Ein nachdenklicher Papst © picture alliance / Stefano Spaziani Foto: Stefano Spaziani

Tritt der Papst zurück? Gerüchte und Einschätzungen

Stand: 10.06.2022 17:54 Uhr

Tritt er zurück oder tritt er nicht zurück? Florian Breitmeier, Leiter der NDR Redaktion Religion und Gesellschaft, mit Einschätzungen zu den Spekulationen um einen Rücktritt des Papstes.

von Florian Breitmeier

Es gibt wieder einmal Gerüchte um einen Rücktritt von Papst Franziskus. In der Öffentlichkeit war der 85-Jährige zuletzt häufiger im Rollstuhl zu sehen. Das Knie schmerzt. Im vergangenen Sommer hatte sich Franziskus zudem einer komplizierten Darm-Operation unterzogen, von der er sich mühsam erholen musste. Schon damals hatte es Spekulationen um einen vorzeitigen Rücktritt von Franziskus gegeben, vor allem der Gesundheit wegen. Nun wird rund um den Petersdom von einigen gemutmaßt, dass es Franziskus seinem Vorgänger Benedikt XVI. bald schon gleich tun und auch seinen Rücktritt erklären könnte. Genährt hat diese Spekulation vor allem die Ankündigung des Papstes, Ende August in die mittelitalienische Stadt L‘Aquila reisen zu wollen.

Dort sind die Gebeine von Papst Coelestin V. begraben. Coelestin war der erste Pontifex der Geschichte, der nach fünf Monaten im Amt, freiwillig zurücktrat. Im Dezember 1294 war das. Dort nach L‘Aquila war 2009 auch Papst Benedikt XVI. gereist. Er hatte an der Grabstätte Coelestins sein Pallium, ein traditionelles Schulterband für Päpste und Erzbischöfe niedergelegt und vier Jahre später, im Februar 2013 seinen Rücktritt erklärt.

L‘Aquila-Reise als Rücktritts-Gelegenheit?

Als nun vor ein paar Tagen Franziskus angekündigt hatte, Ende August ebenfalls nach L‘Aquila reisen zu wollen, erinnerte sich manch einer an die Geschehnisse von 2009 und 2013. Das in Verbindung mit den aktuellen gesundheitlichen Problemen von Franziskus hat dann zu den Spekulationen eines möglichen Rücktritts geführt. In der Tat könnte Franziskus diesen Ort bewusst aufsuchen, um quasi eine Tradition zu begründen, wonach Päpste vor ihrem Rücktritt die Grabstätte des heiligen Coelestin V. aufsuchen sollen. Aber dass einem Besuch unmittelbar ein Rücktritt folgt, ist eher nicht zu erwarten.

Sicher hat die Ankündigung von Franziskus für Ende August ein Konsistorium im Vatikan einzuberufen, bei dem auch 21 neue Kardinäle in ihr Amt eingeführt werden sollen, die Gerüchteküche zusätzlich angeheizt.

Der Gedanke dahinter: Die Kardinäle wären praktisch schon in Rom versammelt und könnten sogleich für den gerade erst zurückgetretenen Franziskus einen Nachfolger bestimmen. Aber all das klänge nach einer "billigen Telenovela", wie Kardinal Oscar Andres Rodriguez Maradiaga aus Honduras die aktuellen Gerüchte kommentierte. Drei Päpste im Vatikan, das böte in der Tat vielversprechenden Stoff für eine Streaming-Serie oder einen neuen Roman von Anthony McCarten. Doch so weit ist es noch nicht.

Schlägt die Stunde von Franziskus' Gegnern?

Denn trotz gesundheitlicher Probleme wirkt Franziskus derzeit alles andere als amtsmüde. So sind in den kommenden Monaten Reisen nach Kanada und nach Kasachstan geplant. Seine für Anfang Juli vorgesehene Visite in den Südsudan und die Demokratische Republik Kongo wurde am Freitag allerdings kurzerhand abgesagt. Als Grund wurden die Kniebeschwerden des Papstes genannt.

Worauf nun die Rücktritts-Gerüchte genau fußen, ist schwer auszumachen. Die einen mögen denken: Im römischen Sommerloch ist eine Geschichte, die sich über mehrere Wochen strapazieren lässt, für manche Journalisten interessant. Nun ja. Die Gerüchte ließen sich aber auch kirchenpolitisch deuten: könnten diese doch Kritikern des Papstes helfen, den Argentinier als angeschlagen aussehen zu lassen. Gegner von Franziskus könnten seiner kirchenpolitischen Agenda so eine geringe Haltbarkeit attestieren und damit sein großes Herzensanliegen, die Weltbischofssynode im nächsten Herbst in Rom torpedieren. Frei nach dem Motto: Warum wird überhaupt über Reformen in der katholischen Kirche diskutiert, wenn derjenige, der zumindest die Beratungen darüber partout wollte, in ein paar Monaten vielleicht schon gar nicht mehr im Amt ist?

Kurienreform weiterhin im Fokus

Mit Blick auf die Weltbischofssynode im Herbst 2023 wäre ein Rücktritt jedenfalls ein denkbar schlechter Zeitpunkt. Zudem wäre es nicht unproblematisch, wenn es neben einem neuen Papst auch noch zwei emeritierte Päpste im Vatikan gäbe. Kirchenrechtlich ist bis heute nämlich nicht geklärt, wie genau ein Papstrücktritt erfolgen soll und welche Rechten und Pflichten einem zurückgetretenen Pontifex obliegen - bis hin zur der bislang ungeklärten Frage, wie ein zurückgetretener Papst offiziell angesprochen werden soll. Franziskus wird all das in seiner Kurienreform mitsamt entsprechender Gesetzestexte klären müssen. Noch ist es ein weiter Weg bis zur Umsetzung. Aber die Kurie zu reformieren, das war ein erklärter Wunsch der Kardinäle im Konklave, aus dem Jorge Mario Bergoglio als Franziskus hervorging. Eine unvollendete Kurienreform zu hinterlassen, wäre nicht klug und wirkte zudem wie ein nicht eingelöstes Wahlversprechen.

Vieles spricht gleichwohl dafür, dass Franziskus eines Tages tatsächlich aus freien Stücken seine uneingeschränkte Machtposition im Vatikan räumt. Aber noch benötigt er mindestens zwei Jahre, um nach der Weltbischofssynode, seine Vorstellungen von einer synodalen Kirche nicht nur konkret und verbindlich festzuschreiben, sondern diese Vorstellungen auch der Kurie, den Kardinälen und Bischöfen weltweit sowie den Gläubigen zu vermitteln. Ein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt nützte wohl vor allem seinen Gegnern. Das weiß Franziskus.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 10.06.2022 | 14:40 Uhr

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