"So sind 'die Juden' nicht - sie sind alle ganz verschieden"
Juna Grossmann hat in ihrem Buch "Schonzeit vorbei" das "Leben mit dem täglichen Antisemitismus" geschildert. Sie bloggt erfolgreich unter dem Titel: "Irgendwie jüdisch". Am Internationalen Holocaust-Gedenktag spricht sie über das jüdische Leben im Hier und Jetzt.
Frau Grossmann, Sie haben Ihren Blog mit einem Warnhinweis versehen: "Erwarten Sie keinen Antisemitismusblog." Wird die Berichterstattung von Jüdinnen und Juden aus Ihrer Sicht noch immer zu stark von Berichten über Antisemitismus und Holocausterinnerung dominiert?
Juna Grossmann: Ja, natürlich, das ist ein Hauptthema. Wenn man fragt, woran deutsche nichtjüdische Menschen denken, wenn sie an Juden denken, dann ist es meistens das Thema Holocaust, aber auch gewisse Bilder von Männern mit schwarzen Hüten und langen Bärten. Den Zusatz "Erwarten Sie keinen Antisemitismusblog" habe ich übrigens mit der Veröffentlichung meines Buches hinzugefügt, weil plötzlich alle Welt dachte, ich schreibe nur über Antisemitismus - was ja nicht so ist.
Wie beurteilen Sie die Formen des Gedenkens, wie wir sie hier praktizieren, zum Beispiel im Bundestag ?
Grossmann: Ich bin ein bisschen kritisch mit festen Ritualen. Sie können helfen - sie können aber auch versteifen. Die Frage ist: Wie inhaltsvoll sind noch bestimmte Erinnerungskulturen oder Mittel und Wege, die wir finden? In diesem Jahr finde ich es besonders spannend, da viele Einrichtungen, gerade im Gedenkstätten-Bereich, andere Wege gehen müssen. Da entstehen neue Formate, und man darf vielleicht endlich das machen, was man schon lange machen wollte - abseits des lang Eingespielten.
In diesem Jahr wird auch "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" gefeiert. Viele Jüdinnen und Juden sehen das ausgerufene "Festjahr" durchaus kritisch - wie stehen Sie dazu?
Grossmann: Ich gehöre zu denen, die das sehr kritisch sehen. Das ist auch eher eine künstliche Jahreszahl, die man sich da ausgesucht hat. Ich habe die große Befürchtung, wenn man es "Festjahr" oder "Jubiläum" nennt, dass völlig außer Acht gelassen wird, wie diese 1.700 Jahre waren, die sich schon kurz nach dem Edikt von 321 änderten, als das Christentum nur 60 Jahre später zur Staatsreligion wurde. Seitdem ist es nicht unbedingt eine schöne Geschichte des Judentums im heutigen Deutschland.
Sie schildern in Ihrem Buch "Schonzeit vorbei", wie die zunehmende offene Judenfeindlichkeit schließlich dazu führt, dass Sie auf den viel zitierten "gepackten Koffern" gesessen haben, allzeit bereit zur Flucht vor dem Hass. Das Buch haben Sie 2018 veröffentlichten, und die Situation hat sich nicht verbessert. Wie viel Angst haben Sie?
Grossmann: Bei mir wird Angst ins Gegenteil umgekehrt: Ich greife dann an. Ich finde es enorm wichtig, etwas aus dieser negativen Energie zu tun. Ich setze mich nicht nur gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung ein, sondern ich versuche die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass es manchmal mit kleinen Dingen anfängt, zum Beispiel mit der Sprache. Das ist mein Weg, hoffe ich, ein bisschen was dagegen tun zu können und auch damit umzugehen. Denn wenn man etwas tut, dann wird es leichter, als wenn man nur wie das berühmte Kaninchen da sitzt und Angst hat.
Sie haben zu Beginn noch anonym gebloggt - seit einigen Jahren veröffentlichen Sie Ihre Texte unter Ihrem Klarnamen. Wie offen gehen Sie im Alltag mit Ihrem Judentum um?
Grossmann: Nicht so offen. Wenn ich mich zum Beispiel in meinem Arbeitsumfeld vorstelle, sage ich es generell nicht. Das ist sowieso ein bisschen merkwürdig, wenn man sich vorstellt: "Hallo, ich bin Juna, und ich bin Jüdin." Das ist absurd. Ich achte darauf, erst mal zu gucken, was das für Menschen sind, ob ich ihnen vertrauen kann, ob ich da etwas sagen kann. Andere Menschen gehen sehr offensiv damit um. Sie sagen es direkt, weil sie dann gleich wissen, woran sie sind. Bei mir ist es die Vorsicht - aber meistens geht das ganz gut.
Wie zeigt sich heutzutage die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland?
Grossmann: Es gibt oft ein Bild: "So sind die Juden." Aber so sind die Juden nicht - sie sind alle ganz verschieden. Jeder hat auch ein anderes Verständnis von seinem Judentum oder vom jüdischen Glauben. Wenn man Jude ist, heißt das nicht gleich, dass man auch gläubig ist. Das wird leider von außen nicht so gesehen. Man erwartet ein bestimmtes Bild, aber das erfüllen nicht alle. Manche erfüllen das ganz bewusst nicht, weil es manchmal hilft, ein paar Brüche reinzubringen.
Wir haben alles in Deutschland: vom atheistischen Juden über einen buddhistisch getauften bis zum orthodoxen Menschen. Und das ist ganz wunderbar. Nicht alle wollen öffentlich sein, aber zum Glück sind es inzwischen relativ viele. Ich habe den Eindruck, dass es eine immer lautere junge Generation an jüdischen Menschen in Deutschland gibt, die auch Dinge einfordern. Das finde ich ganz wunderbar.
Das Interview führte Alexandra Friedrich.
