"Clara Mosch": Künstler-Kollektiv mit Stasi-Spitzel

Stand: 02.10.2023 13:42 Uhr

Die Künstlergruppe "Clara Mosch" hat in der DDR subversive Performances gemacht. Nach der Wende kam raus, dass ihr Fotograf ein Stasi-Spitzel war. Die Mitglieder Michael Morgner und Thomas Ranft blicken zurück.

von Sylvie Kürsten

Mindestens einmal im Jahr wird er traurig bis wütend: Für Michael Morgner hat die deutsche Wiedervereinigung zwischen Künstlern seines Alters nämlich nicht stattgefunden. Doch Morgner wäre kein Künstler, wenn er darauf nicht eine kreative Antwort hätte: "Da habe ich diese gesamtdeutsche Kunsthalle gemacht, die mit einer Claes-Oldenburg-Plastik beginnt, dann ein schönes Stillleben von Beckmann. Jetzt kommen wir näher zum Innenraum: Ottmar Hörl, zwei kleine Menschen, die sich gegenseitig mit der Pistole bedrohen. Für mich ist das: Ostdeutsche und westdeutsche Künstler unterhalten sich über Kunst."

"Clara Mosch": Das Land ein bisschen bewohnbarer machen

Am Fuße des Erzgebirges mahnt der Maler mehr Solidarität zwischen ost- und westdeutschen Kunstschaffenden an, fordert gemeinsame Ausstellungen und mehr Interesse für Leute wie ihn. Doch Morgner ist nicht der typische frustrierte alte Sachse. Sein Kunstrummel-verballhornendes Minimuseum beweist: Der Mann hat Humor. Den hat er aus legendären DDR-Künstler-Kollektiv-Zeiten, erzählt er: "Wir waren Freunde und hatten das gleiche Anliegen: dieses Land ein bisschen freudiger und bewohnbarer zu machen. So sehe ich den Sinn der 'Clara Mosch'."

Weitere Informationen
Ein weißes Gebilde steht vor der Rostocker Kunsthalle. © Juliane Schultz Foto: Juliane Schultz
3 Min

DDR-Kunstwerk von Andrea Pichl konserviert die Vergangenheit

Die Rostocker Kunsthalle hat wieder geöffnet. Ein neues Werk steht draußen: eine Außeninstallation, die Freitag fertiggestellt wird. 3 Min

Unter dem weiblichen Tarnnamen "Clara Mosch" sprengt Morgner mit seinem Kollektiv ab Mitte der 70er-Jahren in Karl-Marx-Stadt die Grenzen des Zeig- und Sagbaren. Initiator und sogenannter "Obermosch" ist sein Freund Thomas Ranft. "Wir wollten natürlich auch ein bisschen anders sein, als man von uns erwartet hat", sagt Ranft. "Um es mal ganz knapp und kalt zu sagen: Sozialistischen Realismus haben wir natürlich nicht gemacht."

Ihre Kunst ist alles Andere als eine Bebilderung der sozialistischen Helden-Ideologie. Außerdem weitete der bekennende Spielmatz Ranft das künstlerische Aktionsfeld für sich und seinen Trupp weit über den Keilrahmen hinaus aus. "Wir mussten aus dem Atelier mal raus, weil die Natur für die Künstler ja der größte Kunstgeber ist", erklärt Ranft. "Wir waren auch in Thüringen. Im Erzgebirge haben wir Pleinairs gemacht, aber die Hauptsache waren die an der See oben."

Künstlerischer Unsinn in dadaistischer Manier

Ein Dutzend spektakuläre Aktionen macht die "Mosch". Knapp die Hälfte davon finden auf Hiddensee, Rügen oder am Ufer des Schweriner Sees statt. Da, wo sich in der Saison Arbeiterkollektive erholen, macht ein meist männlicher Künstlertrupp die Gegend unsicher - und erfinden Kunstformate, die in der DDR eigentlich gar nicht vorgesehen sind, sagt Ranft: "Wir sind wirklich jeden Tag rausgegangen und haben gearbeitet - und haben natürlich auch Unsinn gemacht."

In dadaistischer Manier wird bei der "Mosch" aus Unsinn Sinn gemacht. Morgners gefilmte Seeüberschreitung wird später in Siebdruckgemälde verwandelt und aus den Ascheüberresten einer Land-Art-Aktion auf einer Waldlichtung wird das erste Multiple der DDR. "Das ist eine Kunst gewesen - da wusstest du, du kriegst dafür nur Dresche. Du wirst nie eine Mark damit verdienen, du kriegst nur politische Probleme", erzählt Morgner.

Weitere Informationen
Besucher am Tag der Eröffnung im neuen Kunsthaus für zeitgenössische Kunst "Das Minsk" © picture alliance/dpa Foto: Christoph Soeder

Das Minsk: DDR-Kunst erhält in Potsdam ein neues Museum

Der Milliardär Hasso Plattner hat ein ehemaliges Terrassenrestaurant aus DDR-Zeiten zum Kunsthaus umbauen lassen. mehr

Ein Stasi-Spitzel in den eigenen Reihen

Erst nach dem Fall der Mauer erfährt die Gruppe, dass sie zeitweise unter der Beobachtung von über 100 Stasispitzeln stand - und dass ausgerechnet ihr Fotograf Ralf-Rainer Wasse der Haupt-IM (Inoffizieller Mitarbeiter) war. Aber auch damit geht die "Mosch" anders als erwartet um, erklärt Morgner: "Der Wasse, der eigentlich und vielleicht auch bloß zur Hälfte das Böse gewollt hat, hat gleichzeitig wie Mephisto das Gute hergestellt, indem er uns meisterhaft geknipst hat."

Sich immer wieder aufrichten, trotz aller Enttäuschung - das ist das "Mosch"-Motto und ein Markenzeichen von Morgner. In seinen Arbeiten taucht immer wieder die Form des Schreitenden auf - sein Symbol der friedlichen Revolution in der DDR. "Diktatur ist für den Menschen natürlich etwas Furchtbares, aber für die Kunst? Ich weiß es nicht - weil immer gesagt wird, hier konnte keine Kunst entstehen. Ich denke das nicht. Ich denke: gerade! Druck erzeugt Gegendruck", sagt er.

Heute bedruckt und bemalt er Zeitungsschnipsel, die unter Lagen von Seidenpapier versinken. In einem sächsischen Dorf, wo der Zuspruch zur AfD am höchsten ist, arbeitet Morgner an großen Collagen. Es ist, in guter alter "Mosch"-Tradition, sein vielschichtiger Kunst-Kommentar zum Politwahnsinn - nur eben von heute.

Weitere Informationen
Gemälde eines älteren Mannes mit roter Brille und grauem Anzug.
6 Min

Museumsdetektive: Raubkunst in der DDR

Dass die Nazis Kunst raubten, ist bekannt. Aber auch das DDR-Regime bereicherte sich an den Kunstschätzen seiner Bürger. Wie bei Peter Stilijanov, der 1985 aus der DDR ausreiste. 6 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 02.10.2023 | 22:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bildhauerei

DDR

Malerei

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Der Hamburger Regisseur Matthias Glasner erhält für sein Drama "Sterben" den Deutschen Filmpreis. © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Deutscher Filmpreis: Goldene Lola für Matthias Glasners Drama "Sterben"

Der sehr persönliche Film des Hamburger Regisseurs war mit vier Auszeichnungen der große Gewinner des Abends. Bewegend: die Rede der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer. mehr