spielt er viel mit dem Kontrast aus romantischer Sinnlichkeit und nebligen, fast impressionistischen Farben.
Feinsinn und pianistische Power
Das Finale des Programms bestreitet der Pianist mit der h-Moll-Sonate von Franz Liszt. Ein mächtiges Werk von etwa einer halben Stunde Dauer, das Extreme von dunklem Flüstern bis zu gewaltigen Aubrüchen auslotet. Auch hier profitiert Seong-Jin Cho von einer gesunden Balance aus Feinsinn und pianistischer Power.
Die Fortissimo-Passagen klingen voluminös und entfalten eine orchestrale Fülle - wirken aber nicht ganz so perkussiv und dramatisch wie bei anderen Interpreten. Da könnte er hier und da vielleicht sogar noch eine Spur mutiger an Grenzen gehen. In den lyrischen Momenten fesselt Cho mit seinem Gespür für das zeitweise Vorangehen und dann wieder Stocken im Tempo.
Auch auf dem neuen Album zeigt der junge Musiker eine eigene Handschrift. Da bleibt sicher noch Raum für weitere Entwicklungen, aber das ist mit Mitte 20 ja auch völlig legitim. Dass Seong-Jin Cho ein nicht nur technisch hochbegabter, sondern auch sehr ernsthafter Pianist ist, der etwas zu sagen hat, steht außer Frage.
The Wanderer
- Label:
- Deutsche Grammophon
