Stand: 14.02.2020 14:53 Uhr

Ai Weiweis Baumarkt-Kunst: Wie passt das zusammen?

In einem Interview mit der "Berliner Zeitung" ätzte der chinesische Künstler und Regime-Kritiker Ai Weiwei gerade kräftig gegen Deutschland, nannte seine ehemaligen Studenten der UdK Berlin "faul" und Berlin im allgemeinen "die hässlichste und langweiligste Stadt, die es gibt". Im gleichen Atemzug stellte er sein neues Kunstwerk vor - eine Kooperation des Künstlers mit der Baumarktkette "Hornbach". Gemeinsam wollen sie "Kunst für alle machen", "demokratische Kunst", die nicht im Museum gezeigt wird, sondern selbstgemacht werden kann. NDR Reporterin Anna Kremer hat sich den Bauplan besorgt und im Selbstversuch ihren ersten "echten Ai Weiwei" nach Hause geholt.

Kunst für alle?

Ich bin im Baumarkt unterwegs - nicht unbedingt ein Ort, an dem man große Kunst erwartet. Warum also hat sich Ai Weiwei ausgerechnet mit einer großen deutschen Baumarktkette zusammengetan? Ist das bloß ein PR-Coup, oder hat der Künstler tatsächlich ein Interesse daran, Kunst für alle zu machen? Immerhin: Er hat eine Handwerkervergangenheit, wie er im Werbefilm zum Projekt erklärt: "Zum Glück war ich mal Schreiner und kenne mich mit Werkzeugen und Materialien aus. Als 'Hornbach' mit dieser Idee auf mich zukam, war meine erste Frage: Kann ich alle Materialien bei Euch bekommen?"

 

Relativ schnell habe ich alles beisammen, was ich brauche. Viele Komponenten sind es nicht. Typisch für Ai Weiweis Arbeiten: "Es ist einfach, es ist direkt und es ist nicht prätentiös", so Ai Weiwei.

Ich mache den Praxistest im Baumarkt. Wie wirkt sein Kunstwerk auf Menschen, die dort unterwegs sind? Potenzielle Kunden also - wie Norbert aus Hamburg, der eigentlich gerade Kunststoffbehälter kaufen will: "Sieht aus wie ein umgestürztes Zelt, oder wie ein Wäscheständer, wo eine große Decke drauf ist. Schick."

Deutliche Nachricht an die Kunstszene

Ai Weiweis Kunstwerk: "Safety Jacket Zipped the Other Way" © NDR
Ai Weiweis fertiges Baumarkt-Kunstwerk: "Safety Jacket Zipped the Other Way"

Zurück von der Einkaufstour schnappe ich mir die Bauanleitung. Sie ist sehr detailliert. Schritt für Schritt wird man durch den Bauprozess geleitet - das ist auch was für Bastel-Anfänger oder Leute mit zwei linken Händen. 20 Minuten später bin ich fertig. Da steht es nun: "Safety Jacket Zipped the Other Way" 2020. Von Ai Weiwei erdacht, von mir gemacht. Ich bin stolz, dass ich dieses "Kunstwerk" zusammengebaut habe. Aber sonst fühle ich mich eher wie jemand, der gerade erfolgreich einen Kleiderschrank montiert hat. Und irgendwie lässt mich diese Frage nicht los: Wie passt das zusammen: Ai Weiwei, dieser hochpolitische Künstler, dieser streitbare Mensch, dieser meinungsstarke Kritiker mit einem Readymade-Kunstwerk als Baumarkt-Werbegesicht?

"Alle meine Arbeiten nehmen Bezug auf politische Themen. Das ist mal mehr, mal weniger offensichtlich", sagt Ai Weiwei. Die Deutung meines Ai Weiweis braucht noch ein bisschen Zeit. Der Kunstszene schickt Ai Weiwei mit seinen aufgespießten Warnwesten aber eine deutliche Nachricht: Schaut her, ich erreiche die Menschen mit meiner Kunst im echten Leben - nicht nur im Museum, sondern da, wo sie sind: im Baumarkt zum Beispiel.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 17.02.2020 | 07:20 Uhr