Mika Ullritz als Winnetou in einer Szene des Films "Der junge Häuptling Winnetou" © Leonine/dpa

Hitzige Debatte um Rückzug von Ravensburger Winnetou-Kinderbuch

Stand: 24.08.2022 11:28 Uhr

Der Ravensburger Verlag zieht nach Protesten Kinderbücher zurück, die Deutsche Film- und Medienbewertung ist gespalten zwischen "vehementer" Ablehnung und "großer Zustimmung". Reaktionen aus dem Norden.

von Peter Jungblut

Es gibt mal wieder Streit um Karl May. Ist das "Woke-Wahnsinn"? Mittlerweile äußern sich etwa die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein Karin Prien (CDU) und Michael Petzel, Geschäftsführer vom Göttinger Karl-May-Archiv, zum Thema.

Der Ravensburger Verlag hat nach "vielen negativen Rückmeldungen" zu zwei Jugendbüchern zum Filmstart von "Der junge Häuptling Winnetou" die Titel zurückgezogen. Grund dafür: Heftige Vorwürfe aus dem Netz, wonach der Karl-May-Stoff "kolonialistische" und "rassistische" Vorurteile schüre und ein Fall von unerwünschter "kultureller Aneignung" sei. Auch die seit Anfang August zu sehende Kino-Version ist hoch umstritten.

"Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hatte die Winnetou-Fortschreibung als "besonders wertvoll" eingestuft, gegen den erbitterten Widerstand einiger Jury-Mitglieder, wie auf der Homepage zu lesen war: "Nach Sichtung des Films zeigte sich in der sehr langen Diskussion, dass in der Gesamtbewertung des Films die Jury absolut gespalten war - zwischen vehementer Ablehnung einerseits und großer Zustimmung andererseits. Dies zeigt sich dann auch in der Abstimmung für oder gegen die Erteilung eines Prädikates."

Bildungsministerin Prien aus SH: "Bedauerliche und falsche Entscheidung"

Es sei eine "bedauerliche und falsche Entscheidung, die Auslieferung des #Winnetou-Buches zu stoppen", äußerte sich Karin Prien, die Bildungsministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein (CDU) am Dienstag zum Thema. Sie äußerte auf Twitter: "'Verletzte Gefühle' machen kontroverse Debatten, im Kontext Antidiskriminierung Kontextualisierung notwendig, nicht mehr und nicht weniger."

Massive Kritik vom Karl-May-Archiv Göttingen

Wesentlich schärfer im Ton fällt die Reaktion des Karl-May-Archivs in Göttingen aus. In einem Brief des Vereins an die Ravensburger Geschäftsleitung nennt Michael Petzel deren Haltung "kriecherisch" und weiter: "Wir möchten Ihnen den Vorschlag machen, uns die Bücher - bevor sie vernichtet werden - als Werbegaben für die Besucher unserer regelmäßigen Karl-May-Feste zu spenden. So könnte man sie noch einem guten und sinnvollen Zweck zuführen - für Menschen, die diese Bücher (und Karl Mays Haltung gegenüber den Indianern) zu schätzen wissen."

Karl-May-Spiele Bad Segeberg verteidigen ihre Winnetou-Version

"Wir zeigen keine echte indianische Kultur und behaupten das auch gar nicht. Wir spielen die Abenteuer aus Karl Mays Traumwelt – einem märchenhaften Wilden Westen, den es in dieser Form nie gegeben hat. Auch ist Winnetou keine historische Figur und kein Klischee, sondern ein Idealbild." So eine schriftliche Stellungnahme der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg. Weiter heißt es darin: "Zugleich lassen wir in unseren Stücken aber die realen Konflikte nicht außen vor: beispielsweise die Vertreibung und Ermordung der Ureinwohner durch die Weißen, die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Zerstörung von Lebensräumen. Besonders in Winnetous Monologen sind diese Dinge eine Botschaft, die wir unseren Besuchern sehr gern mit auf den Weg geben – und der Applaus am Ende solch einer Rede zeigt, wie gut diese aktuellen Gedankenanstöße aufgenommen werden".

950.000 Euro von der Bayerischen Filmförderung für "Winnetou"-Film

Der FilmFernsehFonds Bayern hatte die Produktion mit der Höchstsumme unterstützt, 950.000 Euro, und zur Begründung geschrieben: "Der Abenteuerfilm 'Der junge Häuptling Winnetou' ist die Adaption des Musiktheaterstücks 'Kleiner Häuptling Winnetou': Während sich der 12-jährige Häuptlingssohn Winnetou selbst bereits als großer Krieger sieht, ist sein Vater Intschu-Tschuna der Meinung, sein Sohn müsse noch viel lernen. Als das Ausbleiben der Büffel das Indianervolk bedroht, ergreift Winnetou die Chance, sich seinem Vater gegenüber zu beweisen. Zusammen mit dem Waisenjungen Tom begibt er sich auf ein gefährliches Abenteuer, um das Volk der Apachen zu retten."

"Wir entschuldigen uns ausdrücklich"

Vom Ravensburger Verlag hieß es per Instagram: "Wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen. Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich."

Konkret ging es um zwei Kinderbücher, ein Sticker-Buch und ein Puzzle. Es sei nicht gelungen, bei den aktuellen Winnetou-Titeln den "richtigen Umgang mit sensiblen Themen" kritisch zu überprüfen: " Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!" Noch wenige Tage zuvor hatte Ravensburger mehrere Bücher - eines ab acht Jahren und ein "Erstlesebuch" ab sieben Jahren - beworben: "Die Geschichte dreht sich rund um Winnetou, den Sohn des Häuptlings. Als sein Stamm in Not gerät, muss Winnetou seinen Mut unter Beweis stellen und sich gemeinsam mit seiner Schwester und dem Stadtjungen Tom in ein gefährliches Abenteuer stürzen."

"Romantisierung von Völkermord" oder "pingelige Idiotie"?

Die "Schwäbische Zeitung" hatte darüber berichtet, dass der Verlag rund 180 kritische Kommentare für seine Werbung erhalten hatte: "Was soll dieses Buch? Es reproduziert rassistische Stereotype, die ihren Ursprung im Kolonialismus haben“, schrieb eine Nutzerin. Andere hielten die Titel für "schädlich" und sprachen von einer "Romantisierung von Völkermord". Verlags-Sprecher Heinrich Hüntelmann wurde mit dem Satz zitiert: "Die Entscheidung, die Winnetou-Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben hier ganz klar einen Fehler gemacht. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen."

Auf Twitter entbrannte unweigerlich eine heftige, teils aber auch ironische Debatte, befeuert von einer Schlagzeile der BILD-Zeitung, die mal wieder "Woke-Wahnsinn" witterte. "Wenn vor Winnetou die ganzen woken Krawallbrüder stehen würden und er hätte die Silberbüchse in der Hand würde er nicht auf die schießen, sondern ihnen freundlich erklären, dass Manitou auch Spinner liebt. Das ist Karl May", so ein Kommentator. Ein anderer schrieb: "Im nächsten Winnetou-Film dürfen sicher auch nur noch Amerikaner die Cowboys spielen."

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"Könnte herauskommen, dass es rassistisch war"

"Man fragt sich, wo unsere Generation alles Probleme nicht gesehen hat. Die Aufmerksamkeit heute - oder sollte ich lächerliche, kleinliche, pingelige, empfindliche Idiotie sagen - ist bemerkenswert. Ihr könnt euch gerne den Spaß an allen nehmen. Ohne mich. I stand with Winnetou/Indianer", so ein weiterer Twitter-Teilnehmer. Ein Vater von drei Kindern drohte Ravensburger mit einem "Boykott", andere zeigten sich sarkastisch: "Erwachsene sollten ihren Kindern nicht von den Märchen ihrer Kindheit erzählen, die sie als Kind gut fanden oder welche Kostüme sie im Karneval trugen - es könnte herauskommen, dass es rassistisch war."

"Lüge, welchen den Genozid ausblendet"

In der Filmbewertungsstelle hatten Jury-Mitglieder sich gegen die "inhaltliche sowie die filmisch gestalterische Form" des am 11. August gestarteten "Jungen Häuptling Winnetou" (Regie Mike Marzuk) ausgesprochen, der vom Studio Babelsberg koproduziert worden war: "Nach ihrer Meinung ist es in unserer Zeit nicht mehr zulässig, einen Film und im Besonderen einen Kinder- und Jugendfilm im Geist der mythisch aufgeladenen und sehr klischeehaft darstellenden Karl May-'Folklore' zu realisieren. So sei dieser Film ein kitschiges rückwärtsgewandtes Theaterstück, das nichts mit der Realität zu tun habe."

Karl Mays "literarische Idylle im Herkunftsland der indigenen Völker Nordamerikas" sei, so die Aussage der Jury-Mitglieder laut Pressemitteilung, eine "Lüge, welche den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas und das ihnen zugefügte Unrecht der Landnahme der weißen Siedler und der Zerstörung ihres natürlichen Lebensraumes vollkommen" ausblende: "Die im Film gewählte Ausstattung, die Darstellung der indigenen Menschen, die musikalische Untermalung und der Inszenierungsstil würden sich den verkitschten Karl May-Filmen der 1960er Jahre anpassen."

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Ist Karl May ein "Märchenonkel"?

Die Mehrheit der Jury behauptete dagegen, es sei "allseits bekannt, dass Karl May seine Erzählungen im von ihm so genannten 'Indianerland' und auch im 'Orient' aus seiner Fantasie geschrieben" habe und selbst nie vor Ort der von ihm erdachten Abenteuer gewesen sei: "Man könne ihn daher ruhigen Gewissens als 'Märchenonkel' bezeichnen. Und auch die Verfilmungen seiner bekanntesten Romane in den 1960er Jahren waren Märchen, welche die Welt der indigenen Völker im absolut klischeehaften Bild darstellten." Dies in einen Kinderfilm von heute märchenhaft und mit liebevollen Zitaten zu diesen Filmen einzubringen, sei, so diese Jury-Mitglieder, durchaus legitim.

Winnetou ist ein fiktiver Häuptling der Mescalero-Apachen, der seit 1875 in zahlreichen Erzählungen von Karl May (1842 - 1912) als "Roter Gentleman" auftritt. Die heute bekannte dreibändige Winnetou-Ausgabe erschien 1893, zur Zeit des Hochimperialismus in Europa, als auch Deutschland nach (weiteren) Kolonien strebte, allerdings nicht in Nordamerika. Von 1962 bis 1968 erfreuten sich die von Horst Wendlandts Rialto-Film produzierten "Karl-May-Filme" großer Beliebtheit unter den Kinogängern.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 23.08.2022 | 06:40 Uhr

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